Konzeptionell konventionell
Kasiskes Fundstück Spezial: imm cologne 2015
Text: Kasiske, Michael, Berlin
Konzeptionell konventionell
Kasiskes Fundstück Spezial: imm cologne 2015
Text: Kasiske, Michael, Berlin
Im Design wechseln Formen und Materialien gewöhnlich schneller ist als in der Architektur, trotzdem präsentierten die meisten Aussteller auf der imm cologne erneut das Bewährte. Die Öffentlichkeitsarbeiter mussten sich mitunter arg bemühen, Interesse für neue Bezugsstoffe oder Lackierungen zu wecken. Auch die Nachwuchsgestalter schlugen sich meist entweder auf die konzeptionelle oder auf die konventionelle Seite. Dafür überraschte „Das Haus“ – eine Installation, in der bislang Designer ihre Lieblingsobjekte für Küche, Bad, Wohn- und Schlafzimmer vorstellten – in diesem Jahr als räumliches Erlebnis. Mit Hilfe einer Brücke oberhalb der Ausstellungsebene eröffneten die chinesischen Architekten Lyndon Neri und Rossana Hu den Besuchern die Chance, Wohnen und Repräsentieren miteinander abzugleichen. „Wie wohnen“, die Frage stellt sich heute naturgemäß anders als in der gleichnamigen programmatischen Ausstellung von 1949. Sie bleibt jedoch unvermindert aktuell.
Cones Unfolded Seats Ihre Gestalt ist irgendwie vertrauenserweckend. Hinter der Konzeption dieser Puffs, wie Hocker ohne Beine heißen, steht das Bild von Gesteinsbrocken. Die Bezeichnung Puff stammt aus dem 19. Jahrhundert und ist von „aufbauschen“ abgeleitet – was die sich wortwörtlich entfaltenden Objekte von Jule Waibel ziemlich exakt beschreibt.
Die 1986 in Schwäbisch Gmünd geborene und dort auch ausgebildete Produktdesignerin sieht in den Cones Unfolded Seats ein „Zelebrieren der Schönheit, die sich aus Geometrie, Transformation und Spiel ergibt“. Sie bedient sich einer im Grunde einfachen Falttechnik, um flächige Materialien in die dritte Dimension zu bringen. Für die Puffs verwendet sie reinen Wollfilz, der in gefalteter Form zu Kugeln zusammengezogen wird. Oberfläche und innere Struktur sind eins, darin Stein nicht unähnlich, was durch die Färbung in erdigen Tönen unterstrichen wird.
Waibel lebt heute in Stuttgart und London. Dort beschäftigt sie sich geradezu obsessiv mit Faltungen, fachgerecht „Plissee“ genannt. Ob Kleid, Handtasche, Schirm – überall, wo sich etwas erweitern oder aufspannen kann, setzt sie plissierte Materialien wie Papier oder steife Stoffe ein. Eins steht fest: Hier ist Ornament kein Verbrechen.
Liege Koii Es ist nicht die an die abstrakte Kontur eines Fisches erinnernde Figur der Liege Koii, die Sascha Akkermann als Norddeutschen ausweist: Der 1974 in Oldenburg geborene Tischlermeister und Designer bevorzugt klare Formen, begründete Materialien, einfache Handhabung und zweckdienliche Funktion. Hinzu kommt eine präzise Verarbeitung.
Aus einer 18 Zentimeter dicken Rolle wird eine Liege, indem aus der ausgerollten Fläche zwei Seitenteile hochgeklappt und mit Spannseilen arretiert werden; dass die ganze Sache nicht auseinanderfällt, dafür sorgen zwei Kugeln an den Enden der Seile, die hinter Schlitzen fixiert werden. Das ohnehin strapazierfähige Birkenschichtholz wird gegen die Witterung durch eine aufgezogene PVC-LKW-Plane geschützt, für den Kom-fort sorgt eine auf die Form der Liegefläche zugeschnittene Polsterauflage.
An Koii fasziniert die Einfachheit – trotz der ergonomisch gekrümmten Liegefläche, die schon Le Corbusier und Charlotte Perriand von den Gesundheitsstühlen ihrer Zeit auf die berühmte „Chaiselongue basculante“ übertrugen. Anders als diese Inkunabel modernen Designs wird Koii ein nützliches Gebrauchsmöbel im Freien sein.
Kerflights Das Muster der Lampenschirme der Serie Kerflights erinnert an Gartenzäune. Die biegsamen Schirme legen die Vermutung nahe, dass sie aus einem Holz mit geringer Dichte gefertigt sind, Balsaholz etwa. Doch die in Seattle ansässige Firma graypants ist dem Material ihrer vorherigen Leuchtenkollektion treu geblieben: recycelte Wellpappe. Die Idee zu den kerflights fußt auf dem Beitrag von Jesper Jelling zu einem Wettbewerb, den graypants ausgeschrieben hatte. Der Däne hat sich auf Schneiden und Gravieren mit Laser spezialisiert, weshalb er hier die Möglichkeit untersuchte, mit dem Laser Karton auszuschneiden. Den geschlitzten Streifen befestigte Jelling als Reflektor auf einem Gerüst aus pulverbeschichtetem Metall, das auch die Leuchtfassung hält.
Die clevere Grundform eröffnet unendliche Möglichkeiten verschiedener Größen und Formen. Der Hersteller hat daraus Hänge-, Steh- und Wandleuchten entwickelt, mit einseitig farbig lackierten Schirmen, die je nach Stimmung gewendet oder ausgetauscht werden können.
Feuer kann der speziell behandelte Kartonschirm übrigens eine zeitlang widerstehen, Feuchtigkeit hingegen macht ihm den Garaus.
Feuer kann der speziell behandelte Kartonschirm übrigens eine zeitlang widerstehen, Feuchtigkeit hingegen macht ihm den Garaus.
Lounge Chair Marlon Solange man nicht darauf Platz genommen hat, stellt man sich den Marlon als perfekten Lümmel-Sessel vor. Das liegt an seinen üppigen Ausmaßen: Die Sitzfläche misst 74 Zentimeter in der Breite und 66 in der Tiefe. Doch die Sitzhöhe, nur wenig tiefer als ein Stuhl, und die niedrige Rückenlehne sorgen für Haltung – ermöglichen aber auch zahlreiche Sitzpositionen. Damit transformiert Alexander Rehn die Vielseitigkeit seines beweglichen Sofas „Cay“, das er vor zwei Jahren in Mailand vorstellte (Bauwelt 21.2013), in eine klassische Form.
Für die Gestalt ließ sich der in München tätige Designer offensichtlich von Chesterfield-Sesseln inspirieren. Der Marlon strahlt mit seinem Gestell aus Walnuss mit matter Oberfläche oder schwarz gebeizter Birne etwas Anheimelndes aus. Die Entwicklung des Sessels begann, nachdem Alexander Rehn 2013 in Mailand Axel Veit begegnete. Ihre folgende Zusammenarbeit mündete in Veits Entschluss, seine langjährige Karriere als Vertreter hochwertiger Marken durch eine eigene Kollektion zu bereichern, die nun zum ersten Mal auf der Messe vertreten war. Daraus sticht der Marlon als augenscheinliche Alternative zum üblichen Foyermobiliar in Chrom und schwarzem Leder deutlich hervor.
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