Bauwelt

Lichtzauber und Materialität

Finnische Kirchen und Kapellen in der Deutschen Gesellschaft für christliche Kunst in München

Text: Paul, Jochen, München

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    Lassila Hirvilammi Architects, Kuokkala Kirche,
    Jyväskylä, 2010

    Foto: Jussi Tiainen

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    Lassila Hirvilammi Architects, Kuokkala Kirche,
    Jyväskylä, 2010

    Foto: Jussi Tiainen

Lichtzauber und Materialität

Finnische Kirchen und Kapellen in der Deutschen Gesellschaft für christliche Kunst in München

Text: Paul, Jochen, München

Mit knapp 5,5 Millionen Einwohnern ist Finnland bei fast gleich großer Fläche viel dünner besiedelt als Deutschland, dafür aber umso waldreicher: 77 Prozent des Landes sind mit Wald bedeckt – ein einleuchtender Grund für die lange Tradition des Holzbaus in der finnischen Architektur. Der Zeitpunkt der Ausstellung in der Deutschen Gesellschaft für christliche Kunst (DG) in Mün-chen ist gut gewählt: Finnland war Ehrengast der Frankfurter Buchmesse, und unter dem Titel „Suomi Seven“ zeigt das DAM in Frankfurt noch bis 18. Januar junge Architekturbüros aus Finnland. Die Schau schließt aber auch an vorangegangene Ausstellungen von DG-Geschäftsführer Wolfgang Jean Stock zum europäischen Kirchenbau an, etwa zu Kirchen in Bayern und Österreich, zu Rudolf Schwarz oder zu Karljosef Schattner.
Welche Kontinuität die Bauaufgabe in Finnland bis in die Gegenwart hat, dokumentieren in der aktuellen Schau zehn Beispiele seit 2000. Sie wurden überwiegend von jüngeren Architekten errichtet. Den Auftakt bilden jedoch fünf Klassiker des 20. Jahrhunderts: die Studentenkapelle in Otaniemi von Kaija und Heikki Sirén (1957), Alvar Aaltos Vuoksenniska Kirche in Imatra (1958), die Tapiola Kirche in Espoo von Aarno Ruusuvuori (1965), die Kaleva Kirche von Reima und Raili Pietilä in Tampere (1966) und Juha Leiviskäs Myyrmäki Kirche in Vantaa (1984). Sie stehen für eine Zeit, in der Backstein und Beton die bevorzugten Materialien waren.
Während die Gegenwart Holz als Baustoff wiederentdeckt hat, knüpft sie in Bezug auf die Lichtführung ans 20. Jahrhunderts an: Die vorgestellten Kirchen und Kapellen behandeln Licht als immateriellen Baustoff genauso sorgfältig wie die Wahl der übrigen Materialien. Hier kommt eine weitere Tradition ins Spiel, die des Kirchenbaus als Ausdruck des Feierlichen und Erha-benen. In den meisten anderen protestantisch
geprägten Regionen Europas griff ab Mitte der 1960er Jahren die „Profanisierung“ der Kirche in Form von Gemeindezentren und Mehrzwecksälen um sich; Finnland ist diese Entwicklung erspart geblieben. Beim eingeladenen Wettbewerb für die Kuokkala Kirche in Jyväskylä etwa wünschte sich der Bauherr explizit eine Kirche, „die auch wie eine Kirche aussieht“. Der Siegerentwurf von Lassila Hirvilammi Architects nimmt mit seiner kristallinen Form eine Sonderstellung unter den neuen finnischen Holzkirchen ein (2010). Am anderen Ende der Skala steht die aus einem Studentenwettbewerb hervorgegangene Schindelkirche in Kärsämäki (2004, ebenfalls von Lassila Hirvilammi). Dort wollte die Gemeinde einen zeitgenössischen Bau, der mittels Handwerkstechniken aus dem 18. Jahrhundert errichtet werden sollte. Über 50.000 handgespaltene, geteerte Espenholzschindeln bilden die Außenhaut. Bis auf das Tragwerk wurden alle Arbeiten von 200 Laien erbracht.
Interview mit Wolfgang Jean Stock
Der Architekturkritiker hört Ende des Jahres als Geschäftsführer und künstlerischer Leiter der DG auf
Herr Stock, wie lässt sich der Kirchenbau-Boom in Finnland erklären?
In Finnland profitiert der Kirchenbau von der extremen Landflucht: Im Osten und Norden entvölkern sich ganze Regionen, in den wenigen Großstädten entstehen Stadtviertel neu. Nehmen Sie Helsinki: Im Großraum leben mit 1,8 Mio. Einwohnern dreimal so viele Menschen wie in der Stadt selbst. Dazu kommt, dass Kirchen für kulturelle Ereignisse wie Konzerte oder Ausstellungen genutzt werden. In Finnland ist die lutherische Kirche neben dem sozialdemokratischen Wohlfahrtsstaat die zweite Säule der Gesellschaft. Kirchen sind also nicht nur Orte des geistlichen, sondern auch des kulturellen und sozia-len Lebens. Das sieht man auch daran, dass die im Zentrum von Helsinki direkt hinter dem Hauptbahnhof gelegene Kamppi Kapelle – ein Gemeinschaftswerk der evangelischen Kirche und
des Sozialamts der Stadt – von täglich mehr als 2000 Menschen besucht wird.
Wenn Sie zurückblicken, was ist Ihr Resümee aus neun Jahren bei der DG?
Neben Ausstellungen wie „Christenkreuz und Hakenkreuz“ oder „Zeichen des Widerstands – Alfred Hrdlicka und die Religion“, die sich kritisch mit der Rolle der Kirche auseinandersetzten,
waren es vor allem Architekturausstellungen, welche die meisten Besucher anzogen. Die Ansicht, es würden kaum mehr Kirchen gebaut, trifft ja nicht zu, wie die aktuelle Ausstellung zeigt.
Was steht bei Ihnen jetzt an?
Ich war davon ausgegangen, dass ich 2016 den Umzug unserer Galerie zurück in die Finkenstraße noch begleite. Der Vorstand war dagegen der Meinung, es sei besser, wenn meine Nachfolgerin einen größeren Vorlauf hätte, um eigene Akzente setzen zu können; weshalb mein Vertrag Ende 2014 ausläuft. Für 2015 hatte ich als dritten Teil der Ausstellungsreihe zum zeitgenössischen Kirchenbau neue Kirchen und Kapellen in der Schweiz recherchiert; es gibt Anfragen als freier Kurator; und am 13. Januar halte ich einen Vortrag an der Eberhard Karls Universität Tübingen zum Thema „Zwischen Tradition und Moderne – der europäische christliche Kirchenbau“.
Im Übrigen bin ich zufrieden, mich mit dieser Ausstellung verabschieden zu können: Architektur ist meine große Liebe, und Finnland habe ich seit 1991 insgesamt 15 Mal bereist.

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