Verdrängen verlernen
Vermutlich sind über 2000 Menschen mit Behinderung oder psychischer Erkrankung zur Zeit des Nationalsozialismus in der „Heil-und Pflegeanstalt“ Erlangen ermordet worden. Bis heute gibt es keinen zentralen Gedenkort. Der entschiedene Ideenwettbewerb bereitet die Schließung dieser Lücke vor.
Text: Kraft, Caroline, Berlin
Verdrängen verlernen
Vermutlich sind über 2000 Menschen mit Behinderung oder psychischer Erkrankung zur Zeit des Nationalsozialismus in der „Heil-und Pflegeanstalt“ Erlangen ermordet worden. Bis heute gibt es keinen zentralen Gedenkort. Der entschiedene Ideenwettbewerb bereitet die Schließung dieser Lücke vor.
Text: Kraft, Caroline, Berlin
„Wir sind ihnen so gut wie noch alles schuldig“, klagte der sozialistische Schriftsteller Franz Fühmann 1980 den fehlenden deutschen Umgang mit nationalsozialistischen Verbrechen gegen Menschen mit Behinderung oder psychischer Krankheit in einer Publikation an. Vier Jahrzehnte später mag es mehr Mahnmale geben, mehr Kunst, mehr Literatur – die Verantwortung des Erinnerns und des aktiven Aufarbeitens ist dennoch ungebrochen groß. Etwa 216.000 Menschen mit körperlicher oder geistiger Behinderung oder psychischer Erkrankung wurden zwischen 1933 und 1945 Opfer der „Euthanasie“, der systematischen Ermordung.
Die Erlanger Heil- und Pflegeanstalt war bei ihrer Eröffnung 1846 eine der ersten psychiatrischen Kliniken Bayerns. In den 1920er-Jahren war sie mit dem „Erlanger Modell“ beispielgebend für die Reformpsychologie, einen sozialpsychiatrischen Ansatz, den die Nationalsozialisten ein Jahrzehnt später zur Kontrolle und Erfassung der Patientinnen und Patienten missbrauchten.
Das heute nicht mehr existente Hauptgebäude war nach panoptischer Bauweise, mit kreuzförmig um ein Zentrum angeordneten Flügeln, errichtet. Im Laufe der Zeit entwickelte sich der Komplex mit Erweiterungsbauten zu einer Großanlage. Bis heute ist die Dichte an klinischen und universitären Einrichtungen der Medizintechnik und des Pharmabereichs in Erlangen hoch.
Das jahrelang diskutierte Vorhaben, das Gebäude zugunsten neuer Universitäts- und Spitzenforschungseinrichtungen abzureißen, stieß auf enormen Widerstand. Jörg Skriebeleit, Kulturwissenschaftler und Leiter einer KZ-Gedenkstätte, sah in Erlangen die Chance auf einen Erinnerungsort, der sowohl die Opfer als auch die Täter in den Blick nehmen, vergangene medizinethische Debatten portraitieren als auch, durch die Nähe zu den umliegenden Einrichtungen, zukünftige Entwicklungen beeinflussen könne. Es gründeten sich Initiativen, Ärztinnen plädierten für die soziale Verantwortung ihres Berufsstands, Medizinethiker, Historikerinnen, Denkmalschützer, die Jüdische Kultusgemeinde und gar das Auschwitz-Komitee schalteten sich ein.
Der Freistaat, die Stadt sowie die Uniklinik konnten sich letztendlich durchsetzen. Nach einem „Kompromiss“ stehen für die Erinnerung nur zwei Gebäudefragmente zur Verfügung, die sich seit dem Abriss der restlichen Anlage 2023 in völlig neuem Kontext zueinander wiederfinden, in die Sichtachse dazwischen schiebt sich die Hautklinik des Uniklinikums Erlangen.
Zumindest handelt es sich bei den erhaltenen Bauten um das ehemalige Direktionsgebäude am Maximiliansplatz und einen einstigen Patiententrakt, die Schwabachanlage. Hier und an historisch relevanten Stellen im Stadtgebiet soll, wie im von der Stadt Erlangen und den Bezirken Mittel- und Oberfranken ausgelobten offenen Ideenwettbewerb beschrieben, der „Erinnerungs- und Zukunftsort Heil- und Pflegeanstalt in Erlangen“ entstehen. Der Erlanger Gedenkort behandelt, wie von Skribeleit beschrieben, einen Täter- und einen Opfer-Ort. Das Preisgericht vergab nach dem zweiten Wertungsrundgang des Ideenwettbewerbs zwei zweite Preise. Studio Sebastian Klawiter mit Studio Lek konnten ebenso überzeugen wie Dressler Mayerhofer Rössler Architekten und Liebald + Aufermann Landschaftsarchitekten.
Die Gruppe um Sebastian Klawiter entwickelte einen prozesshaften Ansatz der Erinnerungsarbeit, denn „Erinnern passiert nicht einfach“. So muss die gesamte Stadt aktiviert, vorgegebene Denk- und Handlungsmuster müssen durchbrochen werden. Ein Weg durch Erlangen unterteilt das Erinnern in drei Phasen: informieren, aktivieren, realisieren. Unterstützen sollen dabei Institutionen wie das Stadtmuseum oder das Kunstpalais. Den Naziverbrechen dienende Strukturen wie der Bahnhof oder die Frauenklinik bezieht der Entwurf als Informationsorte mit ein. Das temporäre „Folly of Unlearning“ dient als erster Gedenk- und Versammlungsort, was die Jury begrüßt. Die zum späteren Projektzeitpunkt geplante teilweise Umnutzung der ehemaligen Direktorenvilla zur inklusiven Kita und Jugendpsychiatrie ist sicherlich ein richtiger Ansatz.
Das Preisgericht schätzt den integrativen, programmatischen Ansatz des Projekts, stellt aber die vorgeschlagenen Zeiträume der drei Phasen als ambitioniert und mit kontinuierlicher Bereitschaft zur Mitarbeit der Bevölkerung verbunden infrage. Generell blieben die Vorstellungen des Entwurfs noch etwas vage, die Idee der kollektiven Erinnerungsgesellschaft werde aber ausdrücklich begrüßt und habe Modellcharakter.
Auch Dressler Mayerhöfer Rössler und Liebald + Aufermann verorten im ehemaligen Direktorenwohnhaus mit Café und Galerie Orte der inklusiven Stadtgemeinschaft. Das Entwurfsteam setzt ebenfalls auf den Weg als metaphorisches Element. Er verbindet in gartenähnlicher Anlage die beiden Gebäudeteile, informiert, begleitet von Audioguide und Bodenrelief der einstigen Gebäude der Anstalt, über die Vergangenheit des Areals. Die Jury lobt das lockere, integrative und gut anzueignende Freiraumkonzept. Der Eingriff in den Stadtraum sei jedoch nicht stark genug formuliert.
Einen „Appell an unsere Menschlichkeit“ richten m8 Architekten und Sofia Hartwig Landschaftsarchitektur. Den Eingang des Direktorenhauses möchte das Team zugemauert wissen, sie definieren einen neuen Weg in ihr „Haus des Forschens“, den Ort der Dokumentation. Die Schwabachanlage nennen sie „Haus des Dialogs“, wo sie eine Ausstellung in den unangetasteten Patiententrakten verorten.
Das Konzept sei laut Jury zwar klar verständlich, wirke jedoch etwas starr und trenne den Stadtraum stark. Auch der Bezug zur Klinik sei zu gering. Dennoch entstünden monumentale Elemente, die das Publikum berühren könnten.
Die Entwurfsarbeit trägt bereits zum Verlernen des Verdrängens bei: m8 Architekten haben Kontakt zum Bundespräsidenten aufgenommen. Sie möchten, dass den maßgeblich am „Euthanasie“-Programm beteiligten Ärzten Julius Hallervorden und Werner Villinger posthum das Bundesverdienstkreuz aberkannt wird.
Offener zweiphasiger städtebaulicher und freiraumplanerischer Ideenwettbewerb
ein 2. Preis (14.000 Euro) Studio Sebastian Klawiter, Pasing; Studio LEK Architekt:innen, München
ein 2.Preis (14.000 Euro) dressler mayerhofer rössler architekten und stadtplaner, München; liebald + aufermann landschaftsarchitekten, München
3.Preis (8.000 Euro) m8architekten Christian Winter Mia Winter, München; Sofia Hartwig Landschaftsarchitektur, Stuttgart
Anerkennung (3.000 Euro) studio2020 Matzat Henkel, Berlin
Anerkennung (3.000 Euro) Ingenieurbüro für Bauwesen Ralf Breunel, Plauen
ein 2. Preis (14.000 Euro) Studio Sebastian Klawiter, Pasing; Studio LEK Architekt:innen, München
ein 2.Preis (14.000 Euro) dressler mayerhofer rössler architekten und stadtplaner, München; liebald + aufermann landschaftsarchitekten, München
3.Preis (8.000 Euro) m8architekten Christian Winter Mia Winter, München; Sofia Hartwig Landschaftsarchitektur, Stuttgart
Anerkennung (3.000 Euro) studio2020 Matzat Henkel, Berlin
Anerkennung (3.000 Euro) Ingenieurbüro für Bauwesen Ralf Breunel, Plauen
Ausloberin
Referat für Planen und Bauen der Stadt Erlangen
Referat für Planen und Bauen der Stadt Erlangen
Jury
Manuel Bäumler (Vorsitz), Ulrich Manz, Elisabeth Merk,
Till Rehwaldt, Bettina Schriewer, Josef Weber, Richard
Woditsch, Till Zwißler
Manuel Bäumler (Vorsitz), Ulrich Manz, Elisabeth Merk,
Till Rehwaldt, Bettina Schriewer, Josef Weber, Richard
Woditsch, Till Zwißler
Verfahrensbetreuung
mt2 Architekten | Stadtplaner, Nürnberg
mt2 Architekten | Stadtplaner, Nürnberg
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