Wiederaufbau weiterdenken
Staab Architekten gewinnen den Wettbewerb für ein erzbischöfliches Neubauvorhaben in der Paderborner Innenstadt, indem sie das Nachkriegsumfeld aufgreifen
Text: Brinkmann, Ulrich, Berlin
Wiederaufbau weiterdenken
Staab Architekten gewinnen den Wettbewerb für ein erzbischöfliches Neubauvorhaben in der Paderborner Innenstadt, indem sie das Nachkriegsumfeld aufgreifen
Text: Brinkmann, Ulrich, Berlin
Das Paderborner Stadtzentrum, Ende März 1945 durch Bombardement weitgehend vernichtet, wurde nach dem Krieg rasch wieder aufgebaut, in einer Art und Weise, die noch der Heimatschutz-Architektur der Zwischenkriegszeit verhaftet war: Der Stadtgrundriss wurde, stellenweise autogerecht vergröbert, weitgehend respektiert; die wichtigsten Baudenkmäler wurden wieder hergestellt, das bürgerlich-giebelständige Straßenbild der alten Fachwerkstadt aber fand sich mit Hilfe einer traufständigen Bebauung mit Putzfassaden vereinheitlicht und anonymisiert. Innerhalb dieser generellen Linie sind freilich durchaus unterschiedliche Architekturströmungen vertreten, und zwar vor allem bei den Neubauten der öffentlichen Einrichtungen; eine Vielfalt, die durchaus gezielt eingesetzt wirkt, gerade so, als habe der „programmatische Eklektizismus“ der NS-Jahre (Werner Durth) im Paderborn der frühen Nachkriegszeit noch fortgedauert. Während beispielsweise an der Westkante des Domhügels, oberhalb des als Grünanlage gestalteten Paderquellgebiets, die neue Stadtverwaltung mit ihrer gläsern-beschwingten Architektur eine unmissverständlich „demokratische“ Haltung einnahm (Architekten Lucas, Schmidt, Wragge), bediente sich das vom Staatshochbauamt geplante und 1953 bezogene Landes- und Amtsgericht im Südosten des Doms einer strengen Repräsentationsform, die Anleihen an Sagebiels Reichsluftfahrtministerium nicht scheut.
Aus heutiger Sicht ist aber nicht nur die damalige Formenwahl aufschlussreich, sondern auch der spätere Umgang mit ihr: Während das Stadtverwaltungsgebäude durch eine brachiale Sanierung in den 90er Jahren vollkommen ruiniert worden ist, besteht das Justizgebäude weitgehend im Originalzustand und prägt zusammen mit dem etwa gleichzeitig entstandenen Bettentrakt des St. Vincenz-Krankenhauses die Südseite jenes Platzes, der mit der Zerstörung der Synagoge im Jahr 1938 entstanden war. Der vom Architekten Franz Allerkamp entworfene Krankenhaustrakt verkörperte mit Spaltklinkerfassade und Schwingflügelfenstern zum Norden und weitgehend verglasten Krankenzimmern zum Süden den ästhetisch überhöhten Funktionalismus jener Zeit – bis auch er vor einigen Jahren durch Umbaumaßnahmen unkenntlich gemacht wurde. Hingegen hat der wieder aufgebaute Westphalenhof auf der Nordseite des Platzes zumindest äußerlich auch die letzte Renovierung vor ein paar Jahren einigermaßen unbeschadet überstanden. Der zweigeschossige Barockbau war bis 1954 aufgestockt und über die Blockecke zur Heiersstraße nach Westen hin verlängert worden, wo er mit Arkatur und flachem Walmdach ihre Einmündung in den Platz inszenierte. So finden sich hier nicht nur unterschiedliche Strömungen des Paderborner Wiederaufbaus versammelt, sondern auch verschiedene Arten des Umgangs mit dieser Epoche.
Alltägliche Nutzungen erkennbar machen
Mit dem Wettbewerb des Erzbistums für eine Neubebauung in diesem Umfeld stand der Wiederaufbau Paderborns nun auch auf der Ebene des Städtebaus in Frage. Das nichtoffene, anonyme Verfahren, welches das Erzbistum im Herbst letzten Jahres ausgelobt hatte, suchte nach einer Erneuerung für das Areal zwischen Dom und Heiersstraße. Auf einer Reihe von Grundstücken, die bislang entweder von Nachkriegshäusern, Garagen oder Gärten belegt sind, sollte Platz für ein Beratungszentrum der Caritas, für das Diözesanarchiv, für die bistumseigene IT-Abteilung und für Wohnungen betagter Priester entstehen, außerdem waren Gewerbeflächen an der Heiersstraße vorzusehen und eine Garage für die Fahrbereitschaft des Bistums. Im Grunde also ganz alltägliche städtische Nutzungen, die eine gewisse formale Bescheidenheit nahelegen. Historisch aufgeladen wird das Gelände durch die einst hier verlaufende, im Erdreich wohl noch vorhandene mittelalterliche Mauer der Domimmunität sowie die Keller der im 19. Jahrhundert hier produzierenden Brauerei. Im erweiterten Bearbeitungsgebiet waren die Teilnehmer aufgefordert, eine neue Anbindung von Kapuzinerkloster und Bildungszentrum „Liborianum“ an den Dombezirk zu entwickeln.
Unter den neun zur Konkurrenz Eingeladenen kürte die Jury (Vorsitz: Eckhard Gerber) das Büro Staab Architekten zum Sieger. Die Berliner verteilen die gewünschten Nutzungen auf drei langgestreckte, scharfkantig geschnittene Zeilen von einheitlicher Gestalt, die mit flachen Satteldächern und geschlämmten Ziegelmauern Anleihen bei der skandinavischen Nachkriegsmoderne nehmen: als nördlichen Abschluss einen Riegel für die Wohnungen, als südlichen einen für das Archiv, entlang der Heiersstraße schließlich jenen mit Büros und Gewerberäumen. Die drei Baukörper bilden einen halböffentlichen, nach Westen offenen Platz, zu dem sie sich mit ihren Haupteingängen orientieren, zudem lassen sie Platz für eine Treppe hinab zur Heiersstraße. Das Arrangement erinnert ein wenig an die Raumfolge, die in den fünfziger Jahren mit dem Bau der Stadtverwaltung zwischen Rathaus und Paderquellgebiet geschaffen wurde: Wie dort der Blick durch den Block auf die Marktkirche freigelegt worden ist, scheint hier der Helm des Domturms als Fluchtpunkt der Perspektive auf.
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