Bauwelt

Des Apfels Kern

Der Apfel als Metapher für das Ausstrahlen vom Kleinen ins Große: eine Ausstellung wirkt in den Stadtraum, gleichzeitig findet die Stadt zum Museum. In Mönchengladbach bildet sich ein neue Kultur des „Stadt-Denkens“

Text: Escher, Gudrun, Dortmund

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Antje Majewski: Inside the Apple, 2015
© Antje Majewski, Foto: Jens Ziehe

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Antje Majewski: Inside the Apple, 2015

© Antje Majewski, Foto: Jens Ziehe


Des Apfels Kern

Der Apfel als Metapher für das Ausstrahlen vom Kleinen ins Große: eine Ausstellung wirkt in den Stadtraum, gleichzeitig findet die Stadt zum Museum. In Mönchengladbach bildet sich ein neue Kultur des „Stadt-Denkens“

Text: Escher, Gudrun, Dortmund

Für das Museum Abteiberg in Mönchengladbach ist die aktuelle Ausstellung fast wie ein Eintauchen in Fragestellungen und Standpunkte, die die Gründungsphase des Museums unter der Ägide von Johannes Cladders mit Hans Hollein und Josef Beuys bestimmten. Damals forderte das Leitwort „Kunst ist Leben“ das Heraustreten der Kunst aus der Enge des Musealen in die Lebenswirklichkeit. Statt weiter vergeblich auf einen Erweiterungsbau zu hoffen, hat die heutige Leiterin Susanne Titz sich gemeinsam mit dem Künstler-Kurator Markus Ambach erneut auf diese Herausforderung eingelassen und das Museum in den Stadtraum geöffnet. Unter dem Eindruck einer von Anfang an unbefriedigenden Einbindung des Museumsgebäudes in den Stadtbezirk auf dem Abteiberg gerieten der Skulpturengarten und die angrenzenden Parkflächen ins Blickfeld, wurden zum Spielort für Ausstellun-gen wie für auch dauerhafte Installationen. Das Langzeitprojekt „Ein ahnungsloser Traum vom Park“ begann 2012 und trat jetzt in die nächste Phase ein – angeregt durch die aktuelle Ausstellung im Museum „Der Apfel. Eine Einführung (immer und immer und immer wieder)“.
Äpfel als Mittler zwischen Kunst und Stadtraum? Zwischen Idee und Lebenswirklichkeit? Die Ber-liner Künstlerin Antje Majewski und ihr polnischer Kollegen Pawel Freisler binden all’ dies und noch viel mehr zusammen. In Mönchengladbach fallen ihre Äpfel sprichwörtlich gerade jetzt auf fruchtbaren Boden. Das Masterplanverfahren  „MG 3.0“ mit Nicolas Grimshaw (Bauwelt 14.2013) hat neue Wege aufgezeigt, wie Bürger ihre Stadt neu „denken“ können. Eine andere Denkkultur entwickle sich, berichten Susanne Titz und Taco de Marie, niederländischer Landschaftsarchitekt und Leiter des Fachbereichs Stadtentwicklung und Planung in Mönchengladbach. Einen weiteren Anstoß gab der Neubau des Einkaufszentrums MINTO auf dem Gelände des früheren Gerichtsgebäudes, in dem das Museum während der Generalsanierung seines Hauses 2006–2007 Unterkunft fand. Bisher hatte der Projektentwickler mfi AG (Stifter des renommierten Preises „Kunst am Bau“) jedes seiner Center mit einem Kunstwerk ausgestattet, teils innen, teils vor der Tür. Anders in Mönchengladbach. Hier bot sich nach Abriss eines zuletzt als Bauhütte genutzten Gewerbebaus die Chance, eine freiräumliche Verbindung zwischen der Fußgängerzone Hindenburgstraße, an die das MINTO anschließt, und der Abfolge der Parks bis zum Museum herzustellen. Darauf ließ sich die mfi ein. Anstatt das Grundstück neu zu bebauen, entsteht nun nach Plänen der Bildhauerin und Rektorin der Düsseldorfer Kunstakademie Rita McBride der „Sonnenhausplatz“, mit der Folge, dass die bisher abwandte Umgebungsbebauung sich dem neuen Stadtraum zuwendet. Ein erster wichtiger Schritt: Die VHS am Fuße des Hans-Jonas-Parks wird ihren Haupteingang auf die Parkseite verlegen. Dies alles wird sich ein-fügen in den in Aufstellung begriffenen Rahmenplan „Abteiberg“ als Teilbereich des Masterplans.
Thema der aktuellen Ausstellung im Museum Abteiberg ist die alte Kulturfrucht Apfel mit ihren kunst-, kultur- und naturhistorischen Implikationen, ausgebreitet von einer ganzen Reihe Künstler, in eher versteckten Verweisen als in plakativer Darstellung. In Gemälden, Skulpturen, Objekten, Naturmaterialien, Projektionen und 3D-scans paart sich ästhetischer Genuss mit Erkenntnisgewinn. So erfährt man in Majewskis Film „Die Freiheit der Äpfel“, dass die Uräpfel aus dem Kaukasus stammen, dass nur aus aufgepfropften Gehölzen neue fruchttragende Bäume wachsen, lernt etwas über traditionelle wie gentechnische Züchtung und dass alle gängigen Apfelsorten inzwischen von dem einen Golden Delicius abstammen. Gegenpol ist das Bemühen um Biodiversität, d.h. die Bewahrung alter Apfelsorten, für die sich etwa der Apfelexperte Eckhart Brandt stark macht. Biodiversität bedeutet Vielfalt des Einzigartigen und Befreiung von den Restriktionen einer effektiven, technokratischen Formung des Lebens im Allgemeinen und des Apfels im Besonderen. Konsequente Ergänzung zur Ausstellung im Museum war da die Einrichtung eines Apfelgartens mit der Pflanzung von sechs alten, regional typischen Apfelsorten auf einer bisher kaum wahrgenommenen Restwiese im Park. Dafür und für Patenschaftsaktionen für Apfelbäume in der ganzen Stadt schloss sich ein großer Kreis von Unterstützern dem Projekt an, von der Stadtgärtnerei und einer niederrheinischen Baumschule über bestehende bürgerschaftliche Gruppierungen, wie der Transition Town Initiative und dem NABU, bis zu den Park-Nachbarn VHS und Stiftisches Humanistisches Gymnasium. Zum zweiten „Apfelfest“, Mitte September, waren bereits 70 Paten gefunden. Nun hat die Stadt-planung die nicht so leichte Aufgabe, im öffentlichen Raum etwa 100 Standorte für neue Apfelbäume zu finden, die die Paten pflanzen und pflegen können – und so ganz nebenbei mit größerer Aufmerksamkeit ihre Stadt sehen.
Es ist die andere, die künstlerische Wahrnehmung der Dinge und der Verhältnisse, die den Blick zugleich fokussiert und weitet. So auch Majewskis in traditioneller Manier gemalte Apfel-Bilder von einzelnen Exemplaren botnisch benannter Apfelsorten, alle im selben Format, fast wie im Botanikbuch. Aber eben nur fast. Das Großformat des aufgeschnittenen Apfels gerät zum Paradigma von Einheit in der Vielheit, von Ausstrahlung aus dem Kleinen der Kerne hinaus ins Große der Gesamtform, von natürlicher Harmonie ohne technoide Regelhaftigkeit: Ein Paradigma für die Entwicklung von Gesellschaft und Stadt „(immer und immer und immer wieder)“? Angesichts der gewaltigen Zuwanderungsströ-me seit wenigen Wochen von ungeahnter Aktualität.

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