Bauwelt

Wir sind keine Zweiklassengesellschaft

Das deutsche Wettbewerbswesen sei willkürlich, elitär und benachteilige junge und kleine Büros, kritisieren Michael Mackenrodt und Jörn Köppler von der Wettbewerbsinitiative. Nun will der Verein eine Beschwerde einreichen – bei der EU-Kommission.

Text: Crone, Benedikt, Berlin

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Michael Mackenrodt und Jörn Köppler
Foto: Benedikt Crone

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Michael Mackenrodt und Jörn Köppler

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Wir sind keine Zweiklassengesellschaft

Das deutsche Wettbewerbswesen sei willkürlich, elitär und benachteilige junge und kleine Büros, kritisieren Michael Mackenrodt und Jörn Köppler von der Wettbewerbsinitiative. Nun will der Verein eine Beschwerde einreichen – bei der EU-Kommission.

Text: Crone, Benedikt, Berlin

Die Wettbewerbsinitiative kämpft seit 2011 gegen Zulassungsbeschränkungen bei deutschen Planungswettbewerben. Nun haben Sie einen Anwalt beauftragt, eine Beschwerde bei der EU-Kommission einzureichen. Was fordern Sie?
Michael Mackenrodt Wir wollen flächendeckend gegen das System vorgehen, mit dem kleine oder jüngere Büros von Wettbewerben ausgeschlossen werden, weil sie in der Vorauswahl durch eine fragwürdige Punktematrix fallen. Bei dieser Matrix geht es nicht um die fachliche Eignung, sondern darum, dass die Bewerber, die die meiste Erfahrung haben – die nicht ein, sondern gleich zehn Schulgebäude errichtet haben – weiter kommen. Das führt zu einer Marktverengung und verstößt gegen EU-Recht. Wir fordern daher die EU-Kommission auf, deutsche Auslober anzuhalten, diese Praktiken einzustellen.
Sie stören sich an der Auswahl durch eine rationale Punktematrix?
Mackenrodt Die Matrix ist nur ein Beispiel dafür, dass vielerorts der öffentliche Auslober glaubt, er könne sich über Umwege die ihm liebsten Teilnehmer raussuchen. Dahinter steht manchmal Unkenntnis, oft aber der Wunsch, am Ende mit großen Namen bauen zu können.
Verstehen Sie den Auslober, der das Projekt in die in seinen Augen sicheren Hände eines erfahrenen Büros geben will?
Mackenrodt Nein. Eine Studie des Bundesinstituts für Bau-, Stadt-, und Raumforschung hat die offenen Verfahren der Schweiz mit deutschen nichtoffenen Verfahren verglichen und festgestellt: Offene Wettbewerbe sind in der Regel günstiger, schneller und liefern oft auch eine bessere Qualität.
Jörn Köppler Es ist einfach ethisch nicht akzeptabel, dass man den Generationenvertrag aufkündigt. Und: Der Auslober bricht das Gesetz. Die Vergabeverordnung für freiberufliche Leistung (VOF) und die Richtlinien für Planungswettbewerbe (RPW) enthalten beide den Satz, kleine Büros seien angemessen zu beteiligen. Das ist keine Sonntagsrede. Das kann man einklagen!
Ein mühsamer Weg, den wenige gehen.
Köppler Ja, und deswegen unsere EU-Beschwerde. Dieser Schritt wäre auch nicht nötig, würden wir von der Ausloberseite mehr Verständnis für unsere Position bekommen. Der Vorschlag: „Wenn Ihr Büro zu klein ist, schließen Sie sich mit anderen zusammen“, ist blanker Hohn. Dafür habe ich doch kein eigenes Büro gegründet!
Offene Wettbewerbe bieten den einzelnen Teilnehmern nur geringe Gewinnaussichten. Viel Energie und viele Ideen verpuffen.
Mackenrodt Nicht, wenn man zur Wettbewerbsteilnahme etwa 25 Büros zulässt, die per Losverfahren ermittelt werden. Köppler Die Angst vor Newcomern und das Festhalten an quantifizierbaren Kriterien kann auch nach hinten losgehen. In Bernau bei Berlin wurden bei einem nichtoffenen Wettbewerb für eine Rathausweiterung aus 143 Bewerbungen neun zum Teil etablierte Architekturbüros für die Bearbeitung des Wettbewerbes ausgewählt. Am Ende stellte die Jury fest, dass kein eingereichter Entwurf das Potenzial zur Realisierung hatte: Der Wettbewerb musste annulliert werden.
Was halten Sie von einem zweiteiligen Wettbewerb wie dem für die Berliner Zentral- und Landesbibliothek (Bauwelt 19.2013, 7.2014)? Einem offenen Ideenwettbewerb folgte ein zweiter, nichtoffener Wettbewerb, bei dem die Preisträger des ersten Wettbewerbs gegen 32, vom Auslober ausgewählte Büros antraten.
Mackenrodt In meinen Augen war das kein faires Verfahren. Zuerst mussten sich die Teilnehmer durch einen offenen Wettbewerb boxen, um in der nächsten Runde auf etablierte Büros zu treffen, die die erste Phase einfach überspringen durften. Was soll das? Wir sind doch keine Zweiklassengesellschaft!
Köppler Dabei kann ein zweiphasiger Wettbewerb durchaus gut und fair ablaufen. Allerdings sollte der Aufwand der ersten Phase nicht zu hoch sein.
Und welcher Aufwand ist angemessen?
Köppler Ideenskizzen auf zwei DIN-A3-Seiten sollten reichen, damit die Jury eine sinnvolle Auswahl treffen kann. Dann hatten die Bewerber im schlimmsten Fall eineinhalb Wochen Arbeit – und etwas Spaß.
In Frankreich ist das Risiko, leer auszugehen, gleich Null. Offene Wettbewerbe, aber auch die gezielte Einladung bekannter Büros, sind dort verboten, dafür wird jede Teilnahme honoriert.
Köppler Klingt gut, aber mir stellt sich die Frage, wer an den Wettbewerben teilnehmen darf? Ein Auswahlverfahren wird es trotzdem geben, so schön eine sichere Honorierung ist.
Mackenrodt Es geht auch der grundsätzliche Gedanke des Wettbewerbswesens verloren: Der Wettstreit vieler Ideen, von denen sich die besten durchsetzen müssen.
Wer ist denn für Sie eine Vorbildnation bei der Durchführung von Wettbewerben?
Mackenrodt In der Schweiz herrscht ein ganz anderes Selbstverständnis. Man weiß, dass gerade offene Wettbewerbe baukulturell gute Ergebnisse liefern. Das war in Deutschland auch mal anders, aber seit den Neunzigern kippt das Verhältnis immer mehr in Richtung beschränkter Wettbewerbe und Einladungswettbewerbe.
Woher, denken Sie, kommt dieser Wandel?
Köppler Kommunen und öffentliche Bauherren sagen häufig, sie hätten kein Geld für offene Wettbewerbe. Ich glaube jedoch, es liegt an einer grundsätzlichen Tendenz in der Gesellschaft, alles rationalisieren und dadurch ökonomisieren zu wollen. Alle wollen Zahlen und messbare Werte: So und so viele Bauprojekte, so und so viele Mitarbeiter, so und so viel Arbeitserfahrung. Quantität statt Qualität. Baukultur lässt sich aber nicht aus Excel-Tabellen ablesen!
Wie ist der Stand der EU-Beschwerde?
Köppler Unser Anwalt, der über die Spenden unseres Vereins finanziert wird, arbeitet im Moment die Beschwerde aus. Wir sammeln dazu exemplarische Wettbewerbe, die der Beschwer-de beigelegt werden. Im Spätherbst folgt voraussichtlich unsere erste Anhörung in Brüssel. Wenn die EU-Kommission anerkennt, dass in Deutschland die Dienstleistungsfreiheit bei Wettbewerbs- und Vergabeverfahren nicht mehr gegeben ist, wird sie gegen die Bundesrepublik ein Vertragsverletzungsverfahren beim Europäischen Gerichtshof erheben.
Wie sehen Sie die Erfolgssaussichten?
Mackenrodt Es ist offen. Aber wir spüren jetzt schon, dass wir, dass unsere Initiative und die Architekten, mehr Gehör bekommen. Viele Verbände und Länderkammern haben sich uns angeschlossen. Diese Marktverengung kann einfach nicht im Sinne Deutschlands sein! In zwanzig Jahren sollten in diesem Land noch neue, unabhängige Architekten arbeiten können und nicht die immer gleichen Büros, deren Gründer schon vor fünfzig Jahren verstorben sind.

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