Christo
1935-2020
Text: Scheffler, Tanja, Dresden
Christo
1935-2020
Text: Scheffler, Tanja, Dresden
„Alle unsere Projekte beschäftigen sich mit der Freiheit. Niemand kann unsere Installationen kaufen und niemand muss Eintritt zahlen, um sie zu sehen.“
Der in Bulgarien als Christo Vladimirov Javacheff geborene, in Deutschland vor allem mit der Verhüllung des Berliner Reichstagsgebäudes bekannt gewordene Künstler ist am 31. Mai in New York City gestorben. Zusammen mit seiner Frau Jeanne-Claude Denat de Guillebon (1935−2009) konzipierte er neben den spektakulären Verhüllungen bedeutender Bauwerke auch Installationen im Stadtraum und temporäre Land Art in Europa, Asien und den USA und stellte damit die Mechanismen des Kunstbetriebs infrage.
Christo studierte ab 1953 an der Akademie der Künste in Sofia Architektur, Malerei, Bildhauerei und angewandte Kunst und kokettierte später damit, dass er sich nie für einen dieser Berufe entschieden habe. Er floh 1956 zuerst nach Prag, danach weiter nach Wien und Genf, 1958 nach Paris. Seinen Lebensunterhalt verdiente er anfangs vor allem mit Auftragsporträts. Die Familie seiner späteren Frau Jeanne-Claude unterstützte ihn mit Aufträgen. Als er mit Jeanne-Claude eine Affäre begann und sie schwanger wurde, kam es zum Eklat. Sie trennte sich von ihrem Mann, zog zu Christo und heiratete ihn später. Ihre private und berufliche Partnerschaft hielt bis zu ihrem Tod.
1962 stellte Christo in einer Pariser Galerie sein erstes Projekt für ein verhülltes öffentliches Gebäude (1961) vor. Jeanne-Claude überzeugte ihn, seine seit Langem – parallel zur Ausstellung – in der Rue Visconti geplante, immer noch nicht genehmigte Mauer aus Ölfässern („The Iron Curtain“) aufzubauen und hielt die daraufhin auftauchende Polizei in Schach. Diese Installation erregte in Künstlerkreisen großes Aufsehen. Galeristen und Museen fanden zu diesem Zeitpunkt seine temporären Arbeiten ohne Preisschild weniger interessant.
Bereits als Kind hatte Christo in der Chemiefabrik seines Vaters Zeichnungen von großen Stoffballen angefertigt. Ab 1958 verpackte er kleinere Alltagsgegenstände, um Skulpturen herzustellen. Dieses Konzept entwickelte er später zusammen mit Jeanne-Claude durch die temporäre Verhüllung von Gebäuden in einem größeren Maßstab weiter. Dabei werden die groben Strukturen sichtbar, der gesamte Gegenstand jedoch abstrahiert. Bei einigen Projekten hatten die beiden von Anfang an ein symbolträchtiges Bauwerk oder einen speziellen Ort im Auge. Es dauerte wie bei dem Reichstag in Berlin („Wrapped Reichstag“, 1971−95) und den mit Stoffbahnen versehenen Toren im New Yorker Central Park („The Gates“, 1979−2005) und trotz hartnäckiger Überzeugungsarbeit meist sehr lange, bis die angedachte Arbeit realisiert werden konnte. Bei landschaftlichen Interventionen entstand meist zuerst die künstlerische Idee, für die die beiden dann einen geeigneten Ort zur Umsetzung suchten. Die Idee von verhüllten Bäumen („Wrapped Trees“), schlussendlich 1997/98 im Berower Park realisiert, verfolgten sie seit den 1960er Jahren. Viele Projekte gibt es nur als visionäre Idee auf dem Papier: Entweder konnten die beiden dafür keine Erlaubnis erhalten, oder aber sie verloren – aufgrund der auftretenden Schwierigkeiten beim Versuch einer Realisierung − irgendwann das Interesse.
Seit 1961 entwickelte das Künstlerpaar die Konzepte der größeren Projekte gemeinsam. Christo schuf dann viele anschauliche Darstellungen, die die zentralen Ideen vermitteln, Jeanne-Claude bereitete die konkrete Umsetzung vor. Ab 1971 wurden sie vom Fotografen Wolfgang Volz unterstützt. Seine Aufnahmen der ausgewählten Orte bildeten oft die Grundlage für Christos Collagen, außerdem dokumentierte er die realisierten Projekte exklusiv mit der Kamera. Christo und Jeanne-Claude finanzierten ihre großen Installationen, um künstlerische Freiheit bei der Auswahl und Realisierung der Projekte zu haben, alle mit eigenen Mitteln: durch den Verkauf von Vorstudien und frühen Werken. Interessierte Privatsammler konnten sich die Arbeiten im Atelier in der Howard Street in SoHo anschauen, welches das Paar bereits 1964 bezogen hatte und das kurz vor Christos Tod immer noch den gleichen rohen Charme wie in den 60er Jahren hatte. In dem Atelier arbeitete er alleine, ohne Assistenten, und pinnte seine Zeichnungen gerne an die unverputzten Wände.
Die Projekte von Christo und Jeanne-Claude beeindrucken aufgrund ihrer ästhetischen Schönheit und magischen Ausstrahlung ein großes Publikum, auch Menschen, die sonst keinen Zugang zu moderner Kunst haben. Oft schillerten die verwendeten Gewebe in verschiedenen Farbschattierungen, reflektierten Sonne, Licht und Wolken. Auch lange nachdem alle physischen Spuren entfernt und die Materialien recycelt wurden, sind die künstlerischen Ideen dieser Projekte weiterhin durch Christos Entwürfe und Collagen sowie die vielen Fotoaufnahmen der realisierten Werke im allgemeinen Bildgedächtnis präsent. Nachhaltiger und breitenwirksamer kann Kunst kaum sein.
0 Kommentare