Bauwelt

Abstufungen von Widerstand, Verzweiflung, Duldung, Anpassung und Fanatismus

Eine Weimarer Ausstellung bietet den nuancierten Blick auf ­„Bauhaus und Nationalsozialismus“. Bis 15. September im Bauhaus-Museum, im Schillermuseum und im Museum Neues Weimar

Text: Welzbacher, Christian, Berlin

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Blick in die Ausstellung „Bauhaus und Nationalsozialismus“ im Schiller-Museum, im Hintergrund Herbert Bayers Plakat für die „Deutsches Volk, Deutsche Ar-beit“-Schau, 1934
Foto: Thomas Müller

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Blick in die Ausstellung „Bauhaus und Nationalsozialismus“ im Schiller-Museum, im Hintergrund Herbert Bayers Plakat für die „Deutsches Volk, Deutsche Ar-beit“-Schau, 1934

Foto: Thomas Müller


Abstufungen von Widerstand, Verzweiflung, Duldung, Anpassung und Fanatismus

Eine Weimarer Ausstellung bietet den nuancierten Blick auf ­„Bauhaus und Nationalsozialismus“. Bis 15. September im Bauhaus-Museum, im Schillermuseum und im Museum Neues Weimar

Text: Welzbacher, Christian, Berlin

Dass Politiker sich im Rahmen großer Bauhaus-Ausstellungen gern feiern lassen, haben wir im Jubiläumsjahr 2019 bis zum Überdruss erlebt. Entsprechend repräsentativ fiel auch die Er­öffnung der neuen Sonderausstellung von Bauhaus-Museum und Klassik-Stiftung Weimar am symbolischen 8. Mai aus. Aber als Wohlfühl-Kulturbetriebskulisse taugt „Bauhaus und Na­tionalsozialismus“ keineswegs. Es ist eine Schau, die Auseinandersetzung einfordert. Und deren Erkenntnisse bisweilen schwer verdaulich sind. Entsprechend war der Tenor der Weimarer Politikerreden: Wir müssen Dinge differenziert betrachten. Wir müssen gemeinsam über unsere Werte nachdenken. Wir müssen ein vielfältiges Meinungsspektrum zulassen.
Was heißt das in Bezug auf die Ausstellung? Zunächst: Dem Kuratorenteam Anke Blümm, Patrick Rössler und Elisabeth Otto ist es gelungen, etablierte Sichtweisen auf die Moderne elegant zu durchkreuzen. Im Kopf vieler Kultur-interessierter steckt das Narrativ über die bauhäuslerische Innovationsfreudigkeit in Kunst, Design, Theorie, Lehre und Architektur, die mit der „Machtergreifung“ durch dumpfe Blut-und-Boden-Doktrin ersetzt worden wäre. Die Fachleute sehen das lange schon differenzierter. Jetzt wird es einem breiten Publikum vermittelt.
So war etwa die offizielle Schließung, beziehungsweise Selbstauflösung der kurz zuvor nach Berlin umgezogenen Schule im April 1933 genauso von Mythen umwoben wie das Agie-ren des letzten Direktors Ludwig Mies van der Rohe, der sich fünf Jahre lang den Machthabern anbot, ehe er in die USA ging. In Weimar ist aber auch zu erfahren, dass es schon in der Gründungsphase 1919 „völkische“ Tendenzen am Bauhaus gab. Nahezu die gesamte Zeit ihres Bestehens wurde die Schule von links wie rechts, von innen und außen, sowohl gut als auch böse gemeint politisch instrumentalisiert – Mies’ betont neutraler Kurs nach der Entlassung seines kommunistischen Vorgängers Hannes Meyer änderte daran wenig. Die Lebens- und Arbeitswege der Bauhäusler waren also nicht erst ab 1933 von den Zeitumständen geprägt, sondern bereits davor – was die Kuratoren verdeutlichen, indem sie ihre Themenstränge bis in die früheste Bauhauszeit zurückverfolgen.
„Bauhaus und Nationalsozialismus“: Die seit den Achtzigerjahren durchgeführte Forschung hat das Thema meist über Stilfragen aufgerollt. Das bringt auch die Weimarer Schau in Erinnerung. Anhand markanter Beispiele – etwa Herbert Bayers Cover für die „Neue Linie“ oder sein Plakat für die Ausstellung „Deutsches Volk, Deutsche Arbeit“ 1934 – zeigt sie, wie das Regime die Ästhetik der Avantgarde gezielt in seine Propaganda einspannte. Dabei wird erneut deutlich, dass die Behauptung, eine „unbefleckte Moderne“ habe sich in künstlerischen Nischen durch die „dunkle Zeit“ retten können, eine Legende ist. Eine Legende, die Mitläufer und Profiteure nach Ende des Zweiten Weltkriegs erfanden, um sich der Demokratie anzudienen. Das betrifft dann nicht allein Bauhäus-ler, sondern auch Architekten wie Egon Eiermann oder Herbert Rimpl und Maler wie Emil Nolde.
Aber bei diesen Feststellungen bleibt das Weimarer Team nicht hängen. Als nächstes bekommen die staunenden Besucher vorgeführt, dass Bauhäusler nach 1933 gar nicht notwendigerweise weiter „Bauhaus-Moderne“ produzierten. Der sagenumwobene Fotograf Otto Umbehr (Umbo) hielt sich mit Reportagebildern von Hitlerbüsten über Wasser. Hans Haffenrichter fertigte realistische Tierplastiken. Kurt Kranz, der als Bayer-Schüler virtuos mit dem Formenrepertoire der Collage-Montage-Techniken jongliert hatte, malte für Wehrmachts-Zeitschriften markige Soldatenhelden im Stil offiziöser NS-Kunstdoktrin.
Richtig spannend wird es, wo die Ausstellung der kunst- und architekturhistorischen Sicht den historisch-biografischen Zugang zur Seite stellt. Verteilt über drei Ausstellungsstandorte (Museum Neues Weimar, Bauhaus-Museum, Schillermuseum), bekommen wir Einblicke in 58 Einzelschicksale. Ihre Gemeinsamkeit: Sämtliche Persönlichkeiten verbrachten zwischen 1919 und 1933 Zeit an einem der drei Bauhausstandorte Weimar, Dessau oder Berlin. Sie haben die Institution geprägt oder wurden von ihr geprägt: als Künstler und Künstlerinnen, Studenten, Gesellen, Meister, Professoren. Indem wir ihre Lebenswege verfolgen, schmelzen klare Zuschreibungen und moralisierende Kategorien wie Eis in der Sonne. Wir sehen feinste Abstufungen von Widerstand, Verzweiflung, Duldung, Passivität, Anpassung und Fanatismus, sozusagen 58 Shades of Grey.
In der Ausstellung blitzen diese Unterschiede und Widersprüche immer wieder schlaglicht-artig auf. Ausgehend von Kunstwerken, Möbeln, Plänen und Modellen (Originale, Faksimiles, Stiftungsbestände und Leihgaben) entfalten die Kuratoren ihre vielschichtige Erzählung. Sie lei-ten die Besucher dank solider Gestaltung, klarer Struktur und konzentrierter Erläuterungstexte zum selbständigen Erkennen und Entdecken an. Der Katalog vertieft die Perspektive durch biografische Einzelstudien zu einem Kaleidoskop, dessen Facetten sich zu immer neuen, schillernden Mustern zusammensetzen.
Beklemmender Höhepunkt der Schau ist ein niedriger Raum im Schillermuseum, der die ganze Tragik des 20. Jahrhunderts verdichtet. So führt die Verbindung vom Bauhaus nach Buchenwald, wo Franz Ehrlich erst als Häftling, dann als Kollaborateur wirkte – wir sehen den von ihm gestalteten Schriftzug „Arbeit macht frei“ am Lagertor und eine runengeschmückte Wiege, die er für das SS-Ahnenerbe entwarf. Und es führt der Weg vom Bauhaus nach Auschwitz, an dessen Infrastruktur der Vernichtung Fritz Ertl maßgeblich mitplante. In diesem Kontext erscheint dann auch Ernst Neuferts bis heute gebräuchliche „Bau-entwurfslehre“ (Erstauflage 1936) als Ausgeburt der Standardisierungsexzesse, die die Menschen erst zu- und dann hinrichtet. Fritz Heinze, nach seiner Bauhauszeit erst Widerstandskämpfer, dann Frontsoldat, knipste 1941 an der ukrainischen Front eingepferchte Gefangene. Die aus der Hüfte geschossene, illegal gemachte Aufnahme ist in der Ausstellung auf Posterformat vergrößert: Frauen, Kinder, Greise blicken aus ei-ner Art Glashaus direkt auf die Museumsbesucher. Am Tag darauf wurden sie alle ermordet.
Eine findige Entscheidung war es, die Schau auf drei Häuser zu verteilen. Das bringt die Be-sucher in Bewegung durch die Stadt, es ergeben sich Bezüge zu den Orten von Klassik, Moderne und Gegenwart – und ganz nebenbei erschrickt man, wie totmusealisiert, überteuert und sinnentleert diese großdeutsche Kulturkulisse eigentlich ist. Recht betrachtet hat sich die Klassikstiftung mit der dreiteiligen Sonderausstellung drei kulturpolitische Kuckuckseier ins hochsubventionierte Nest gelegt. Denn als kompakte „Inserts“ bringen sie die Jubelnarrative der Dauerausstellungen heftig ins Wanken. Am Bauhaus-Museum wird das besonders deutlich. Äußerlich angegammelter Bunker, innerlich selbstreferentieller Moderne-Fetischismus plus Shop, wirkt das Haus fünf Jahre nach Eröffnung peinlich an-tiquiert – während „Bauhaus und Nationalsozialismus“ als jene Schau triumphiert, auf die wir 2019 vergeblich gewartet haben.
Die Botschaft ist also eindeutig: Schluss mit dem Bauhaus-Autismus! Und her mit der Politik, die uns dauerhaft davon befreit. Sämtliche Bauhaus-Institutionen (Weimar, Dessau, Berlin) gehören dringend neu programmiert, bereichert um neue Menschen, neue Ideen. Nur geballte Expertise auf sicheren Stellen kann den sich gera-de so positiv abzeichnenden Aufbruch weiterführen: mehr Kontext, mehr Vielschichtigkeit, mehr Diskussion, mehr Tiefgang und mehr veränderte Blickwinkel. Wer dem Bauhaus gerecht werden will, muss Grundlagenforschung zur Moderne jenseits des Bauhauses betreiben: Dies ist – über die beeindruckenden Inhalte hinaus – die eigentliche Erkenntnis von „Bauhaus und Nationalsozialismus“. Sie sollte beherzigt werden.

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