Gebautes einfangen und festhalten
Was soll und kann Architekturfotografie leisten? Die Bilder von Célia Uhalde, Marcus Bredt und Till Schuster erzählen von imaginären Bildräumen, inspirierender Langeweile und Zimmern, in denen Geschichten Gestalt annehmen.
Text: Sturm, Hanna, Leipzig
Gebautes einfangen und festhalten
Was soll und kann Architekturfotografie leisten? Die Bilder von Célia Uhalde, Marcus Bredt und Till Schuster erzählen von imaginären Bildräumen, inspirierender Langeweile und Zimmern, in denen Geschichten Gestalt annehmen.
Text: Sturm, Hanna, Leipzig
Marcus Bredt – von der Fotografie zur Architektur
Ein Mann steht im strömenden Regen. In der einen Hand einen Schirm, in der anderen eine gro-ße Kamera, die sein Gesicht verdeckt. Im Hintergrund sieht man die vom Niederschlag auf ab-strakte Geometrien reduzierten Fassaden einer Großstadt. Dieses Porträt von Marcus Bredt erzählt von der Suche nach dem ultimativen Bild, während der wichtigste Gegenstand unsichtbar bleibt: das Motiv, für das es sich lohnte, im strömenden Regen zu stehen.
Solche semantischen Spurensuchen sind typisch für die Fotografien von Marcus Bredt. „Ich hatte mit Architektur eigentlich nichts am Hut“, sagt der Fotograf, „als ich mit meiner Nikon-Kleinbildkamera mit der Ausbildung anfing, wollte ich Reportagefotograf werden.“ Aber es kam anders. Nach dem Abschluss am Lette Verein Berlin dokumentierte Bredt einige Gebäude für Bekannte, es folgten erste Veröffentlichungen, und wenige Jahre später machte er sich zunächst gemeinsam mit seinem Kollegen Jan Bitter als Architekturfotograf selbstständig. „Wir kannten Libeskind gar nicht. Wir sind einfach zu Büros gegangen und haben gesagt: Hallo, wir wollen gerne für Sie fotografieren.“ Der Plan ging auf. Ihr erstes Projekt war kein geringeres als das jüdische Museum in Berlin, dessen Baustelle Bredt als fotografische Spielwiese bezeichnet: „Da konnte man die Kamera aufbauen, wo man wollte. Alles war schief und krumm, faszinierend und vielseitig.“
Eine Auftragsarbeit, der viele weitere folgten. Darunter die Zusammenarbeit mit dem Büro von Gerkan, Marg und Partner (gmp), im Zuge derer Stadien zu einem Schwerpunkt in Bredts Arbeit wurden. Die rund um den Globus verteilten Sportbauten nehmen auf seinen Bildern unterschiedlichste Positionen ein. Mal sind ihre gewaltigen Kubaturen die Protagonisten der Fotogra-fien, mal stehen sie fast unsichtbar im Kontext städtischer Szenen. Für einen Bildband entstanden erstmals Aufnahmen von der weiteren Umgebung der Stadien, auf denen die Bauwerke selbst nicht mehr zu sehen sind. Aus diesen Bildern, die den Architekten als Dokument dafür dienen, wie sich ihre Gebäude in die Umgebung fügen, entwickelte Marcus Bredt eine fotografische Annäherung an ferne Kulturen und Menschen, entlang ihrer gebauten Umwelt.
Aus diesen Stadtdokumentationen erwuchs eine Zusammenarbeit mit dem Goethe-Institut, das Marcus Bredt 2015 zu einem der besten zehn Architekturfotografen Deutschlands ernannt hatte. Besonders gern denkt der Fotograf an einen Workshop mit Architekturstudierenden in Alexandria zurück, mit denen er fotografisch die Stadt erkundete, indem sie ihm ihre Lieblingsorte zeigten: „Es war toll, etwas darüber zu erfahren, wer in diesen Vierteln lebt und wie sie entstanden sind.“ Gerade durch immer perfektere Renderings und schier endlose Möglichkeiten der Nachbearbeitung gebe es ein stärkeres Bedürfnis nach Authentizität, sagt Bredt. Bildwelten außerhalb einer cleanen Raumästhetik eröffnet auch das Bauen im Bestand. Begeistert erzählt Bredt vom Museum für Naturkunde in Berlin, dessen Umbau er aktuell dokumentiert (gmp, Bauwelt 21.2023): „Früher hat man vielleicht mal ein Bild von der Baustelle gemacht, aber sonst war es den Architekten egal, wie der Ort vorher aussah. Jetzt geht es darum, einen Prozess zu zeigen und auch die Schönheit des Dagewesenen, bevor die erste Mauer eingerissen wird. Man kann dieses große Objekt gar nicht beschreiben, ohne auch die kleinen Zimmerchen abzubilden, wo die Geschichten entstehen.“
Zimmer, in denen Geschichten entstehen, besuchte Marcus Bredt auch in einer auftragsunabhängigen Serie über Crestet, ein Dorf in der Provence, in dem seine Familie ein kleines Haus besitzt. Neben den alten Außenmauern fotografiert er die Räume und Menschen dahinter. „Ich bin in der ganzen Welt unterwegs, aber in diesem 100-Seelen-Dorf kann ich mich entspannen und habe auch das Gefühl, dass die Menschen entspannt und glücklich miteinander leben.“ Der Frage danach, wie wir friedlich zusammenleben können, will Marcus Bredt in seinen Fotos wei-ter nachgehen: „Es ist schön, wenn durch die Bilder eine Nähe zu einem Land oder einer Stadt entstehen kann oder wenn sie zeigen können, dass wir gar nicht so unterschiedlich sind, wie wir denken.“
Célia Uhalde – von der Architektur zur Fotografie
Von hellen Himmeln und weichem Licht umgeben, scheinen die Architekturen auf Célia Uhaldes stillen Fotografien beinahe zu schweben. Die atmosphärischen Motive wirken, als teilten die Gebäude der Fotografin etwas mit, das anderen verborgen bleibt und nur auf ihren Bildern sichtbar wird.
Célia Uhaldes fotografischer Blick entwickelte sich aus der Architektur heraus. Sie studierte an der École Nationale Supérieure d’Architecture Paris und arbeitete nach dem Studium zunächst ein Jahr lang im Pariser Architekturbüro von Ber- nard Desmoulin. Dort erlebte sie die Bedeutung der Architekturfotografie als Endpunkt eines langwierigen und emotionalen Prozesses, im Zuge dessen manchmal der Blick für das Wesentliche verloren geht: „Desmoulin meinte, für ihn sei es eine große Belohnung sich am Schluss einen Fotografen zu leisten, der die Essenz des Projekts zurückholt.“
Auf der Suche nach dieser Essenz in der Architekturfotografie zog Célia Uhalde 2015 nach Berlin, wo die Mieten erschwinglicher und die Mentalität offener war als in Paris. „In Frankreich ist es üblich, den Beruf auszuüben, den man studiert hat. Als ich mit 25 in Berlin angekommen bin, ha-be ich mich etwas verloren gefühlt, aber die Berliner meinten: Hey, du bist jung, mach was du willst!“ Parallel zu Assistenzstellen bei den Architekturfotografen Koy + Winkel und Schnepp Renou begann Uhalde ihre Arbeit als selbstständigeArchitekturfotografin. „Ich habe keine Fotografieschule besucht, aber ich habe das Glück gehabt, dass mir der Beruf mit Geduld und Professionalität gezeigt wurde.“
Durch ihren Einblick in den Architekturberuf ist Uhalde der enge Austausch mit den Architekten besonders wichtig. Vorgespräche und Wettbewerbs-Renderings helfen ihr, die Vision des Entwurfs zu verstehen, bevor sie sich dem Gebäude nähert. „Die erste körperliche Begegnung ist sehr wichtig. Nach der Besichtigung mit den Architekten bin ich gerne eine Weile mit dem Gebäude allein.“ So macht sie sich mit der Stimmung im Raum vertraut, mit Materialen, Licht und Temperatur. „Ich möchte eine Idee, ein Gefühl des Gebäudes vermitteln – und nicht 1:1 die Realität abbilden.“
Um die Kernidee des Entwurfs freizulegen, entfernt Célia Uhalde in der Vorbereitung als auch in der Nachbearbeitung der Bilder ablenkende Objekte. Am wichtigsten ist ihr die Bildkomposition durch eine Strukturierung aus Linien und Flächen. „Ich versuche im Bild Dinge einzuordnen, auch Elemente, die nicht zur Architektur gehören, wie Stromleitungen, Straßen und Schilder.“ Dabei hilft es ihr, wenn sie sich Zeit nehmen kann, einen Raum zu erfassen. „In der Auseinandersetzung mit einem Gebäude ist es gut, sich zu langweilen. Wenn du nicht mehr weißt, was du tun sollst, kommen die Situationen nach und nach auf dich zu.“
Mit dem Verweilen und genauem Beobachten geht eine Stille einher, die alle ihre Bilder gemeinsam haben. Das gilt auch für ihre freien Arbeiten, in denen sie Dörfer und Städte in Frankreich, Spanien und Deutschland erkundet. Sie nennt diese Serien „Landscapes“, obwohl auf den Bildern nie unberührte Natur zu sehen ist. Vielmehr handelt es sich um von Menschen beschriebe-ne Orte: „Städte und Landschaften funktionieren wie ein Palimpsest. So nennt man ein Papier, auf das man immer wieder schreibt, sodass sich die Schriften überlagern. Wenn man sich die Zeit nimmt, kann man diese Spuren lesen.“ Und sie hat recht: Beim genauen Hinsehen sind die Bewohnerinnen der Häuser und Städte auf jedem Bild anwesend, in Form einer Baustellenabsperrung oder eines vergessenen Handtuchs und natürlich in Form der Gebäude, die von ihrem Leben erzählen.
Till Schuster – von der Fotografie zur Architektur und zurück
Till Schusters intensive Auseinandersetzung mit dem Verhältnis von Bild und Architektur geht auf seine Studienzeit an der ETH Zürich zurück. Dort kam er als Schüler von Miroslav Šik mit der architektonischen Bewegung der Analogen Architektur in Berührung. Die Studierenden entwickelten ihre Entwürfe anhand von Referenzbildern, die sie poetisch verfremdeten. Das Ziel war eine sinnliche Bildwirkung der späteren Entwurfsdarstellungen, die Till Schuster als Realismus mit „metaphysischem Überschuss“ beschreibt: „Das Bild hatte eine größere Bedeutung, als nur Abbild des Entwurfs zu sein, es hatte eine spezifische Atmosphäre und Poesie, die mitentworfen wurde.“
Architektur und Bild sind für Till Schuster untrennbar verbunden: „Das Fotografieren hat mir einen sinnlicheren Zugang zur Architektur eröffnet. Auf den Bildern habe ich Dinge entdeckt, die ich vorher gar nicht wahrgenommen hatte.“ Die Idee von Fotografie als Werkzeug des Sehens, mit dem die Welt beschrieben und interpretiert werden kann, stand auch in seiner Lehrtätigkeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der TU Dresden im Bereich Darstellungslehre im Mittelpunkt. „Im Unterschied zum Modell oder der Visualisierung besteht bei der Fotografie immer eine Nabelschnur zur Realität.“ In einem zweiteiligen Seminar forderte er seine Studierenden auf, mit dieser Verbindung zur Realität zu experimentieren. Nach der fotografischen Erforschung eines Gebäudes oder Stadtraums sollte mittels digitaler Bildbearbeitung ein Thema aus den Fotografien entwickelt werden: „Die Realität des Fotos wurde zu einer möglichen Realität hin verändert, zu einer vertrauten und doch erfundenen Bildwirklichkeit.“ Aus diesem Prozess gingen die konstruierten Architekturbilder hervor, die unter dem Titel „Imaginäre Bildräume“ in mehreren Publikationen veröffentlicht wurden.
Mit der Relation von Bildwirkung und Wahrnehmung setzt sich Till Schuster auch in sei-nen eigenen Fotografien auseinander. Für ihn ist die Nachbearbeitung genauso wichtig wie die Aufnahme vor Ort. Manchmal sei es nötig, Elemente aus dem Bild zu entfernen, um seine Aussage zu schärfen. Das habe damit zu tun, dass wir Gegenstände auf Fotografien anders wahrnehmen würden als in der Realität: „Ein Beispiel dafür ist der oft in Innenräumen öffentlicher Gebäude vorhandene Feuerlöscher. Wenn ich durch das Gebäude laufe, fällt mir dieser an der Wand kaum auf, weil sich meine Wahrnehmung aus vielen Einzelbildern zusammensetzt. Auf einer Fotografie ist ein solcher Gegenstand hingegen sehr präsent. Als Fotograf muss ich mich fragen: Will ich den Feuerlöscher als Dokument im Bild belassen oder möchte ich etwas anderes erzählen, das nichts mit diesem zu tun hat?“
Die Intention des Bildautors steht für Till Schuster immer in Relation zur autonomen Persönlichkeit eines Gebäudes. In diesem Zusammenhang zitiert er den Fotografen Klaus Kinold, dessen Anspruch es war, „Architektur zu zeigen, wie sie ist“. Wie aber ist das möglich, bei einem dreidimensionalen Gegenstand, der sich unter Einflussvon Zeit, Wetter und Nutzung ständig verändert? Für Till Schuster ist die Serie ein wichtiges Werkzeug, um sich der Komplexität von Architektur zu nähern: „Erst über eine Serie stellt sich beim Betrachter das Bild eines Gebäudes ein, in dem er noch nie gewesen ist.“
In Till Schusters Arbeiten mit historischen Gebäuden kommt der Fotografie als Vermittlerin eines Ist-Zustands eine besondere Rolle zu. Auchauf dieser Ebene zeigt sich die Wechselwirkung von Bild und Entwurf, was der Fotograf an einem Beispiel aus der Vergangenheit erklärt: „Räume aus den Zwanziger- und Dreißigerjahren waren oft mit wunderbaren, gebrochenen Farbtönen gestaltet, die jedoch schwarzweiß fotografiert wurden. So wurde später eher das Formale der Moderne rezipiert, weil die Farbsprache in den Bilddokumenten fehlte.“ Till Schuster gibt zu bedenken, dass wir die meisten Architekturen nur von Fotografien kennen und ein Bild manchmal alles ist, was am Ende von einem Gebäude bleibt: „Bezogen auf die Bedeutung der Bilderwelt unserer Gegenwart könnte man überspitzt sagen, dass die Gebäude erst dann wirklich existieren, wenn sie abgebildet wurden.“
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