Bauwelt

Modepavillon


Viermal neu aufgestellt


Text: Spix, Sebastian, Berlin


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    Juliane Eirich

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Der Pavillon, den Rem Koolhaas für Miuccia Prada in Seoul entwarf, besteht aus geometrischen Widersprüchen. Die vier Grundformen Sechseck, Rechteck, Kreuz und Kreis wurden in die Seitenflächen eines Tetraeders eingelassen. Viermal wurde der temporäre Bau in die Luft gehievt, gekippt und für eine jeweils neue Nutzung wieder auf den Boden gestellt.
Rem Koolhaas und seine Zweitfirma AMO waren in letzter Zeit wieder für Miuccia Prada tätig: unter anderem beim Umbau einer Mailänder Schnapsbrennerei zur Galerie für die Prada-Stiftung, bei der Ausgestaltung von zwei „Catwalks“ sowie beim Entwurf einer T-Shirt-Kollektion. Jüngstes Ergebnis ist die Realisierung eines Pavillons für Seoul, dessen hochgestecktes Ziel „Interaktionen zwischen Kunst und Mode, Kunst und Architektur und Mode und Architektur“  sein sollen.
Entstanden ist ein merkwürdig unförmiges Objekt, ein zur Seite kippbarer Pavillon, der durch Rotation in immer neue Positionen gebracht werden kann, um ganz unterschiedlichen Veranstaltungen als Kulisse zu dienen: Modenschau und -ausstellung, Kunstinstallation und Filmpräsentation.
Auf der Suche nach einem adäquaten Standort wurde man auf dem Grundstück des Gyeonghui Palastes fündig. Das rechteckige Terrain ist von hohen Bäumen eines Parks umgeben, dessen äußere Mauern an den Business District und das Historische Museum angrenzen. Der im 16. Jahrhundert errichtete Palast ist Teil eines Ensembles aus insgesamt fünf Palästen der ehemaligen Joseon-Dynastie. Unter der japanischen Besatzung wurde der Palast im Herzen der Stadt abgetragen und erst 1985 rekonstruiert. Der 20 Meter hohe Pavillon wurde direkt vor dem abgetreppten Prunkbau platziert.
Vier ganz verschiedene Seiten
Die Form des Pavillons ist ein Tetraeder, dessen vier Seiten unter einer dünnen, elastischen Membran namens „Cocoon“ verhüllt sind. Die dreieckigen Seitenflächen gründen also auf der Basisfläche einer dreieckigen Pyramide. Die konkrete Ausformung dieser Flächen ist jedoch, anders als bei einem herkömmlichen Tetraeder, unregelmäßig. In die Seiten des Vierflächers sind ein Sechseck, ein Rechteck, ein Kreuz und ein Kreis einbeschrieben. Jede dieser Seiten ist – für den Fall, dass sie selbst Bodenfläche wird – mit wechselnden thematischen Nutzungen verknüpft. 
Das polygonale Hexagon bildet die erste Grundfläche und erinnert vage an einen platt auf den Boden gelegten, aufgefalteten Rock. Nach einer ersten „Wendung“ liegt der Pavillon dann auf dem Rechteck. Bei einer nächsten Drehung setzen die „armigen Auskragungen“ des griechischen Kreuzes auf dem Erdboden auf; schließlich wird der Kreis auf den Boden gekehrt – solange dieser Kreis noch eine der Seitenflächen bildet, gleicht er dem rotierenden Blatt einer überdimensionalen Turbine. Die Stahlkonstruktion dieses bizarren Tetraeders besteht aus Doppel-T-Trägern und ist alles andere als ein Leichtgewicht: Sie wiegt 180 Tonnen. Zu einem homogenen Ganzen wird der Tetraeder erst durch die elastische PVC-Haut, hinter der sich auch von außen die Schatten der Stahlkonstruktion abzeichnen.
Milchige Oberfläche
Das amerikanische Verteidigungsministerium entwickelte diese plastische Folie in den fünfziger Jahren als „Einmottungs­system“, um nicht benutzte Kriegsschiffe, Panzer und Flugzeuge vor Oxidation, Schimmel und Feuchtigkeit zu schützen. Heute dient die flexible, dehnbare Haut, hergestellt von der holländischen Firma Cocoon, als nahtlos produzierbare Dach-, Fassaden-, und Innenraum-Isolationsbeschichtung. Dank der Möglichkeit ihrer wasserdichten, dampfresistenten Anwendung wird die abziehbare Kunststofffolie hauptsächlich für industrielle Bauten wie Brauereikessel, Klärwerkstürme, Ölförderpumpen, im Operationssaal und in Laboren oder auch als Skulpturenüberzug verwendet.
Gleich einem Textil aus der aktuellen „Donna“-Kollektion von Prada, verkleidet die „Cocoon-Membran“ das kantige Stahlgerüst des Pavillons ohne jede Naht. Vorab wurde diese Haut an einem Arbeitsmodell von OMA vermessen. Die Hülle entstand, indem man einzelne Folien – eine jede ist selbst nur anderthalb Millimeter stark – zunächst „ausfachend“ von ei­nem Träger zum nächsten spannte. In einem nächsten Arbeitsgang folgte die Bemantelung mit insgesamt acht Folien­lagen per Sprühtechnik, so dass die einzelnen Teile schließlich zu einem fugenlosen „Kokon“ verschmolzen. Aus dieser Haut stoßen allerdings  Klimatisierungs- und Belüftungsrohre hervor, die an Luftansaugrohre eines U-Bootes erinnern. Der Innenraum wird, wie bei einem Campingzelt, über einen Reißverschluss geöffnet und verschlossen.
Nach jeder Veranstaltungreihe muss die Innenausstattung für die Rotation der Stahl-Membrankonstruktion komplett deinstalliert werden. Seitlich aufgestellte Container beherbergen, angedockt an einen 70 Meter langen Korridor, Kü­chen, Büros und WCs.
Konstruktion und Ausstellung
Der Spatenstich für den Pavillon erfolgte am 13. Januar dieses Jahres. Wegen des Gewichts waren Einzelfundamente und zum Tragen der Hauptbelastung ein zentrales Ringfundament notwendig. Innerhalb von zwei Wochen wurden dann 250 unterschiedliche Stahlstücke mit Hilfe von Kränen zu einem Gerippe teils verschweißt und teils verschraubt.
Für die Drehung wird der Pavillon von den Fixierungen auf den Fundamenten losgelöst. Dann packen ihn vier Kräne an den Greifringen der Stahlkonstruktion, drehen ihn in der Luft und setzen ihn auf seiner neuen Grundfläche wieder ab. Die ganze Prozedur dauert 40 Minuten, danach erfolgt im Inneren die Installation für den neuen Event.
Während der ersten Veranstaltung, als Prada die neueste Kollektion vorstellte, nutzte man den bizarren Hintergrund von stählernem Kreuz, Rechteck und Kreis als Szenerie für die Präsentation; der Raum blieb im Inneren relativ hell. Für die drei Wochen dauernden Filmvorführungen, die im Anschluss gegeben wurden, musste es dunkel sein. Mit Hilfe von Magneten wurden schwarze Filzvorhänge an der Stahlkonstruktion befestigt, der Projektor schoss, in einen Zylinder verpackt, seine Lichtstrahlen auf die Leinwand, 100 Klappsitze bildeten ein kleines Auditorium. Ganz abdunkeln ließ sich der Raum aufgrund seiner komplizierten Geometrie allerdings nicht.
Als dritter Akt folgte die Ausstellung der niederländi­schen Künstlerin Nathalie Djurberg. Auf dem Kreuzgrundriss waren dolmenartige Installationen platziert, die Stahlkons­truktion der drei Seitenwände war durch eine cremefarbene Stoffbedeckung höhlenartig verkleidet. Der vierte und letzte Akt fand auf der Kreisfläche statt: ein Zwei-Tage-Event Anfang Oktober, inszeniert als sogenanntes „The Students Take Over“: Die Membran wurde aufgerollt, das Gebäude ein letztes Mal gedreht und schließlich der Abbau eingeleitet, während im Inneren des sich selbst auflösenden Gebäudes letzte Diskussio­nen und eine „Pecha Kucha-Nacht“ unter Beteiligung verschiedener Universitäten stattfanden.



Fakten
Architekten AMO, Rotterdam; OMA, Rotterdam; Koolhaas, Rem, Rotterdam; van Loon, Ellen, Rotterdam; Adeyemi, Kunle, Rotterdam; Casteren, Kees van, Rotterdam; Duijn,Chris van, Rotterdam
Adresse 1-126, Sinmunno 2(il)-ga (street), Jongno-gu Seoul/ Gyeonghuigung Palace Garden, South Korea


aus Bauwelt 39-40.2009
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