Absolut! Architektur!
Das 29. Berliner Gespräch des Bund Deutscher Architektinnen und Architekten im vergangenen Dezember beschäftigte sich mit der Annäherung zwischen Architektur und Öffentlichkeit
Text: Brugger, Veronika, Berlin
Absolut! Architektur!
Das 29. Berliner Gespräch des Bund Deutscher Architektinnen und Architekten im vergangenen Dezember beschäftigte sich mit der Annäherung zwischen Architektur und Öffentlichkeit
Text: Brugger, Veronika, Berlin
Der BDA hat wie jeden Dezember zum Berliner Gespräch ins DAZ eingeladen. Der Titel „Was Ihr wollt“ spielt auf Shakespeares „Comedy of Errors“ an – und wohl auch auf die unerkannten Akteure und Akteurinnen im Planungsprozess, denen diese Veranstaltung eine Bühne gibt: Die Gesellschaft.
BDA-Präsidentin Susanne Wartzeck schickt der Veranstaltung eine Warnung voraus, dass die Vortragenden nicht nur informieren, sondern das Fachpublikum auch zur selbstkritischen Reflexion anregen sollen. Nur so könne eine gleichberechtigte Annäherung zwischen Architektur und Öffentlichkeit gelingen.
Warum der richtige Plan nicht unbedingt zur richtigen Stadt führt
„Fühlen Sie sich als Architektin?“ so die Frage aus dem Publikum. „Absolut! Architektin!“, antwortet Nelli Fritzler vom Büro Rurbane Realitäten. Das Büro erkundet bei seiner Arbeit die räumlichen Potenziale im baulichen Bestand, indem es die Lebensrealitäten der Menschen vor Ort ernst nimmt. Gespräche sind dabei essenziell, um ein tiefes Verständnis für Raum und Nutzungsmöglichkeiten zu entwickeln. Alle haben eine Stimme – dafür wird dann auch mal ein Anrufbeantworter für die eingerichtet, die nicht zu Veranstaltungen kommen.
Oft reibt man sich die Augen, weil das Stück Stadt gar nicht aussieht wie auf dem Plan. Stefan Kurath von der ZHAW Winterthur fragt, wie Planung und gebaute Realität wieder übereinstimmen können. Er plädiert dafür, dass Planende die Wirkung ihres Tuns stärker berücksichtigen und die Illusion aufgeben sollten, dass Pläne ohne Übersetzungsverluste in die Realität gelangen – eine ideengeschichtliche Verkürzung, die sie über Bord werfen sollten. Architekten und Architektinnen können den Realitätsverlust ihrer Planungen mit einer veränderten Haltung zu Gunsten stimmiger Orte korrigieren. Raus aus dem Zentrum der (Selbst-)Wahrnehmung und hinein ins Getümmel der Beteiligten und Betroffenen. Durch Allianzen und Resonanzen kann ihre Raumkompetenz über den gesamten Planungs-, Bau- und Betriebsprozess hinweg wirksam werden. Mit dem Verständnis, wie aus Architektur Stadt wird, gewinnt die Architektur ihre Leistungsfähigkeit und Bedeutung zurück.
Konzepte zum Verlassen der Blase
Der BDA lässt sein Publikum mit diesen Anforderungen nicht alleine. Michael Heinrich vom Institut Mensch und Ästhetik an der Hochschule Coburg, stellt Entwurfswerkzeuge vor, die Planenden dabei helfen, wissenschaftlich fundierte und dialogorientierte architektonische Lösungen zu entwickeln. Allen Menschen gemein ist die leibliche Wahrnehmung, damit ist die Basis für eine Verständigung geschaffen. Wir teilen physische, psychische und auch emotionale Bedürfnisse: nach Anregung und Freiheit, Schutz und Geborgenheit, Varianz und Ordnung. Die Umweltpsychologie leitet daraus ästhetische Dimensionen ab: Faszination und Anregung, Kohärenz und Orientierung sowie „ Hominess“ und Geborgenheit. Innerhalb dieses Spannungsfelds können Planende kontextspezifische und zielgerichtete Gestaltungen entwickeln.
Da auch die Architektur oft in ihrer eigenen Meinungs- und Milieublase verharrt, rät Heinrich dazu, aktiv zuzuhören und auf Basis gemeinsamer Bedürfnisse tragfähige Lösungen zu entwickeln. Wissenschaftlich fundiert und am Menschen orientiert können Architekten und Architektinnen ihre Entscheidungen mit größerer Begründungstiefe treffen – unabhängig von persönlichen Geschmacksurteilen oder überlieferten Lehrsätzen. Kritik ist dann keine Einmischung mehr, sondern ein wertvoller Impuls zur inhaltlichen Auseinandersetzung. Denn, „Architektur hat das Potenzial, uns zusammenzuführen, weil es um gemeinsame Interessen geht.“
Locker bleiben und kommunizieren
Daniel Luchterhandt bringt die Realität mit Zitaten von Planenden aus Beteiligungsverfahren seines Büros in den Taut-Saal. Er schickt Salven planerischer Fachbegriffe in die Stille – erst Erstaunen, dann Gelächter im Publikum. Ach so, so reden wir also!
Ist es Selbstvergewisserung, Identitätskonstruktion oder Machterhalt, wenn sich Planende hinter Fachjargon verstecken? Luchterhandt drängt auf eine gemeinsame Sprache: „Fachlich kriegen wir die Augenhöhe nicht hergestellt, aber menschlich müssen wir sie doch hinkriegen.“ Sein Rat für den Arbeitsalltag: „Locker bleiben und dabei an guten Lösungen arbeiten“.
Marietta Schwarz, Architektin und freie Journalistin beim DLF, setzt sich dafür ein, dass Architektur – ein Thema, das uns alle rund um die Uhr umgibt – häufiger in den Medien präsent ist. Erstaunlich selten findet es dort Platz. Sie erklärt, wie aus einer fachlichen Information eine Nachricht wird, die einen Sendeplatz verdient: durch Perspektivwechsel, Empathie und eine anschlussfähige Sprache. So wird die Architekturdebatte aus den Fachzirkeln befreit und gewinnt Verbündete für die Baukultur in der breiten Öffentlichkeit.
Die Europäische Bürgerinitiative houseeurope.eu, am Lehrstuhl von Arno Brandlhuber an der ETH als architektonischer Entwurf verstanden, wird von der Kommunikationswissenschaftlerin Alina Kolar vorgestellt: Wie schafft die Architektur- und Baubranche in Zeiten der Krisen eine selbsttragende und nachhaltige Praxis? houseeurope.eu setzt auf den Bestand und fordert neue EU-Gesetze, die Renovierung und Umbau priorisieren.
Diskussionen um die politische Verantwortung der Architektenschaft führen wir seit Jahrzehnten. Politisch agieren kann, wer mit dem Anderen, der uns im Sinne Levinas immer unverfügbar bleibt, ins Gespräch tritt. Diesem Anderen schulden wir eine angemessene Antwort. Dafür braucht es fundierte Kommunikation. Der BDA hat dafür Instrumente an die Hand gegeben, denn Kommunikation ist der Werkstoff der Gesellschaft.
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