Bauwelt

Haus der Tages­­­müt­ter


„Dieses Projekt ist ein Beispiel dafür, wie die Arbeit von Architekten ortsungebunden funktionieren kann“


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    Fernando Alda

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Das Haus der Tagesmütter ist Teil einer umfangreichen urbanen Strategie, die das Ziel hat, das Zentrum der „Shrinking City“ Selb zu reaktivieren. Kern dieses Prozesses ist es, mit einer Reihe kleiner Interventionen im Stadtgefüge junge Menschen ins Zentrum zu locken.
Die Stadt erhofft sich davon eine neue Sozialdynamik („Präventive urbane Akupunktur“).

Im Haus arbeiten Tagesmütter in einer selbstgeführten Organisation. Sie betreuen Kinder außerhalb der Schulzeiten. Mit diesem Angebot sollen junge Familien Arbeits- und Familienleben besser in Einklang bringen können.

In der Systematik des Gebäudes spiegelt sich die Flexibilität wider, die programmatisch für die Arbeit der Tagesmütter ist. Auf dem Grundstück stehen schmale Gebäuderiegel, die durch Addition ein Ganzes ergeben. Jedes Gebäudeteil hat eine eigene durchgehende Materialität. An der Straße aufgereiht, schließen sie eine Lücke, sodass eine neue städtische Front für den Häuserblock entsteht.

Der Entwurf löst sich in einzelne Streifen auf, die sich ideal an das statische System der tragenden Wände anpassen. Die programmatische und räumliche Spezifizierung jedes dieser Streifen wird durch Farbe im Innenraum verstärkt. Dimensionen und Farben sind auf häusliche Maßstäbe und die Nutzung des Gebäudeteils angepasst.



Was ist Ihnen bei Ihrem ersten Besuch in Selb besonders aufgefallen?

Uns fielen besonders die Dächer im Stadtbild auf. Und was uns überraschte, waren die vielen Farben der Fassaden und wie sie zusammengestellt sind.

Wie sind Sie in Selb empfangen, welche Erwartungen sind an Sie herangetragen worden?

Wir haben uns in Selb immer zu Hause gefühlt. Entscheidend war, dass Helmut Resch, der Leiter der Bauverwaltung, Vertrauen in die Europäische Plattform mitbrachte und in uns. Die Stadt erwartete frische Ideen; eine neue Vision von Selb und einen jungen, begeisterten, internationalen Teamgeist – genau das, was mit dem europäischen Ansatz gemeint ist.

Was war die größte Hürde in der Realisierung?

Die Prozesse verliefen ohne Schwierigkeiten. Wir zwangen keine Ideen auf, sondern schlugen ein System zur Entwicklung des Projektes vor. So entstanden flexible Bedingungen für die Arbeit. Hindernisse sahen wir als Herausforderungen für die genauere Definition des Projekts.

Wie haben Sie den Bauprozess begleitet? Zwischen Selb und Madrid liegen immerhin 2000 Kilometer.
Die städtische Planungs- und Entwicklungsgesellschaft SelbWERK war von Beginn an unser Partner, der eine Arbeitsstruktur aufbaute, die trotz der Entfernung funktionierte, und das Projektmanagement und die Bauleitung übernahm. Wir sprangen direkt vom Wettbewerbsentwurf zur Realisierung und konnten auch die Hauptideen beibehalten. Wir besuchten die Baustelle mehrmals im Jahr. Darüber hinaus gab es einen ständigen Austausch. Die Geschichte dieses Projekts ist ein Beispiel dafür, wie die Arbeit von Architekten heute ortsungebunden funktionieren kann.

Wie sind Sie mit den deutschen Baurichtlinien zurecht gekommen?
Unser „Streifensystem“ aus dem Europan-Beitrag hat sich als ein wunderbares Werkzeug für die Zusammenarbeit erwiesen. Es erlaubte uns, die Regeln, die das System ausmachen, leicht zu übermitteln, sodass Auftraggeber, Nutzer, Statiker und Architekten ihre Ideen in einer gemeinsamen Sprache einbringen können. Dadurch konnten wir das Projekt und unsere Arbeitsweise nicht nur an deutsche Richtlinien anpassen, sondern uns auch auf örtliche Traditionen und Anforderungen einstellen. Zum Glück sah man bei SelbWERK unsere fehlende Kenntnis deutscher Richtlinien nicht nur als Manko, sondern auch als Gelegenheit, überkommene Gewohnheiten infrage zu stellen.

Warum die knalligen Farben?
Bei der Wahl der Fassadenfarben haben wir verschiedener Parameter, wie etwa den städtebaulichen Kontext und die Nutzung als Kinderhort, aufeinander abgestimmt. Das andere realisierte Projekt aus Europan 9, ein Jugendzentrum und -hotel, haben wir mit der gleichen Typologie entworfen, es hat aber eine andere Fassade, mit anderen Materialien, Farben, und einen anderen Maßstab. Auch diese Lösung wurde aus dem Kontext und dem baulichen Programm entwickelt.

Ist Ihnen die karikierende Wirkung bewusst?

Dieser Eindruck entsteht nur, wenn man das Gebäude isoliert betrachtet. Selb besitzt viele Gebäude mit farbenfrohen Fassaden. Die meisten haben einen Verputz in Blau, Rosa, Gelb, Lila, Grün usw. Das Projekt integriert sich in diesen Rhythmus, verdichtet und betont dieses ortstypische Merkmal aber durch stärkere Kleinteiligkeit und durch hellere und intensivere Farben. Differenzierung und Integration fügen sich hier also, so paradox das erscheinen mag, zusammen.

Das Haus der Tagesmütter lässt sich teilen und kann zu zwei eigenständigen Wohneinheiten werden – wieso gibt es diese Option?
Das „Haus der Tagesmütter“ war für uns eine unbekannte Bauaufgabe. Sein Programm wurde zusammen mit den Tagesmüttern erarbeitet. Wir legten sechs Zonen fest – Erschließung, Spielen, Technik, Büro, Brücke und Stauraum –, die quer miteinander verbunden sind. Da wir es mit drei Altersgruppen zu tun haben, schlugen wir vor, sie auf drei Geschossen unterzubringen. Verschiedene Nutzungszeiten erforderten zwei Zugänge. Der eine führt ins Erdgeschoss, der andere schafft eine Verbindung zwischen den Geschossen und bietet zugleich einen Raum, in dem Begegnungen und Veranstaltungen stattfinden.

Das Haus der Tagesmütter ist ein Schritt auf dem Weg, die Innenstadt zu beleben. Was geschieht in der Nachbarschaft?
Im Zuge des Projekts entwickelte die Stadt andere Hausprojekte im gleichen Block, alle zusammen sollen die Leere füllen, die Nachbarschaft revitalisieren. Inzwischen gibt es einen wunderbaren gemeinsamen Ort für die Anwohner: den neuen Park im Blockinneren, ein Beispiel für jene „Town-Halls“, die wir im Beitrag für Europan 9 vorgeschlagen hatten.

Werden Sie weiter in Selb arbeiten?

Wir stehen hier kurz vor Vollendung unseres zweiten E9-Projekts, dem Neubau des Jugendzentrums und -hotels. 2011 gewannen wir dann in Selb den ersten Preis beim Wettbewerb „IQ Innerstädtische Wohnquartiere“, ein Projekt für junge Familien zur Wiederbelebung der Innenstädte. Die Realisierung wird bald beginnen.  



Fakten
Architekten Gutiérrez–dela Fuente + TallerDe2, Madrid
aus Bauwelt 1-2.2013
Artikel als pdf

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