Bauwelt

Brach liegendes Potenzial

Text: Geipel, Kaye, Berlin

Brach liegendes Potenzial

Text: Geipel, Kaye, Berlin

„Always be knolling“ lautet eine Arbeitsregel im Studio des New Yorker Künstlers und früheren Architekten Tom Sachs. Bevor aus zwei Kneifzangen und einer ausrangierten Bohrmaschine ein stählerner Hummer oder aus alten Gipskartonplatten ein wohnzimmergroßes Modell der Unité von Le Corbusier wird, braucht es Ordnung. Das Wort steht in keinem Wörterbuch, aber es hat mit Architektur zu tun: „Knolling“ bezeichnet – in Anlehnung an die legendären Knoll-Möbel – das rechtwinklige Ausrichten und Sortieren von Materialien und Werkzeugen auf einer Fläche. Geprägt hat den Begriff in den 80er-Jahren ein Hausmeister in Frank Gehrys Büro angesichts der peniblen Ordnung in der Modellwerkstatt des Architekten. Der Begriff bedeutet weit mehr als Aufräumen. Es geht um das Zurechtlegen und Katalogisieren der Materialien für den neuen Entwurf, ohne die es die wundersamen Repair-Welten von Sachs nicht geben würde.
Knolling funktioniert im Maßstab des Ateliers, aber funktioniert es auch auf der Ebene der Architektur und der Stadt? Die Stadt mit all ihren Bauten ist eines der wichtigsten Rohstofflager der Zukunft, man spricht von einer „urbanen Mine“. Für die Frage, wie in einer künftigen Kreislaufwirtschaft des Bauens verschiedene Qualitätsstufen des Materials unterschieden und in digitalen Katalogen geordnet werden können, um dann – je nach Restwert und Arbeitsaufwand – zum Wiederverwenden, zum Reparieren, zum Re- oder zum Downcycling geschickt zu werden, dafür gibt es längst vielversprechende Konzepte.
Wie aber die Mammutaufgabe praktisch umgesetzt werden kann, aus dem gesamten deutschen Baumaterial, das Jahr für Jahr auf Deponien endet, eine wirkliche Mine werden kann, ist ungewiss. Nach wie vor landet das Gros des baulichen Abraums als „brachliegendes Innovationspoten­zial der deutschen Bauwirtschaft“ auf einem gigantischen Abfallhaufen. Immerhin, es gibt mutmachende Projekte. Eine Vorbildfunktion übernimmt seit Jahren die belgische Reuse-Kooperative Rotor, die in ihren Brüsseler Hallen aufzeigt, wie man aus Altbauten, die abgerissen oder transformiert werden, alles Verwertbare herausholen, recyclen und neu verwenden kann. Auch mehren sich die Beispiele, wie große Bürotürme der 60er-Jahre in ihren Tragwerken, in denen 60-70 Prozent der Primärenergie stecken, umgenutzt statt abgerissen werden – ein überzeugendes Beispiel kommt von den Architekten Bogdan und Van Broeck. Auch das Einbeziehen der historisch gewachsenen Strukturen der Stadt spielt beim Konzept der Wiederverwendung und des Reparierens eine zentrale Rolle, wie Christian Salewski an Schweizer Projekten und Heide & von Beckerath mit ihrem Bau in Fürth deutlich machen.

Mutlos in Berlin

Wiederverwendung im städtebaulichen Maßstab geht nicht ohne politische Entschlossenheit am konkreten Projekt. Bei Redaktionsschluss wurde bekannt, dass eines der Berliner Pilotprojekte für innovativen Umbau, das 1952 erbaute Jahn-Stadion, nach zweijähriger Diskussionsphase trotz gegensätzlicher Expertisen doch einem Neubau weichen soll – entschieden im kleinen Kreis der Berliner Verwaltung unter neuer Leitung. Die Hauptstadt punktet mit einer rückwärtsgewandten Entscheidung.

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