Bauwelt

Erweiterte Erinnerungsarbeit am Obersalzberg

Die 1999 eröffnete Dokumentation am NS-Täterort in den Bayerischen Alpen bekommt nicht nur zusätzliche Räume, sondern kümmert sich endlich auch um das Gelände

Text: Meyer, Friederike, Berlin

Erweiterte Erinnerungsarbeit am Obersalzberg

Die 1999 eröffnete Dokumentation am NS-Täterort in den Bayerischen Alpen bekommt nicht nur zusätzliche Räume, sondern kümmert sich endlich auch um das Gelände

Text: Meyer, Friederike, Berlin

Der Obersalzberg war zwischen 1933 und 1945 neben Berlin der zweite Regierungssitz des „Dritten Reichs“. Nach dem Krieg nutzten die Amerikaner die Gegend als „Recreation Area“. Als sie 1995 abzogen, wurden Rufe nach einer Gedenkstätte laut. Unter dem Druck der internationalen Öffentlichkeit beschloss die Bayerische Staatsregierung das so genannte „Zwei-Säulen-Konzept“: Ein Hotel soll für Normalität sorgen (Bauwelt 10.2005), eine Dokumentation die Vergangenheit aufarbeiten. Als letztere 1999 eröffnete, rechnete man mit 40.000 Besuchern pro Jahr. Inzwischen kommen fast 170.000.
Nachdem die Bayerische Staatsregierung 17 Millionen Euro für eine Erweiterung zugesagt hatte, lobte das zuständige Staatliche Bauamt Traunstein im März einen offenen zweiphasigen Realisierungswettbewerb mit Ideenteil aus. Auf-gabe war es, eine Erweiterung mit 1819 m² Nutzfläche zu planen. Das bestehende Gebäude mit ca. 674 m² Nutzfläche sollte integriert und entsprechend umgebaut werden. Aufgabe war, die Freiflächen, die Anbindung an das vorhandene Wegesystem und den Bunker mit seinen sechs Kilometer langen Stollen sowie ein Landschaftskonzept für das Gelände von Hitlers ehemaligem Berghof zu gestalten. Dessen überwucherte Hangstützmauer soll künftig Teil der Dokumentation sein. Das ist gut, denn nur durch das offizielle Ausweisen dieser authentischen Orte, kann ihnen der Mythos genommen werden.
89 Arbeiten gingen ein, von denen die Jury zehn für die 2. Phase auswählte. Die Wahl des Verfahrens lobte der Juryvorsitzende Josef Peter Meier-Scupin in zweifacher Hinsicht: Aufgrund der Zweiphasigkeit konnte die Qualität besser beurteilt werden. Manche hätten sich anfangs als gute Wettbewerbler gezeigt, dann aber bei der Ausarbeitung deutlich an Kraft verloren. Zugleich sei bei einem solch weltumspannenden Thema ein offener Wettbewerb genau das Richtige – auch wenn viele Große nicht mitmachten. Bei der Beurteilung hätten Funktionalität und Wegeführung eine weitaus größere Rolle gespielt, als die bei vielen Beiträgen durch überhöhten Symbolismus gekennzeichneten Vorschläge im Ideenteil.
Mit einem 15:0-Konsens fiel die Entscheidung für den Entwurf von Aicher Ziviltechniker aus Dornbirn. Die Architekten graben die neuen Räume in den Berg östlich des Bestands ein und
verbinden Altbau, Neubau und Bunkerzugang zu einem Rundgang. Öffentliche und Verwaltungsbereiche sind in EG und OG getrennt. Der konzeptionelle Ansatz und die funktionale Logik überzeugten die Jury. Der Architektur gelänge es, sehr diskret auf die Geschichte dieses Ortes hinzuweisen und ein eigenes Selbstbewusstsein zu entwickeln. Auch den geringen Eingriff in das Umfeld des Dokumentationszentrums bewertete sie positiv. Dass die Architekten die Bunkeranlage im Berg durch „Landschaftsschlitze ans Tageslicht“ bringen wollen, fand sie überdenkenswert. Die Lichtkanone am Ende des Bunkerrundgangs führe zu einer starken symbolischen Überhöhung des Lichtes.
dd1 architekten (ein 3. Preis) schieben das Volumen ebenfalls in den Hang. Durch die Konzentration der Baumasse sei das Gebäude landschaftlich gut eingebunden, so die Jury, die aber zugleich auf den erhöhten Aufwand durch die bis zu 18 Meter tiefe Gründung mit Bohrpfahlwänden und die aufwendige Geländeüberschüttungen verwies. Sie bemängelte zudem die beengte Zufahrt, die Umnutzung des bestehenden Foyers zu einem Möbellager und die Verlegung des Eingangs in den Pultdachanbau.
Locke Lührs Architektinnen (3. Preis) teilen den Neubau in drei Segmente, die am Hang verspringen. Durch die Aufnahme der Hangkurve und die durchgängige Zweigeschossigkeit werde der Baukörper im Landschaftsraum optisch reduziert. Zugleich entstünden unterschiedlich dimensionierte Bewegungsräume. So sehr der Vorschlag durch seine Wegeführung überzeugte, so wenig funktional erschien die Dreiteilung im Inneren. Die Tatsache, dass sich damit das gesamte Gebäude über drei Ebenen entwickelt und die Dauerausstellung über zwei Ebenen geteilt wird, sah die Jury aus Nutzersicht kritisch.
Offener zweiphasiger Realisierungswettbewerb mit Ideenteil
1. Preis (44.000 Euro) Aicher Ziviltechniker, Dornbirn; Planstatt Senner, Überlingen

ein 3. Preis
(24.500 Euro) dd1 architekten, Dresden, mit P+P Schwarzenberger Architekten&Ingenieure, Querfeld Eins/Landschaft/Städtebau, Dresden; Schweitzer Ingenieure, Saarbrücken; ZWP Ingenieure AG, Dresden

ein 3. Preis (24.500 Euro) Locke Lührs Architektinnen mit mit Anna Lehme Berthod, Dresden; PLANORAMA Landschaftsarchitektur, Berlin; SFB Saradshow Fischedick Berlin, Bauingenieure
4. Preis (14.000 Euro) TRU ARCHITEKTEN, Berlin; Holzwarth Landschaftsarchitektur, Berlin Anerkennung (10.000 Euro) gp2-architekten & Grath Architekten, Oberstaufen; bs LandschaftsArchitekten, Lindenberg i. Allgäu
Anerkennung (10.000 Euro) Leitenbacher Spiegelberger Architekten, Traunstein; Schüller Landschaftsarchitekten, München; Weischede Herrmann und Partner, Stuttgart; PSY:PLAN, Berlin; Dr. Jürgen Duntze Fachpreisrichter Josef Peter Meier-Scupin (Vorsitz), Manfred Brennecke, Hermann Brenner, Friedrich Geiger, Doris-Liane Lackerbauer, Hilde Léon, Harald Löhnert, Klaus-Dieter Neumann
Fakten
Architekten Aicher Ziviltechniker, Dornbirn; Planstatt Senner, Überlingen; dd1 architekten, Dresden, mit P+P Schwarzenberger Architekten&Ingenieure, Querfeld Eins/Landschaft/Städtebau, Dresden; Schweitzer Ingenieure, Saarbrücken; ZWP Ingenieure AG, Dresden; Locke Lührs Architektinnen mit mit Anna Lehme Berthod, Dresden; PLANORAMA Landschaftsarchitektur, Berlin; SFB Saradshow Fischedick Berlin, Bauingenieure
aus Bauwelt 42.2014
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