Bauwelt

Wohnhaus


„Wir bauen Häuser für Men­schen mit Wissen“


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    Liu Xiaoguang

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Das Wohnhaus liegt in einer traditionellen chinesischen Gemeinde im ländlichen Raum und ist für Urlaube oder als vorübergehendes Atelier vorgesehen. Wie in einem histo­ri­schen chinesischen Wohnhaus ist der Grundriss zen­tripetal geordnet.
Er wird von dicken Ziegelmauern gebildet, die das nach innen gerichtete Wohnverständnis verkörpern. Die regional typischen Materialien für Haus und Möbel stehen für einen einfachen Lebensstil.

Das freie Rahmenwerk der Ziegel-Beton-Konstruktion und die unabhängig zwischen Wänden und Bodenplatte angeordneten Balken und Stützen lassen einen „fließend“ strukturierten Raum entstehen. Der Kontrast zwischen der linearen Struktur des Inneren und der Oberfläche der Wände im Außenraum entspricht der Ästhetik alter chinesischer Wohnhäuser mit ihrer Dualität von innen und außen.



Sie haben an der Universität Stuttgart studiert – wie verbinden Sie chinesische Prinzipien mit der westlichen Architektur in ihren Entwürfen?

Ein Ausdruck der metaphysischen Philosophie, nach der gebildete Chinesen in der traditionellen Gesellschaft bauten, ist das „Internieren“ oder „Hineinführen“. Mit Mauer, Patio, Innenhof und Terrasse wurden komplexe, ruhige Räume geschaffen. So „interniert“, wurde die unbegrenzte Groß-Natur zur begrenzten Klein-Natur, die sich betrachten lässt.

Ein anderer Aspekt ist das Licht. Komplexe Formen können nicht direkt der Sonne ausgesetzt sein. Daher treten Schatten und diffuses Licht an Stelle des direkten Sonnenlichts. So entsteht ein Bild der schlichten, geschlossenen und niedrigstufigen Ästhetik.

Ein dritter Aspekt, nah zur westlichen modernen Architektur, ist die lineare Konstruktion. Unzählige konventionelle chinesische Gebäude besaßen Holzkonstruktionen. In diesem System folgen sämtliche Strukturen der Ästhetik der Linie. Das Gegenspiel von Balken und Stützen besteht in der Kunstfertigkeit der Knoten, die aufgrund ihrer hoch entwickelten Systematik miteinander kombiniert werden konnten.

Viertens: naturnahe Materialien. Holz, Stein und Erde sind umweltfreundliche Baustoffe, die ästhetischen Anforderungen und einer spirituellen Dimension entsprechen. Naturnahe Materialien brauchen nur reduzierte Bearbeitung. Sie bleiben haptisch und nah an der Emotion des Menschen.

In der westlichen Architektur beschäftigt mich am meisten der Grundsatz der Trennung von Elementen, wie Mies van der Rohe sie praktiziert hat. Wand, Boden, Dach, Tragwerk sind bei Mies alle separat. Dies ist voll vom Geist der westlichen Analytik und sehr geeignet für die Erneuerung der traditionellen chinesischen Bauweise. Auch dort werden Wand und Stütze voneinander getrennt betrachtet – selbst die Materialien sind völlig unterschiedlich. Demgemäß lassen sich die lineare Ästhetik und die Kunstfertigkeit des Knotenpunkts mit der Beton- oder Stahlkonstruktion vergegenwärtigen. Zugleich können die Wände aus Backstein, Holz oder anderen modernen, aber einfachen Materialien wie z.B. Glasziegeln bestehen. Prinzip ist immer, die Rollen von Wand und Stütze auf der strukturellen wie auf der ästhetischen Seite vollständig voneinander zu scheiden.

Welchem Nachhaltigkeitsstandard entspricht die Bauweise?
An diesem Punkt in der Entwicklung der Architektur müssen wir fragen, ob die Baubranche nicht zu viel Aufmerksamkeit auf Einzelaspekte legt. Im frühen 20. Jahrhundert gab es in Europa einfach gebaute Architektur, die aber erfüllt war von revolutionärem oder künstlerischem Geist. Wenn wir heute eine Wand in fünf Schichten planen, hat das nichts mit Sorge um den Menschen, sondern ist eher der Versuch, mit einem Kompromiss auf physiologische Bedürfnisse einzugehen.

Das Backstein-Haus hatte ein sehr knappes Budget. Das Haus liegt in der Nähe von Ningbo in Ostchina, wo die Mindesttemperatur im Winter um den Gefrierpunkt liegt, es aber etwas feucht ist. Zur grundlegenden Heizung wurde ein Kamin in der Mitte des Wohnzimmers vorgesehen, denn Brennholz steht ausreichend zur Verfügung. Für uns ist das Haus eine Probe, die den einfachen, modernen und pastoralen Lebensstil anregt. Dieser low carbon lifestyle bestimmt den Nachhaltigkeitsstandard.

Wie sind die Möglichkeiten für junge Architekten in China heute?
Man muss der Verlockung großer Projekte widerstehen. Das heutige China gilt als Paradies der experimentellen Architektur. Wir hingegen bemühen uns, die Architektur von Chinesen selbst zu schaffen. In ein paar Jahrzehnten, so hoffen wir, werden die von uns entworfenen Häuser nicht nur uns gehören, sondern das darin verborgene Wissen kann auch anderswo auf der Welt akzeptiert werden. Darauf wären wir stolz. Wir bauen Häuser für Menschen mit Wissen, aber nicht unbedingt komplexe Häuser. Das, was wir entwerfen, ist nicht nur die geistige Heimat für die Benutzer, sondern auch ein Ort, an dem die Seele zur Ruhe kommen kann.

In welcher Nachbarschaft steht Ihr Haus?

Die Umgebung ist schlicht. Wir wollten ihre Stimmung aufgreifen, ein Haus planen, das sich in sein Umfeld einpasst. Auf dem Land kann die historische Siedlungsstruktur erhalten bleiben und sich kontinuierlich weiter entwickeln. Nur hier kann man ein wesentliches Haus planen, ohne sich mit der Epidermis, mit Parametrisierung und Formverzerrung auseinandersetzen zu müssen. Nur hier kann man weit weg vom Lärm des Konsum-Kapitalismus arbeiten; nur hier kann das Haus geschaffen werden, in dem man bis zum Tod leben will.



Fakten
Architekten Anonymous Archi­tecter & Partner, Wang Hao, Guanshan
aus Bauwelt 1-2.2013
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