Bauwelt

Zuviel weiße Pracht

Japanische Architektur, ihre Rezeption von außen, sollte nicht auf die weißen, leicht wirkenden Bauten weltweit erfolgreicher Namen der letzten Zeit reduziert werden. Ein Rückblick gibt Hinweise auf andere wichtige Strömungen

Text: Adam, Hubertus, Zürich

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    Transparenter Pavillon mit begrünten Höfen: Das Hiroshi Senju Kunstmuseum von Ryue Nishizawa in der Stadt Karuizawa nordwestlich von Tokio
    Foto: Iwan Baan

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    Transparenter Pavillon mit begrünten Höfen: Das Hiroshi Senju Kunstmuseum von Ryue Nishizawa in der Stadt Karuizawa nordwestlich von Tokio

    Foto: Iwan Baan

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    Umgekehrte Pyramide aus Beton: Seminargebäude der Inter-University bei Tokio
    Takamasa Yoshizaka, 1965

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    Umgekehrte Pyramide aus Beton: Seminargebäude der Inter-University bei Tokio

    Takamasa Yoshizaka, 1965

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    Pavillon von Sou Fujimoto aus weißem Edelstahlgewebe. Er steht seit 2015 auf der Fischerinsel Naoshima bei Takamatsu
    Foto: Iwan Baan

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    Pavillon von Sou Fujimoto aus weißem Edelstahlgewebe. Er steht seit 2015 auf der Fischerinsel Naoshima bei Takamatsu

    Foto: Iwan Baan

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    Neuinterpretation der traditionellen japanischen Wohnform: Wohnanlage Ni- shinoyama House in Kyoto von Kazuyo Sejima, 2014
    Foto: Iwan Baan

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    Neuinterpretation der traditionellen japanischen Wohnform: Wohnanlage Ni- shinoyama House in Kyoto von Kazuyo Sejima, 2014

    Foto: Iwan Baan

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    Deko-Gebäudeblock im Zentrum von Tokio-Ike­bukuro; Van Jour Caux, 1990

    Foto: Hubertus Adam

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    Deko-Gebäudeblock im Zentrum von Tokio-Ike­bukuro; Van Jour Caux, 1990

    Foto: Hubertus Adam

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    Gunma Music Center in Takasaki, vom tschechisch-amerikanischen Architekten Antonin Raymond, 1961
    Foto: Hubertus Adam

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    Gunma Music Center in Takasaki, vom tschechisch-amerikanischen Architekten Antonin Raymond, 1961

    Foto: Hubertus Adam

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    Die St. Paul Kapelle der Rikkyo Niiza High School in Kitano; Antonin Raymond (1888–1976), 1963
    Foto: Hubertus Adam

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    Die St. Paul Kapelle der Rikkyo Niiza High School in Kitano; Antonin Raymond (1888–1976), 1963

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    Beton: Das Yamanashi Broadcasting Building in Kofu; Kenzo Tange, 1964

    Foto: Hubertus Adam

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    Beton: Das Yamanashi Broadcasting Building in Kofu; Kenzo Tange, 1964

    Foto: Hubertus Adam

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    Charles Jencks publizierte das Face House in Kyoto; Kazumasa Yamashita, 1974
    Foto: Hubertus Adam

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    Charles Jencks publizierte das Face House in Kyoto; Kazumasa Yamashita, 1974

    Foto: Hubertus Adam

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    Vor allem innen skurril: Gemeindezentrum in Miyashiro; Team Zoo, 1980
    Foto: Hubertus Adam

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    Vor allem innen skurril: Gemeindezentrum in Miyashiro; Team Zoo, 1980

    Foto: Hubertus Adam

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    Wie ein gewaltiger Totempfahl: Noa Buildung in Tokio; Seiichi Shirai, 1974
    Foto: Hubertus Adam

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    Wie ein gewaltiger Totempfahl: Noa Buildung in Tokio; Seiichi Shirai, 1974

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    Wie ein Spielzeug erdacht: Reversible Destiny Lofts in Mitaka; Shusaku Arakawa und Madeline Gins, 2005
    Foto: Hubertus Adam

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    Wie ein Spielzeug erdacht: Reversible Destiny Lofts in Mitaka; Shusaku Arakawa und Madeline Gins, 2005

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    Grün: Wohngebäude Omotesando Branches in Tokio; Sou Fujimoto, 2014
    Foto: Iwan Baan

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    Grün: Wohngebäude Omotesando Branches in Tokio; Sou Fujimoto, 2014

    Foto: Iwan Baan

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    Eishin Higashino High School in Iruma City, Präfektur Sai­tama; Christopher Alexander, 1985/1989
    Foto: Hubertus Adam

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    Eishin Higashino High School in Iruma City, Präfektur Sai­tama; Christopher Alexander, 1985/1989

    Foto: Hubertus Adam

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    Seitenansicht Curtain Wall House in Itabashi, Tokio; Shigeru Ban, 1993–95
    Hier können Sie den Beitrag von Hubertus Adam in Bauwelt 32.2016 lesen
    Foto: Hubertus Adam

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    Seitenansicht Curtain Wall House in Itabashi, Tokio; Shigeru Ban, 1993–95
    Hier können Sie den Beitrag von Hubertus Adam in Bauwelt 32.2016 lesen

    Foto: Hubertus Adam

Zuviel weiße Pracht

Japanische Architektur, ihre Rezeption von außen, sollte nicht auf die weißen, leicht wirkenden Bauten weltweit erfolgreicher Namen der letzten Zeit reduziert werden. Ein Rückblick gibt Hinweise auf andere wichtige Strömungen

Text: Adam, Hubertus, Zürich

Japan fasziniert den Westen seit dem Ende des über mehrere Jahrhunderte andauernden Isola­tionismus im Jahr 1853. Dabei ist das Bild vom Inselstaat im fernen Osten und seiner Kultur unabhängig von der jeweiligen zeitlichen Situation positiv besetzt geblieben, auch wenn sich der Fokus der Wahrnehmung immer wieder verschoben hat.

A Japanese Constellation

Jüngstes Beispiel hierfür ist die Ausstellung „A Japanese Constellation“, die im Frühjahr 2016 am Museum of Modern Art in New York zu sehen war. Der verantwortliche Kurator Pedro Gadanho hatte zunächst eine monografische Schau über Toyo Ito erarbeiten wollen, sich dann aber in Absprache mit dem Architekten für eine Gruppenausstellung entschieden. Sie nahm „das Netzwerk von Architekten und Designern in den Blick, das sich um die Pritzker-Preisträger Toyo Ito und SANAA gebildet hat“. Die Ausstellung zeigte insgesamt 44 Projekte von Architekten aus drei Generationen, wobei Toyo Ito als historischer Fluchtpunkt fungierte. Die zweite Generation wurde von seiner Schülerin Kazuyo Sejima und ihrem Büropartner Ryue Nishizawa repräsentiert, die dritte durch die SANAA-Schüler Junya Ishigama und Akihisa Hirata sowie durch Sou Fujimoto. Als Hauptwerke präsentierte Gadanho Toyo Itos Mediathek in Sendai (Bauwelt 13.2001) sowie das „Museum of the 21st Century“ (2004) in Kanazawa von SANAA.
Ausstellungen sind Konstruktionen, und bei Gadanho wurde der Versuch erkennbar, eine bestimmte Traditionslinie der japanischen Architektur herauszupräparieren und für den zeitgenössischen Architekturdiskurs einzusetzen. Der Kurator verwies auf den neuen Umgang mit Transparenz und Leichtigkeit, aber auch die konstruktive Innovation, die die Arbeiten der Architekten verbänden. Bestätigt sah er die weltweite Bedeutung der japanischen Architektur durch die Erfolge anderer SANAA-Schüler, wobei er insbesondere Florian Idenburg sowie die Gewinner des Guggenheim-Wettbewerbs für Helsinki Moreau Kusonoki Architectes anführte. Ob sich hier tatsächlich eine Abkehr von der ikonischen Architektur zeigt, bleibt allerdings ebenso fragwürdig wie die Behauptung, das Netzwerk der „Japenese Constellation“ sei ein alternatives Modell zum üblichen Star-System in der zeitgenös­sischen Architektur. Der extreme Erfolg von japanischen Architekturbüros wie SANAA und Shige­ru Ban, die inzwischen den Großteil ihrer Projekte außerhalb des Landes realisieren, spricht eine deutlich andere Sprache.
Das Bild, das Gadanhos Schau vermittelte, kann als paradigmatisch für die zeitgenössische Wahrnehmung der japanischen Architektur gesehen werden. Es ist geprägt von konstruktiver Eleganz, Transparenz, Leichtigkeit, Purismus und Minimalismus, Facetten, die in den Arbeiten der besagten Architekten eingelöst werden.

Villa Katsura

Folgt man den Thesen von Reyner Banham, wurde japanische Gegenwartsarchitektur in den dreißiger und vierziger Jahren des letzten Jahrhunderts im Westen ähnlich rezipiert wie heute.Geprägt durch Bruno Tauts Interpretation der Villa Katsura galten Klarheit und Einfachheit als typische Merkmale japanischer Architektur. Das Schlüsselwerk dieser Zeit ist der Pavillon Japans auf der Pariser Weltausstellung 1937 von Junzo Sakakura. Sakakura arbeitete zwischen 1930 und 1936 im Büro von Le Corbusier in Paris. Mit Kunio Maekawa, der zwischen 1928 und 1930 bei Le Corbusier hospitierte, und Takamasa Yoshizaka, der von 1950 bis 1952 bei ihm arbeiten sollte, zählte Sakakura zu den drei Corbusier-Schülern, die später das National Museum of Western Art des Meisters in Tokio realisierten. Der Pariser Pavillon war filigran ausgebildet und, so konstatierte Banham zurecht, im Detail puristischer als die Bauten von Mies van der Rohe.
Treffend hat Banham beschrieben, wie sich die japanische Architektur binnen weniger Jahre wandelte. Zwar konnte Sakakura 1951 mit seinem Museum of Modern Art in Kamakura, dem ersten Museumsbau für moderne Kunst in Japan, hinsichtlich Eleganz und Leichtigkeit an seinen Pariser Pavillon anknüpfen, doch der allgemeine Trend ging in Richtung Schwere und Massivität. Das konsternierte mitunter Beobachter aus dem Ausland, wie das Beispiel Walter Gropius beweist. Er hatte 1964 auf Einladung der Rockefeller Foundation eine Reise durch Japan unternommen, war jedoch vor allem von der historischen Architektur fasziniert: vom Ise-Schrein, von den Zen-Bauten und von der kaiserlichen Villa Katsura nahe Kyoto. Letztere war durch Taut gleichsam „entdeckt“ worden, und wie jener bewunderte Gropius ihre Transparenz, Offenheit und struk­turelle Logik. Im japanischen Holzhausbau sah Gropius, der sich in Deutschland mit Standar­disierung und Präfabrikation beschäftigt hatte, ein Vorbild, an das anzuknüpfen sich lohnte – und doch musste er feststellen, dass die junge Generation der Architekten in Japan inzwischen andere Wege beschritt: „Aber heutzutage ist der junge japanische Architekt oft nur zu gerne bereit, alle diese Vorteile wegzuwerfen, weil sie für ihn gedanklich verknüpft sind mit der feudalen Vergangenheit ... Seine Liebe gehört der undurchdringlichen, unbeweglichen Betonwand, die für ihn die Festigkeit und Widerstandskraft verkörpert, die er gern seinen modernen Gebäuden geben möchte.“

Betonästhetik

Paradigmatisch für die Hinwendung zu einem Beton-Brutalismus, bei dem die Formensprache des späten Le Corbusier als wichtiges Ferment wirkte, ist das Inter-University Seminar House (1965) von Takamasa Yoshizaka im Tokioter Vorort Hachioji. Der organisch in ein hügeliges Gelände eingebettete Komplex aus kleinen, zu Gruppen zusammengefassten Wohnzellen wird von einem Hauptgebäude überragt, das in Form einer umgekehrten Pyramide aus Beton in den Boden gerammt zu sein scheint. Eine betont raue Schalung unterstreicht den architektonischen Kraftakt, wobei es wirkt, als habe Yoshizaka im Sinne einer postmodernen Geste avant la lettre die monumentale Pathosformel der Pyramide durch die Drehung um 180 Grad ironisiert.
Die Wahrnehmung der internationalen Öffentlichkeit konzentrierte sich indes zu dieser Zeit auf die Metabolisten, insbesondere auf Kenzo Tange, der gleichsam zum Gründervater der ja­panischen Nachkriegsmoderne stilisiert wurde; dabei geriet in Vergessenheit, dass Tanges Be­tonästhetik selbst ihre Vorläufer hatte, vor allem in den Bauten von Kunio Maekawa, bei dem Tange vor Beginn seiner Karriere gearbeitet hatte. Maekawa wiederum war nicht nur Schüler von Le Corbusier gewesen, sondern hatte auch bei dem Wright-Schüler Antonin Raymond gearbeitet, der das japanische Baugeschehen von den zwanziger bis zu den sechziger Jahren in entscheidendem Maße prägte. Maßgeblich für Tanges Rolle als Heros der Nachkriegsmoderne war dessen internationale Vernetzung die dazu führte, dass er zum letzten CIAM-Kongress 1959 nach Otterlo eingeladen wurde.
Auf Initiative des Ingenieurs und Tange-Partners Takashi Asada hatten sich 1959 eine Reihe von Architekten und Stadtplanern in Tokio zu einer Gruppe vereint, welche organische wuchernde Großstrukturen als neue städtische Architekturen propagierten. Tange nutzte die Konferenz in Otterlo nicht nur, um die Ideen der Metabolisten vorzustellen, sondern auch um Kontakte in Vorbereitung einer für das Folgejahr in Tokio geplanten World Design Conference zu knüpfen, zu der er als Gäste unter anderen Peter und Alison Smithson, Louis Kahn, Jean Prouvé und Paul Rudolph einlud. Fünf Jahre zuvor hatte Konrad Wachsmann – vom US-State-Department auf Weltreise geschickt – ein Seminar in Tokio durchgeführt, an dem unter anderem Kenzo Tange und Arata Isozaki teilnahmen und das die Ideen des Metabolismus präfigurierte.
Die Olympischen Sporthallen (1964) am Yoyogi-Park in Tokio oder das Yamanashi Broadcasting Building in Kofu (1964) zeigten Kenzo Tange auf dem Höhepunkt seiner architektonischen Laufbahn. Die Expo Osaka 1970, für die Tange gemeinsam mit dem Theoretiker Uzo Nishiyama den Masterplan entwickelte, sollte noch einmal zu einem Fanal des Metabolismus werden, doch für viele Besucher stellte sie sich eher als dessen Abgesang dar. Zwar hatte sich der Metabolismus mit High-Tech-Ästhetik und Archigram-Visionen angereichert, doch verglichen mit den gerade einmal zehn Jahre alten utopischen Entwürfen wirkte die Umsetzung allzu kontingent und vordergründig. Die Krise der Spätmoderne ließ auch in Japan eine ungehemmte Fortschrittsgläubigkeit naiv und anachronistisch erscheinen.

Siebziger und Achtziger

Die siebziger und achtziger Jahre waren in Japan von verschiedenen gegenläufigen Strömungen geprägt. Fumihiko Maki widmete sich der Adaption des International Style, Tadao Ando verschmolz die Perfektion des Betons mit der japanischen Tradition, Osamu Ishiyama kombinierte Bricolage und High-Tech-Ästhetik, Shin Takamatsu vereinte Beton und Stahl zu skulpturalen Bauten von beinahe martialischer Wucht. Kazuo Shinohara, der als extremer Individualist und langjähriger Professor am Tokyo Institute of Technology gleichsam den Gegenpol zu dem an der University of Tokyo lehrenden Tange darstellte, widmete sich Bauten im kleinen Maßstab. Das Haus in Uehara (1976) ist eine frühe paradigmatische Antwort auf die Situation in den japanischen Metropolen, bei der extreme Dichte dazu führt, dass widersprüchliche Anforderungen auf engstem Raum aufeinander treffen. Mit den Bauten Shinoharas, der ein Mathematikstudium absolvierte bevor er zur Architektur wechselte, wurden Strategien entwickelt, mit dem Chaos und der scheinbaren Irrationalität umzugehen – gleichsam als Rechenaufgaben mit einer großen Anzahl von Variablen. Von Claude Lévi-Strauss entlehnte er den Begriff der Wildheit – und zeigte, wie sich das Chaos der Metropole in den In­terieurs seiner Häuser verdichtete. Wie man mit Architektur auf die rasant steigenden Grundstückspreise in Tokio reagieren könnte, hatte Takamitsu Azuma schon 1967 in Shibuya gezeigt: Auf einer Grundfläche von lediglich gut 20 Quadratmetern errichtete er einen sechs­geschos­sigen Betonturm. Ohne derlei Versuche, ohne die experimentellen Projekte, wären die heutigen Kleinhäuser einer jüngeren Architektengeneration nicht denkbar.

Team Zoo

Eine Reihe weiterer architektonischer Positionen der damaligen Zeit ist heute bedauerlicherweise aus dem Blickfeld geraten. Dazu zählt Seiichi Shirai, der zunächst unter Karl Jaspers in Berlin Philosophie studiert hatte, bevor er als Autodidakt zur Architektur kam. Wie ein gewaltiger Totempfahl steht sein Noa Building (1974) in Tokio: Aus einem elliptischen Sockel mit höhlenartiger Eingangssituation wächst ein weiteres gekurvtes Volumen heraus, das mit dunklen schwarzen Bronzeplatten verkleidet ist. Vielbeschäftigt in den Nachkriegsdekaden war Togo Murano, dem das Kyoto Institute of Technology 2015/16 eine umfangreiche monografische Ausstellung widmete. Eines seiner letzten Werke war das Grand Prince Hotel in Kyoto (1986). Eine höchst eigenwillige Position nahm auch Team Zoo ein, das 1971 von einigen Studenten von Takamasa Yoshizaka an der Waseda University gegründet worden war. Ihr Gemeindezentrum von Miyashiro (1980) umfasst mit seinen Arkaden
eine theatralisch gestaltete Landschaft. Halb Ruinenlandschaft, halb Observatorium aus Be­-ton, wird die bizarre Struktur von Rampen, Wegen und keilartigen Gebäudeteilen durchdrungen.
Es ist wohl kein Wunder, dass Charles Jencks auf dem Titelblatt seines 1977 erstmals veröffentlichten Standardwerks „The Language of Post-Modern Architecture“ ein japanisches Beispiel zeigte, nämlich das Ni-Ban-Kahn von Minoru Takeyama. Das Gebäude mit verschiedenen Bars steht im Tokioter Vergnügungsviertel Shinjuku. Auch wenn Jencks seinen umfangreichen Essay „Der Pluralismus der japanischen Architektur“ in sein etwas später erschienenes Buch über spätmoderne Architektur auslagerte, tauchen doch japanische Referenzen verschiedentlich in seinem Postmoderne-Band oder auch in „Bizarre Architecture“ auf. Darunter finden sich Shirais Noa Building, Bauten von Toyokazu Wa­tanabe und Monte Mozuna, Kazumasa Yamashi­tas „Face House“ in Kyoto, später auch verstärkt Projekt von Arata Isozaki, dessen Gunma Prefecture Art Museum (1974) er aufgrund sei­-ner technokratischen Ausdrucksweise noch abgelehnt hatte. Tatsächlich zeigte die Postmoderne in der japanischen Architektur ein vielfältigeres Spektrum als in Europa oder in den USA, sodass Christian Kerez unlängst behaupten konnte, er sei während seiner Studienjahre von der Vielfalt und Radikalität der japanischen Postmoderne und seinem „adventurous approach“ in starkem Maße beeinflusst worden. Einen Höhepunkt der japanischen Postmoderne mag Ken­go Kumas M2 Building darstellen, spezielle Wege
in Tokio beschritten Van Jour Caux, ein Pseudonym, hinter dem sich der Architekt Toshiro
Ta­naka verbirgt, und das Künstler-Architekten-Team Arakawa + Gins mit den Pop-Art-ähnli­-
chen Wohn­zellen der Reversible Destiny Lofts.

Nexus World

Die Bubble Economy in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre führte dazu, dass eine große Zahl ausländischer Architekten in Japan Projekte realisieren konnte: Zaha Hadid und Aldo Rossi, Nigel Coates und David Chipperfield, Peter Eisenman und Philippe Starck. Einige von ihnen standen am Beginn ihrer architektonischen Karriere und konnten in Japan erste Bauten umsetzen. Das wäre heute, wo nur noch wenige ausländische Büros in Japan tätig sind, nahezu undenkbar. Auch der amerikanische Architekturtheoretiker Christopher Alexander konnte in der Präfektur Saitama eines seiner wenigen architektonischen Projekte verwirklichen, die Campus­anlage der Eishin Higashino High School.
In den achtziger und neunziger Jahren war Arata Isozaki, der schon 1977 mit einem Sonderheft von „Architectural Design“ bedacht und von Charles Jencks als radikaler Eklektizist bezeichnet worden war, ohne Zweifel der wichtigste Akteur, der den kulturellen Austausch zwischen westlichen und japanischen Architekten beförderte. Er hatte bei Tange studiert und in dessen Büro gearbeitet. Selbstständig begann
er im Kontext des Metabolismus, wechselte dann zu von starken Primärgeometrien bestimmten Bauten und schuf dann mit dem Tsukuba Center Building eines der international beachteten Schlüsselwerke der Postmoderne. Doch nicht nur mit seinen eigenen Bauten nahm Isozaki Einfluss auf das japanische Baugeschehen: 1988 wurde er zum Intendanten der Kumamoto Artpolis, eine Position, die er zehn Jahre später an Toyo Ito übergab. Öffentliche Bauten in der Provinz Kumamoto wurden seither an herausragende, zum Teil auch junge Architekten vergeben, und so ist über die Jahre ein stolz vermarktetes Freilichtmuseum moderner Architektur entstanden, das sich über die gesamte Provinz erstreckt. 1989 entwickelte Isozaki den Masterplan für
die „Nexus World“ in Fukuoka, ein acht Hektar großes Terrain. Hier realisierten, von ihm ein­geladen, Steven Holl, Rem Koolhaas, Mark Mack, Osamu Ishiyama, Christian de Portzamparc und Oscar Tusquets Projekte. Zwischen 1994 und 2001 war Isozaki schließlich für die Planung einer großen Wohnsiedlung in Gifu verantwortlich, an der er unter anderem Elizabeth Diller, Kazuyo Sejima und Martha Schwartz beteiligte. In den späteren Dekaden des 20. Jahrhunderts war auch seine Bedeutung als Theoretiker kaum zu un­terschätzen: Die Ruine ist eines seiner zentralen Themen, und in den neunziger Jahren war er ständiges Mitglied der ANY-Conferences, dem wichtigsten Forum für den Architekturdiskurs jener Zeit.
Der Architekturhistoriker und Architekt Teru­nobu Fujimori, der seit den frühen neunziger Jahren mit Bauten in Erscheinung tritt, die auf unkonventionelle Weise japanische Bautraditionen und vernakuläres Bauen referieren, nutzt für die Erklärung, wie sich die moderne Architektur in Japan entwickelt hat, das Bild zweier gegensätzlicher Pole, die er die weiße und die rote Schule nennt: Abstraktion und mathematisches Denken versus Plastizität und Materialität. Die Weißen finden ihre historische Referenz im Bauhaus, die Roten in Le Corbusiers Spätwerk. Zu den Weißen zählt Fujimori unter anderen Fumihiko Maki, Kazuo Shinohara oder Yoshio Tanigu­chi, zu den Roten Antonin Raymond, Kunio Mae­kawa, Junzo Sakakura, Takamasa Yoshizaka, Kenzo Tange und Arata Isozaki. Tadao Ando steht dazwischen, Fujimori bezeichnet ihn als „pinkish“; Toyo Ito, sei auf dem Weg von einem Weißen zu einem Roten, die Führung der weißen Schule liege heute bei SANAA.
Ohne Zweifel bestimmen Kazuyo Sejima und Ryue Nishizawa, die gemeinsam als SANAA auftreten, aber auch ihre eigenen Büros unterhalten, in den letzten Jahren das Bild der ja­­pa­nischen Architektur: Leichtigkeit, Offenheit, ätherische Eleganz. Festzuhalten aber ist, dass SANAA im Ausland viel erfolgreicher ist als in Ja­pan selbst: Den großen Projekten in New York, Essen, Weil am Rhein, Lausanne, Lens oder jüngst New Canaan stehen in ihrem Heimatland eher kleinere Projekte gegenüber – vom bereits erwähnten Meisterwerk, dem 21st Century Mu­seum of Modern Art in Kanazawa einmal abgesehen. Ein Beispiel hierfür ist auch Sejimas Wohn­anlage Nishi­noyama House in Kyoto – unterschiedlich dimensionierte Einheiten, die sich um Innenhöfe, kleine Gärten und Wege gruppieren, zum Teil aus voneinander separierten Raum­volu­mina bestehen und von Pultdächern in unterschiedlicher Ausrichtung überfangen werden. Holz, Stahl und Glas treffen in diesem Ensem­-
ble aufeinander; einfaches, vernakuläres Bauen diente als Inspiration, und zugleich ist es Se­jima gelungen, eine differenzierte Abstufung von Innen und Außen, Nähe und Distanz zu erreichen. Die kleine Siedlung in Stadtrandlage zählt zu den besten Bauten Sejimas aus den letzten Jahren, während ihr Nakamachi Terrace Com­mu­nity Center nur durchschnittliche Qualität aufweist.
Die wirtschaftliche Stagnation zum einen, ein kaum funktionierendes Wettbewerbswesen zum anderen haben dazu geführt, dass viele Architekten der jüngeren Generation nach Projekten im Ausland suchen. Auch Sou Fujimoto ist inzwischen in Europa erfolgreicher als in Japan, weil die Architektur der jungen Japaner einen hohen Coolnessfaktor genießt. Dabei ist die Fokussierung auf die Leichtigkeit, Offenheit und Transparenz der japanischen Architektur trügerisch: Junya Ishigiami, der mit dem Workshop des Kanagawa Institute of Technology (KAIT), einer luftigen, von unzähligen unterschiedlich dimensionierten und ausgerichteten Stützen getragenen Hallenkonstruktion, ein Schlüsselwerk der jüngsten Architektur in Japan geschaffen hat, erklärt
im Gespräch, dass es ihm nicht um die Leichtigkeit als solcher gehe, sondern um eine radikale Zuspitzung: Leichtes solle besonders leicht und Schweres besonders schwer wirken.

Spektakulär weiß?

Mitunter ist die „weiße“ Architektur in Japan gar nicht so weiß – und so spektakulär – wie es zunächst scheint. Ein besonders eklatantes Beispiel hierfür ist das Curtain Wall House von Shigeru Ban in Tokio. Bekannt wurde es durch ein Foto, das die Eckansicht mit dem wehenden, zwei Geschosse überziehenden Vorhang zeigt (Bauwelt 42–43.1995). Bei einem Besuch des Hauses ist keine Spur von einem Vorhang zu sehen, selbst Führungsschienen sind nicht auszumachen. Die Vorhänge befinden sich heute hinter den Glasscheiben, dafür nimmt man jetzt aber die metallenen Protuberanzen der Treppen und Nasszellen deutlicher wahr, die sich an der benachbarten Ecke übereinander stapeln. Das Curtain Wall House hat seinen ätherischen Charakter verloren und fügt sich mit organisch geformten und etwas gebastelt wirkenden Blechverkleidungen in die unmittelbare Nachbarschaft ein.

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