Bauwelt

Befreiungsschlag von begrenzter Wucht

Beim Altenburger Lindenau-Museum war eine schwere Bausünde zu verhindern.

Text: Kil, Wolfgang, Berlin

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    Ein erster Entwurf von Kummer Lubk & Partner hatte massive Kritik geerntete, deshalb rieten Experten zum Wettbewerb für alternative Gestaltungsideen.
    Rendering: Kummer Lubk & Partner

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    Ein erster Entwurf von Kummer Lubk & Partner hatte massive Kritik geerntete, deshalb rieten Experten zum Wettbewerb für alternative Gestaltungsideen.

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    Eine repräsentative Achse verknüpft das Museums mit dem Bahnhof, was den Schauwert des Baudenkmals für auswärtige Besucher enorm erhöht.
    Lageplan: Hoskins

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    Eine repräsentative Achse verknüpft das Museums mit dem Bahnhof, was den Schauwert des Baudenkmals für auswärtige Besucher enorm erhöht.

    Lageplan: Hoskins

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    Empfehlung Hoskins verbergen das neue „Stadt­geschoss“ hinter Stützwänden aus Stampflehm. Optisch ruht das Museum weiterhin auf dem Hang.
    Abb.: Verfasser

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    Empfehlung Hoskins verbergen das neue „Stadt­geschoss“ hinter Stützwänden aus Stampflehm. Optisch ruht das Museum weiterhin auf dem Hang.

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    Teilnehmer Lederer Ragnarsdóttir machen das Portal im Erdgeschoss über eine Böschung zugäng­lich und organisieren Besucherwege mit einem mittigen Aufzugsturm neu.
    Abb.: Verfasser

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    Teilnehmer Lederer Ragnarsdóttir machen das Portal im Erdgeschoss über eine Böschung zugäng­lich und organisieren Besucherwege mit einem mittigen Aufzugsturm neu.

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    Teilnehmer Springer Architekten bringen die geforderten zusatzflächen in einem rückwärtigen Pavillon unter, was gegen die strikten Vorgaben des Landesdenkmalamts verstößt.
    Abb.: Verfasser

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    Teilnehmer Springer Architekten bringen die geforderten zusatzflächen in einem rückwärtigen Pavillon unter, was gegen die strikten Vorgaben des Landesdenkmalamts verstößt.

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Befreiungsschlag von begrenzter Wucht

Beim Altenburger Lindenau-Museum war eine schwere Bausünde zu verhindern.

Text: Kil, Wolfgang, Berlin

Altenburg, im östlichsten Winkel des Freistaats Thüringen gelegen, gehört zu den großen Ver­lierern im radikalen Strukturwandel Mitteldeutschlands. Einst umringt von Montanindus­trie – Braunkohle im Norden, Uranbergbau im Süden – verlor die Kreisstadt in den 1990er Jah­ren fast 40 Prozent ihrer Einwohnerschaft. Der dramatische Schrumpfungsprozess ist dem Stadtbild leidvoll anzusehen, was umso tragischer ist, als aufgeklärte Herrscher und selbst­bewusste Unternehmer der einstigen Residenz im vorletzten Jahrhundert eine kulturelle Blüte samt zahlreicher beeindruckender Gebäude bescherten. In die allererste Reihe dieser gründerzeitlichen Prachtbauten gehört das Lindenau-Museum. Gegründet zwecks „Verbreitung künstlerischer Bildung im Volke“ vom Hofbe­am­ten, Gelehrten und Kunstsammler Bernhard August von Lindenau, bis 1876 errichtet von Julius Robert Enger, einem Semper-Schüler, im Stil eines Neorenaissance-Palastes: zwei Hauptgeschosse, Mittelkuppel, Eckrisalite. Dem prägnanten, rustizierten Sockel wurde 1910 ein neo­ba­rocker Treppenaufgang vorgesetzt. Der Bauplatz am Fuße des Schlossbergs war geschickt gewählt, hoch aufragende Baumwipfel bieten dem Monument einen malerischen Rahmen. Besonders beachtenswert ist, wie die Eingangs- und Schauseite des Museums sich weder zur Stadt noch zum Schloss, sondern zum zeitgleich erbauten Bahnhof hinwendet: Ein Willkommen an Besucher aus der weiten Welt!
Seit 2001 steht das Lindenau-Museum im „Blaubuch“ der national bedeutsamen Kultur­einrichtungen. Welche Stadt würde ein solches Baudenkmal nicht wie ihren Augapfel hüten.Doch als Mitte der 2010er Jahre eine technische Modernisierung und die Erweiterung kunstpä­dagogischer Flächen immer dringlicher wurden (wofür 48 Millionen Euro Förderung bereit standen), verzichtete der Landkreis als Eigentümer des Museums auf einen Wettbewerb und vergab die Umbauplanung nach internationaler Ausschreibung direkt an das Erfurter Büro Kummer Lubk & Partner. Als dessen Vorschläge zur Neugestaltung der Zugangsbereiche im September 2021 in der lokalen Presse auftauchten, sorgte speziell die Verwandlung des steinernen Sockels in ein gläsernes „Stadtgeschoss“ für blankes Entsetzen. Höchst alarmiert, bat das Altenburger Stadtforum Architekten und Denkmalkundige aus Nah und Fern um Unterstützung, solchen Umgang mit dem herausragenden Baudenkmal zu verhindern. Offene Briefe kursierten, die Sächsische Akademie der Künste protestierte, eine Philippika im Feuilleton der FAZ sorgte bundesweit für eine Welle der Kritik. Der daraufhin erschreckten Bauherrschaft sollte ein „Expertengremium“ aus der Klemme helfen, doch die Hinzugeladenen empfahlen auch nur das Unumgängliche – einen Nachholwettbewerb, um den völlig inakzeptablen Umbauvorschlag zu „qualifizieren“.
Im September 2022 wurde ein „Verhandlungsverfahren zur Beauftragung alternativer Vorentwurfsideen“ ausgeschrieben. Die umständ­liche Benennung zeigt es schon: Da war nur ein Befreiungsschlag von begrenzter Wucht erwünscht. Bereits erlangte Planungsstände für die Innenräume des Museums waren ebenso unangreifbar wie das Grundsatzvotum des Landesdenkmalamtes, das eine (rollstuhlfreundliche) Verlegung des Haupteingangs auf die parkseitige Rückfront kategorisch ausschloss. Auch das Auslagern des zusätzlichen Raumbedarfs in Pavillons galt als tabu. Von den sechs beauftragten Büros war also kaum mehr als Fassadenkosmetik am ersten Wurf verlangt. Drei von ihnen waren direkt geladen, für die übrigen drei hatte es knapp zwei Dutzend Bewerbungen gegeben.
Bei sechs Einreichungen bot sich dem Bewertungsgremium im Februar diesen Jahres ein übersichtliches Bild: Drei Teilnehmer hatten sich an die Vorgaben des Erstentwurfs gehalten und für das neu erfundene Stadtgeschoss nach einer denkmalschonenderen Ansicht gesucht. Die anderen drei pochten auf jenen Hintertürchen-Satz in der Auslobung, nach dem „Ab­weichungen vom bindenden Flächenprogramm […] grundsätzlich möglich“ seien, sobald eine „überzeugende funktionale, architektonische wie wirtschaftliche Begründung“ vorliege. Mit diesem Dispens agierten Zirkel Architekten, Springer Architekten und Lederer Ragnarsdóttir Architekten (Büro Berlin) so freimütig, als dürfe das gesamte Haus umgeplant werden. Die beiden erstgenannten Büros entledigten sich der Raumprobleme eben doch durch Pavillons hinterm Haupthaus auf dem anschließendem Parkgelände – zwei Vorschläge, die nicht nur aus ästhetisch-formalen Gründen die Bauherrschaft provozieren mussten. Sölvi Lederer und sein Team begruben die ungeliebte neobarocke Eingangsbalustrade (und damit auch die Idee eines „Stadtgeschosses“) unter einer echten Böschung, um über deren sanften Seitenanstieg barrierefreien Zugang ins hohe Erdgeschoss zu gewinnen. Diesen diskussionswürdigen Ansatz vermasselten sie jedoch mit einer unnötig waghalsigen Idee im Hausinneren, wo sie den geforderten Personenlift in die Mitte des zentralen Oktogons rückten. Die kokette Geste (obendrein verspiegelt!) konterkariert aber den eigentlichen Schatz des Hauses – seine sorgsam konservierte Historienstimmung.
Lederers radikaler, dabei keineswegs abwegiger Böschungsvorschlag zeigt deutlich, dass ein repräsentatives Entree im Souterrain zu einem klassischen Architekturproblem führt: Wie lässt sich die Lage des Hauses am stark abschüssigen Hang tektonisch glaubhaft darstellen? Da hatten ein knochenharter „Ehrenhof“ von BASD-Schlotter und Kruschel oder der diffuse Traditionalismus vom Atelier ST gegen die akkurate Neorenaissance des Semper-Schülers keine Chance. Sollten die strikten Vorgaben der Auslobung also unbedingt Geltung behalten, kam für das Auswahlgremium nur die Arbeit von Hoskins Architects in Betracht. Die haben die Aufgabe als ein Problem landschaftlicher Einbettung verstanden. Sie „verlängern“ den Hang, lassen ihn um den Hauptbau herumfließen und stellen allen sonstigen Architekturehrgeiz hintan – bis hin zur Entscheidung, ihr „Stadtgeschoss“ wie ein echtes Bollwerk mit Stampflehm zu umhüllen. Zumindest optisch würde so das Monument vom Präsentierteller auf soliden Grund zurückfinden.
Man kann nur hoffen, dass die fortan liierten Planungsbüros (die Erfurter bleiben weiter unter Vertrag) sich um die gewählte Lösung und deren nichtalltägliche Bauweise produktiv zusammenraufen. Dem Kulturstandort Altenburg, dessen Bürgerschaft mit hartnäckigem Protest einen himmelschreienden Denkmalsfrevel verhindern konnte, würde ein so mutiger Museums-Umbau als Publikumsanreiz sicher gut stehen.
Mehrfachbeauftragung
Empfehlung Hoskins Planung, Berlin
Weitere Teilnehmer Lederer Ragnarsdóttir Architekten, Berlin und LRO, Stuttgart; Atelier ST, Leipzig; SPRINGER ARCHITEKTEN, Berlin; BASD.Schlotter und Kruschel Architekten, Berlin; Peter Zirkel Architekten, Dresden
Bewertungsgremium
Christiane Deckert, Christoph Ellermann, Matthias P. Gliemann (Vorsitz), Roland Krischke, Uwe Melzer, André Neumann, Holger Reinhardt, Stefan Rhein, Hellmut Seemann, Jürgen Tietz, Ulrike Wendland, Bernd Wenzlau, Thomas Will, Christoph Zippel
Auslober
Landratsamt Altenburger Land
Verfahrensbetreuung
Drees & Sommer SE, Stuttgart

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