Ein Anti-Museum für London
Stanton Williams und Asif Khan gewinnen den Wettbewerb um das Museum of London in den alten Markthallen von West Smithfield. Ihr Entwurf will ohne Türen auskommen.
Text: Rettler, Tim, London
Ein Anti-Museum für London
Stanton Williams und Asif Khan gewinnen den Wettbewerb um das Museum of London in den alten Markthallen von West Smithfield. Ihr Entwurf will ohne Türen auskommen.
Text: Rettler, Tim, London
Brexit hin, Brexit her: Die Londoner Stadtverwaltung macht sich weiterhin für Kultur stark – für den neuen Bürgermeister Sadiq Khan ist dies ein ganz großes Thema. Auch in puncto Architektur tut sich einiges: Im Juni wurde die Erweiterung der Tate Modern eröffnet, es konkretisieren sich die Planungen für einen Ableger des Victoria & Albert Museums und einen Neubau für das Tanztheater Sadler’s Wells im Queen Elizabeth Olympic Park. Und im Stadtteil Farringdon soll das Museum of London eine neue Bleibe finden.
Das Museum of London besteht in seiner heutigen Form seit 1976. In der von Powell & Moyas geplanten, zurückgezogenen Behausung am Rande des Barbican Centre findet man eine eklektische Sammlung von Artefakten vor, die die Geschichte der Stadt seit ihren römischen Ursprüngen erzählt. Trotz der vertrackten Erschließung und des etwas betagten Austellungsdekors erfreut sich die Institution großer Beliebtheit – 2014 kamen mehr als 1,1 Million Besucher. Zugleich wird das archäologische Archiv – weltweit das größte seiner Art – mit jeder Ausgrabung, die einem Bauprojekt vorausgeht, größer. Auch die Sammlung wächst durch den ständigen Ankauf neuer Objekte. Es war also eine Frage der Zeit, dass der Bau an die Grenzen seiner Kapazität stößt und ein Neuanfang an anderem Ort in Erwägung gezogen werden muss.
Da traf es sich gut, dass die City of London Corporation nach einer neuen Nutzung für den leer stehenden westlichen Teil des Smithfield Market im Stadtteil Farringdon suchte. In den letzten Jahren hatte man erfolglos versucht, mit Hilfe der Investoren Henderson Global und dem Architekten John McAslan das 2,5 Hektar große Areal inklusive dem, was an Bestand trotz jahrelanger Vernachlässigung noch übrig war, als klobige Bürokiste gewinnmaximierend zu überplanen. Eine medienwirksame Initiative zur Erhaltung von Smithfield Market führte 2014 zu einem Bürgerbegehren, das dem Vorhaben den Riegel vorschob.
Im Februar 2016 lobte die Corporation mit finanzieller Unterstützung der Greater London Authority einen zweistufigen Wettbewerb aus, um dem Museum im Smithfield General Market ein neues Zuhause zu geben. Die schmerzhaften Erfahrungen der bisherigen Planungen hatten sich die Auslober zu Herzen genommen – so betonte das Wettbewerbsprogramm das besondere Ambiente des Fleisch-, Fisch- und Geflügelgroßmarkts und die städtebaulichen Qualitäten, die sich über die Jahrhunderte entwickelt haben. Für Museumsdirektorin Sharon Ament stellt der Smithfield Market an sich schon eine „riesige, bewohnbare, geschichtetete Ausstellung zur Entwicklung Londons“ dar. Durch die Überlagerung der feingliedrigen mittelalterlichen Stadtstruk-tur „Farringdon-without-the-walls“, die sich außerhalb der City entwickelt hat, mit den radikalen Ingenieurleistungen des 19. Jahrhunderts – das Holborn Viaduct, die Schneise der Metropolitan Railway und der Bau der Großmarkthallen – ergibt sich ein oftmals dramatisches, fast Piranesihaftes Stadtbild. Angrenzend findet man Bürogebäude, das gründerzeitliche Juwelierviertel um Hatton Garden und die introvertierten Blöcke des Barts College und Hospitals.
Von über 70 Einreichungen aus dem In- und Ausland hatten es sechs Architekturteams in die Endauswahl geschafft. Ende Juli ging die Arbeitsgemeinschaft der Londoner Büros Stanton Williams und Asif Khan als Sieger hervor. Sie hatte ihren Entwurf zusammen mit dem Denkmalpflegespezialisten Julian Harrap und den Landschaftsarchitekten J+L Gibbons erarbeitet.
Schwellenlos in den Straßenraum
Bis zu seiner Schließung in den 80er Jahren war der Smithfield General Market immer auch ein öffentlicher Ort, der sowohl durch seine Nutzung als auch durch die räumliche Konfiguration untrennbar mit der Stadt verbunden war. Die Architekten sehen darin eines der Hauptmerkmale, das ihren Entwurf entscheidend geprägt hat. Sie schlagen ein „Anti-Museum“ vor, das große Ges-ten vermeidet und stattdessen auf allen Seiten schwellenlos, also möglichst ohne Türen, in den Straßenraum übergeht – eine zeitgenössische Interpretation von Farringdon-without-the-walls. Im Museum soll sich das öffentliche Leben der Stadt fortsetzen können.
Unter dem gekuppelten Dach der Haupthalle entwickelt sich diese räumliche Kontinuität in der Vertikalen. Über eine geschwungene Treppe sollen Besucher in die katakombenartigen Lagerräume abtauchen. Sichtbezüge sollen von diesen Gallerien zu den angrenzenden U-Bahnschächten hergestellt werden, so dass die vorbeifahrenden Züge Teil des Besuchererlebnisses werden. Über eine teilweise Offenlegung der Fleet, Londons bekanntestem lost river, wird auch nachgedacht. Im angrenzenden Außenbereich nutzt ein versunkener Garten geschickt die Topografie und offenbart so auch etwas von der Tiefe des neuen Museums. Die komplexe und teilweise verspielte räumliche Konfiguration des Entwurfs lässt auf eine spannende Umsetzung hoffen, die in mancher Hinsicht an Herzog & de Meurons Tate Modern erinnert.
Die städtebauliche Komplexität des Smithfield General Market wird durch die architektonische Vielfalt verstärkt – viktorianische Ziegelfassaden und Dachtragwerke aus Gusseisen und Stahl, der dreieckige Fischmarkt und der sogenannte Iron Mountain als späte Addition der 60er Jahre. Der Charme von Smithfield Market liegt deshalb auch in der Alltäglichkeit der Bauten, die deutlich von den bisherigen Nutzungen gezeichnet sind. Ebenso wie für die britischen Protagonisten des Brutalismus Alison und Peter Smithson ist die-ses „as found“, die rohe Präsenz der Materialien, auch für Stanton Williams außerordentlich wichtig und erhaltenswert. Neue Elemente sollen deshalb durch eine minimalistische Formensprache mit viel Glas und wenig Detail abgesetzt werden.
Dies hat bereits zu einigem Unmut in der lokalen Szene geführt. So fühlt sich der Architekturkritiker Rowan Moore zu sehr an schicke Boutiquen und Stanton Williams’ Konversion des denkmalgeschützten Granary Buildings für die University of the Arts in King’s Cross erinnert. Das Interesse an der Zukunft von Smithfield Market ist zurecht unvermindert. Jedoch sollte den Architekten Zeit gegeben werden, ihren vielversprechenden Ansatz des „Anti-Museums“ im Detail zu entwickeln. Dabei wird es interessant sein zu sehen, welche Impulse das junge Büro von Asif Khan setzen kann. Die eine oder andere Idee könnten sich die Wettbewerbssieger notfalls auch bei Lacaton + Vassal borgen, die für ihren Beitrag eine lobende Erwähnung erhielten.
Für Londoner Verhältnisse ist zunächst alles im grünen Bereich – die Entscheidung zur Umnutzung ist da, die Architekten sind in einem offenen, entwurfsorientierten Verfahren ausgewählt. In zwei Jahren soll der Bauantrag eingereicht werden, so dass 2022 das neue Museum of London seine nicht vorhandenen Pforten öffnen kann. Da stellt sich nur noch die Frage, was mit dem betagten Museumsbau an der London Wall geschieht. Der zukünftige musikalische Direktor der Londoner Symponiker Sir Simon Rattle stellt sich für diesen Ort eine akustisch perfekte Konzerthalle vor. Wie es damit weitergeht, ist jedoch seit dem Ausscheiden des ehemaligen Finanzministers und Fürsprechers des Projekts George Osborne in Folge des EU-Referendums „up in the air“.
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