Bauwelt

Große Freiheit

Bauwelt-Redakteurin Friederike Meyer hat die legendären Utopisten-Paradiese im Westen der USA besucht. Was ist aus den alternativen Lebenskonzepten des 20. Jahrhunderts geworden? Wir beginnen die Reihe mit der kalifornischen Aussteiger-Oase Slab City.

Text: Meyer, Friederike, Berlin

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    Jacks Geschäfte in San Francisco liefen nicht mehr, jetzt lebt er in Slab City.

    Foto: Dirk Dähmlow

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Große Freiheit

Bauwelt-Redakteurin Friederike Meyer hat die legendären Utopisten-Paradiese im Westen der USA besucht. Was ist aus den alternativen Lebenskonzepten des 20. Jahrhunderts geworden? Wir beginnen die Reihe mit der kalifornischen Aussteiger-Oase Slab City.

Text: Meyer, Friederike, Berlin

Hinter den Gleisen bei Niland, dort, wo der Asphalt immer brüchiger wird und alte Reifen am Straßenrand liegen, beginnt Slab City. „Welcome“ verkündet die Aufschrift eines Betonbunkers, wie wir ihn von den Nachrichtenbildern der Grenzposten in Krisengebieten kennen. Unser iPhone zeigt 42 Grad Celsius, ein Trinkwasser-Kanister liegt am Straßenrand. In der Hitze flirrt ein farbig bemalt er Hügel, „Salvation Mountain“. Er ist das Lebenswerk des Künstlers Leonard Knight, der Anfang des Jahres gestorben ist, und das Wahrzeichen von Slab City. Sean Penn drehte hier Szenen von „Into the Wild“, Heidi Klum ließ ihre Models posieren, Tassen und T-Shirts sind im Internet zu haben.
Der gelbe Mittelstreifen auf dem Asphalt kündet von ernsteren Zeiten. Einst trainierte die US-Armee hier für den Zweiten Weltkrieg. In den 60er Jahren kamen die ersten Camper und parkten ihre Wohnmobile auf den Betonfundamenten der Kaserne (engl. Slabs), um im milden Wüstenklima von Südkalifornien den Winter zu verbringen – ohne Standmiete, aber auch ohne Toiletten, ohne Wasser- und Stromanschluss.
Heute ist Slab City als Ort bekannt, in dem man ohne gesellschaftliche Zwänge leben kann. Niemand muss sich hier registrieren, keiner fragt nach der Vergangenheit des anderen. Bürgermeister oder Polizei gibt es nicht. Die Landnahme funktioniert nach dem Prinzip „Wer zuerst kommt, mahlt zuerst.“ Aussteiger, Gescheiterte und Rentner fühlen sich angezogen, auch Gangster und Opfer der jüngsten Wirtschaftskrise sollen unter ihnen sein.
Wie wohnt man auf einem der letzten mietfreien Flecken der USA? Der Plan, den wir im Internet gefunden haben, zeigt 23 Slabs. Auf den Sandwegen zwischen vertrocknetem Buschwerk passieren wir etwa 30 „Anwesen“ – Wohnwagen oder Busse, denen verschiedene Konstruktionen zur Schattenspende vorgelagert sind. Einige haben Solarpanele oder Windräder auf dem Dach. Mal sind die Behausungen liebevoll bemalt, mal mit Zäunen aus Autoteilen oder alten Holzlatten umstellt. An Baumaterial herrscht kein Mangel, offenbar lässt, wer sich wieder davonmacht, einfach alles stehen und liegen. In dieser Mischung aus Hippiedorf, Wüstenslum und Müllhalde ist weit und breit niemand zu sehen.
Wir trotzen der Hitze, machen ein paar Fotos und treffen auf Jack, der uns hineinbittet in seinen Bretterverschlag. Graue Dreadlocks zotteln neben seinen schmalen Wangen. Der Sessel, in dem er sitzt, steht halb im Staub, halb auf den Resten einer Kabeltrommel, mit denen er den Boden seines Wohnzimmers belegt hat. Über ihm stoppen Holzlatten und Netze die Wüstensonne. Vor über zwei Jahren ist er nach Slab City gekommen. Seine Geschäfte in San Francisco, erzählt er, seien nicht mehr gut gelaufen und er habe nach einem Ort gesucht, wo er umsonst leben könne, bis es besser wird.
„Im Winter wird es hier richtig voll“, sagt Jack. Dann kommen die „Snow-Birds“ mit ihren Wohnmobilen, diejenigen, denen es im Winter im Norden zu ungemütlich ist. Dann wird gefeiert und getanzt bis im Februar alle wieder weg sind. Jack sprüht sich etwas Wasser ins Gesicht. Es werde noch heißer die nächsten Monate, sagt er und zeigt auf einen Schlauch unterm Bretterdach, aus dem kontinuierlich Wasser auf den Boden tropft. Langweilig sei ihm nicht, es gäbe immer was zu tun. Am Vormittag sei gerade der Wasserlieferant da gewesen. 20 Dollar nehme er für 10 Gallonen. Das Propangas, mit dem Jack kocht, kostet 14 Dollar und reicht für 3 Monate. Demnächst will er eine Küche bauen. Jack wirkt zufrieden mit seinem Zuhause. Niland, das 1000-Seelendorf nebenan, habe nicht einmal eine Bibliothek, sagt er. In Slab City gäbe es ein Internet-Café, ein Kino, sogar einen Skulpturenpark – und jeden Samstag Party mit Livemusik.
Dass das Nebeneinanderherleben, dass die große Freiheit in Slab City trotz allem nicht ohne Konflikte abläuft, verdeutlicht die Website slabcity.org, die sich als die offizielle bezeichnet. Von Würde, Anstand und Respekt wird dort geschrieben und von Plänen des Staates Kalifornien, Slab City „zu schließen“. Das Problem sei der Müll. Manche kippten ihre Abfälle einfach in ein Loch, das sie neben dem Wohnwagen gegraben hätten.

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Bilder Zu Besuch in Slab City

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