Bauwelt

Alles Ständische und Stehende verdampft

Text: Yde, Marie Bruun, Berlin; Landes, Josepha, Berlin

Alles Ständische und Stehende verdampft

Text: Yde, Marie Bruun, Berlin; Landes, Josepha, Berlin

Die Freizeit wurde schon längst als urbanistische Impulsgeberin entdeckt. Die Künstler Dirk Paschke und Daniel Milohnic etwa haben es 2001 auf der Kokerei Zollverein mit dem Werksschwimmbad und NL Architects 2003 in Utrecht mit der BasketBar vorgemacht: An die Stelle von Maloche und Vorstadt-Tristezza traten Bade- und Ballspaß. Das verkauft sich! Wer will schließlich noch langweilige Programme wie Parkhäuser sehen, wo „rekreative Nutzungen“ der Stadt so viel spannendere Möglichkeiten bieten.
Wie aber kann es gelingen, Projekte nicht nur spektakulär und einzigartig zu gestalten – wie Superkilen in Kopenhagen – sondern sie auch beiläufig mit Mehrwehrt auszustatten? Jeder dritte EU-Bürger bewege sich nicht genug, sagt die WHO. Als einen Grund für die Trägheit führt sie neben Digitalisierung und Rückzug ins Private auch den Mangel an Parks, Fußwegen, Freizeit- und Erholungsanlagen in Städten auf.
Das scheint paradox angesichts vielseitiger Nutzungsmöglichkeiten, die teils schon ohne viel Aufwand umsetzbar sind; in Erfurt gibt es zum Beispiel eine imposante Schaukel, die recht beliebt ist. Aber auch angesichts des Klimawandels wundert man sich – haben warme Temperaturen noch im Winter doch immerhin den Vorzug, dass Kaffeetrinken auf der Terrasse möglich bleibt. Dazu kommt die Knappheit an verfügbarem privatem Raum, gerade in den Zentren. Der städtische Raum bietet Verbesserungsmöglichkeiten für das menschliche Wohlbefinden und das Gemeinwesen auf vielen Ebenen. Insbesondere die Jüngeren definieren bereits Nischen und stellen Forderungen, ihn mitbenutzen zu dürfen, mit Skateboards, Graffiti, Corner-Bier.
Die Straße war schon immer ein Ort der Rebellion und Revolte. Gerade erleben wir, wie Klimaaktivistinnen dort vehement das Recht auf Stadt einfordern. Steht da auch zuvorderst eine Anklage gegen die Automobilität, beinhaltet die Barrikade doch darüber hinaus die Ansprache, Raum sei eben für alle da. Ist der Mensch im Auto denn tatsächlich nur Autofahrer? Saß er nicht erst gestern noch mit seinem Kind im Park und fand das große Schachbrett lustig? In einer Welt, die immer erlebnisorientierter und spontaner wird, deren Trugbild darin besteht, dass alles Erreichbare sofort zu erreichen wäre, läuft der städtische Raum Gefahr, zum Instrument des Establishments oder als Protestfläche dekonstruiert zu werden.
Was wäre Aktivierung, ohne Aktivismus zu sein? Und wann verbirgt sich hinter Aktivierung ein Alibi für rein private Interessen im Öffentlichen? Wir haben uns gefragt: Wodurch lassen sich Zwischenräume breitenwirksam aufwerten? Und wir waren nicht sehr überrascht, dass es nicht die Ansiedlung von Start-Ups und Sternehotellerie ist.

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