Bauwelt

Darf’s ein bisschen mehr sein?

Text: Crone, Benedikt, Berlin; Landes, Josepha, Berlin; Brinkmann, Ulrich, Berlin

Darf’s ein bisschen mehr sein?

Text: Crone, Benedikt, Berlin; Landes, Josepha, Berlin; Brinkmann, Ulrich, Berlin

Ziehen wir mal etwas an den Haaren herbei, an langen, wilden, mit viel Haarspray gehaltenen Haaren in orange-rot: An den Haaren von Vivienne Westwood. She’s The Queen of P(r)unk. In diesem Sinne ist, was sich in diesem Heft versammelt, pompös as hell oder schert sich nicht die Bohne darum, ästhetischen Konventionen zu genügen. In beiden Extremen jedoch gute Architektur – finden wir. Zwar wird es nicht ganz so schrill wie die Entwürfe der Modequeen. Immerhin aber fanden wir eine Dragqueen als Quarterback, und ihr Macher lieferte denn auch einen Slogan mit: „Wir wollen mehr Spaß. Design ist nichts Intellektuelles.“ Schlagen Sie jetzt nicht den Deckel zu und die Hände über dem Kopf zusammen! Wir haben auch Feingeister bedacht, denn Prunk und Punk verstecken sich bisweilen raffiniert. Könnten gar auf Sockel verfrachtete Architekten wie Aldo Rossi im Herzen etwas sehr Anarchisches getragen haben ?
Ein bisschen Prunk kann nicht schaden, dachten wir, als das Heft fertig war. Warum aber behauptet so selten ein Architekturbüro, es hätte ein schönes Haus gebaut? Lieber umschreibt es sein Werk als kontextual, extrovertiert, reduziert. Wer sich dagegen für Zierde begeistert, landet schnell im Töpfchen „reaktionär“. Dabei ist Zierrat nun einmal in der Welt. Und es lohnt, damit umzugehen. Das zeigen Umbauten in Amsterdam und Andalusien. Vom kühlen Glanz bis zum üppigen Pomp: Es braucht Mut, sich an die Grenzen des guten Geschmacks zu wagen.

Vom Prunk zur Stadt

Zentrale Plätze und Straßen haben sich in Jahrhunderten zu einer Ausstellung des Repräsentationswillens von Kirche, Adel und Bürgertum entwickelt. In Deutschland ging vieles davon im Bombenhagel des Zweiten Weltkriegs unter. Lübeck war 1942 ein frühes Ziel für ein Flächenbombardement, Berlin blieb es, bis im Frühjahr 1945 die Rote Armee die Stadt vom Nationalsozialismus befreite, und verlor einen weiteren Groß­teil seiner Substanz durch die Teilung; in Ingolstadt wurde noch wenige Wochen vor der Kapitulation der Süden der Altstadt zerstört. Bis heute prägen Brachen, Lücken, Provisorien die inneren Bereiche dieser Städte. An der Trave ist seit sechs Jahren ein neues Altstadtquartier im Entstehen, das einen anderen Weg einschlägt als die Rekonstruktionsvorhaben in Dresden, Potsdam und Frankfurt am Main: Im Lübecker Gründungsviertel soll mit zeitgenössischer Architektur der Wiederaufbau der fünfziger Jahre altstadtgemäß korrigiert werden. Gut die Hälfte ist inzwischen fertig: Anlass für eine Zwischenbilanz. Dazu zwei Baulückenschließungen in Berlin und Ingolstadt: ohne Prunk, aber mit Sorgfalt.

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