Bauwelt

Die Poesie des Brutalismus

Kongenial: Eine Münchner Ausstellung zeigt Carlo Scarpas Friedhof Brion in Fotografien von Klaus Kinold

Text: Stock, Wolfgang Jean, München

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    Grabstätte der Unternehmerfamilie Brion von Carlo Scarpa. „Die orthogonale Zackenkehlung präsentiert sich als durchgängiges, ­variantenreiches Leitmotiv. Es findet sich bereits in ­der regionalen Baukultur des Veneto, lässt sich aber auch bei Frank Lloyd Wright ­nachweisen“, steht im Ausstellungskatalog zu dieser ­Detailaufnahme einer Ecke der Kapelle.
    Foto: Klaus Kinold

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    Grabstätte der Unternehmerfamilie Brion von Carlo Scarpa. „Die orthogonale Zackenkehlung präsentiert sich als durchgängiges, ­variantenreiches Leitmotiv. Es findet sich bereits in ­der regionalen Baukultur des Veneto, lässt sich aber auch bei Frank Lloyd Wright ­nachweisen“, steht im Ausstellungskatalog zu dieser ­Detailaufnahme einer Ecke der Kapelle.

    Foto: Klaus Kinold

Die Poesie des Brutalismus

Kongenial: Eine Münchner Ausstellung zeigt Carlo Scarpas Friedhof Brion in Fotografien von Klaus Kinold

Text: Stock, Wolfgang Jean, München

Wer besonders schöne Ausstellungsräume kennenlernen möchte, der kann in München, am Rand der Maxvorstadt, fündig werden. Dort liegt in einem Rückgebäude die Galerie von Walter Storms. Die Geschichte dieses Hauses ist ein gutes Beispiel für Umnutzung im Bestand. Ursprünglich war es 1925 vom Architekten Max Littmann als Kraftfahrzeughalle errichtet worden. Nach dem Krieg diente das Gebäude gewerblichen Zwecken, ehe es Mitte der 90er Jahre – nach einem Umbau und dem innenarchitektonischen Feinschliff durch Gesine Weinmiller – erstmals von einer Kunstgalerie bezogen wurde. 2009 eröffnete dann Walter Storms seine Galerie in den auf Anhieb beeindruckenden Räumen.
Es sind Räume, wie sie der unvergessliche Museumsleiter Jean-Christophe Ammann für die Kunst gefordert hat. Die Folge der drei wohlproportionierten, nach oben hin offenen Säle bildet einen noblen Hintergrund für die ausgestellten Werke. Nichts lenkt von der Kunst ab: Die Räume sind hell gestrichen, die Öffnungen zwischen ihnen einfach geschnitten, die Böden neutral, erst in der Höhe erblickt man die Fensterbänder im sichtbar belassenen Dachtragwerk. Dieses reduzierte Ambiente belebt nun Carlo Scarpa mit seinem Privatfriedhof Brion im oberitalienischen San Vito d’Altivole, wiedergegeben durch die kongenialen Bilder des Münchner Architekturfotografen Klaus Kinold.
Im Schaffen des großen Einzelgängers Carlo Scarpa (1906–1978) stellt der Friedhof für die Unternehmerfamilie Brion sein spätes Meisterwerk dar, an dem er fast zehn Jahre lang gearbeitet hat, bis zu seinem Ableben. Die kleine Totenstadt führt vor Augen, wie Scarpa das Erbe der frühen Moderne (etwa von Frank Lloyd Wright) mit der Tradition venezianischer Handwerkskunst baumeisterlich verbunden hat. Die Grabstätte, die durch ihr erhöhtes, von schrägen Mauern gefasstes Niveau den Dorffriedhof wie eine Bastion umschließt, ist von der Komposition der Anlage bis hin zur Kultivierung der Details ein Gesamtkunstwerk. Der Sichtbeton als Grundmaterial wurde so unterschiedlich behandelt, dass er einerseits ruppig und abweisend wirkt, andererseits fast zierlich und zerbrechlich.
Diese Poesie des Brutalismus hat Klaus Kinold in seinen Fotos meisterhaft eingefangen. Auf Anregung von Karljosef Schattner reiste er 1985 nach San Vito und fand die Friedhofsbauten so vor, wie sie sich Scarpa gewünscht hatte: eingewachsen in üppiges Grün mit den ersten Zeichen einer kalkulierten Patina, wodurch etwa die abblätternden Putzflächen eine feine Farbigkeit auf den Betonmauern zum Vorschein kommen ließen. Kinold, der bei Egon Eiermann ausgebildete Architekt, ist durch seinen Leitsatz „Ich will Architektur zeigen, wie sie ist“ international bekannt geworden. Auch den Friedhof hat er mit den Augen eines Architekten gesehen. Für ihn ist Architekturfotografie ein Bereich der Sachaufnahme und nicht der künstlerischen Reportage: „Sie soll das Gebäude zeigen, wie es sich dem Betrachter in der Realität jederzeit darstellt. Der einzigartige Moment, das einmalige Licht, der artistisch riskante Blickpunkt sind hier gerade nicht die Voraussetzung für ein gelungenes Bild.“
Auch wer – wie der Autor dieses Textes – den Friedhof schon begangen hat, verspürt nach dem Besuch der Ausstellung das Bedürfnis, sich noch einmal dem Erlebnis auszusetzen. Das ist jedoch nicht möglich, weil die Grabstätte derzeit grundlegend saniert wird. Umso schöner, dass man in der Münchner Galerie die Anlage erkunden kann – vom Außenraum bis hin zu wichtigen ­De­­­- tails, die in Farbfotos (für Kinold ansonsten keine Präferenz) präsentiert werden. Im Mit­telpunkt steht die Kapelle, die nahezu alle Motive des Friedhofs vereinigt: das Spiel der Öffnungen zwischen innen und außen, den ständigen Wechsel von Enge und Weite sowie die Bezüge zum Wasser. Als „Schrein“ für Trauer und ­Andacht erfüllt die Kapelle den Hauptsatz von Scarpa: „Architektur muss kostbar sein.“
Publizistisch ist Carlo Scarpa selten verwöhnt worden. Selbst die große Monografie bei Phaidon aus dem Jahr 2013 zeigt vom Friedhof schlechte Fotos, die das Bauwerk grob verunklären. Deshalb ein großes Lob für das Buch zur Münchner Schau, bei dem alles überzeugt: die Gestaltung durch das Atelier Kinold, der Essay des Fotohistorikers Hans-Michael Koetzle, der Druck, nicht zuletzt die verwendeten Papiere.

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