Das atmende Haus
Die Münchner Kooperative Großstadt zeigt immer wieder, wie groß der positive Einfluss von Wohnungsbau- genossenschaften auf eine gerechte Stadtentwicklung sein kann. Der KOOGRO-Wettbewerb zum Neubau einer sozialen Wohnsiedlung in München-Neufreimann ist entschieden.
Text: Kraft, Caroline, Berlin
Das atmende Haus
Die Münchner Kooperative Großstadt zeigt immer wieder, wie groß der positive Einfluss von Wohnungsbau- genossenschaften auf eine gerechte Stadtentwicklung sein kann. Der KOOGRO-Wettbewerb zum Neubau einer sozialen Wohnsiedlung in München-Neufreimann ist entschieden.
Text: Kraft, Caroline, Berlin
Kann es nicht immer so sein? Eine Genossenschaft lobt einen offenen Wettbewerb für ein soziales, zukunftsgerechtes Wohnprojekt aus. Beide Jurysitzungen sind (nach kurzer Diskussion mit der Architektenkammer Bayern) für die Öffentlichkeit zugänglich. Das Preisgeld von 145.000 Euro wird gleichmäßig auf alle Teilnehmenden der zweiten Phase verteilt. Die offen formulierte Auslobung begreift den Wettbewerb als Forschungsmethode, steckt einen Rahmen, funktioniert aber eher als Richtungsweiser denn als Vorschrift. Eine vollständige Holzkonstruktion beispielsweise ist nicht vorgeschrieben, wohl aber der Verzicht auf Klebeverbindungen und Verbundstoffe und die größtmögliche Verwendung wiederverwendeter und recycelbarer Baustoffe. Das gesamte Wettbewerbsareal teilen sich Genossenschaften, die Zuteilung der Grundstücksteile erfolgte per Losverfahren.
Die Kooperative Großstadt (KOOGRO) leistet mit ihren Wettbewerbsauslobungen einen Beitrag zum Diskurs zu modernem Wohnungsbau. Sie begreift die Wohnungsfrage sozial, politisch und architektonisch. „Freimundo“ im entstehenden Münchner Stadtteil Neufreimann ist ihr viertes Realisierungsprojekt. Den Masterplan für den Stadtraum verantwortet eine ARGE aus Max Dudler und Hilmer Sattler Ahlers Albrecht.
„Die künftigen Bewohner*innen haben sich in den ersten Treffen auf den identitätsstiftenden Grundgedanken des gemeinschaftlichen und nachhaltigen Wohnens verständigt“, bringt die Auslobung zwei Kernthemen auf den Punkt: Gemeinschaft und Anpassungsfähigkeit. Im „atmenden Haus“ ist eine nötige Wohnraumverkleinerung nicht mit Wegzug verbunden, Bedürfnisse können sich ändern, der Wohnraum sollte das mittragen. Mindestens die Hälfte der Wohnungen muss über einen Kombiraum verfügen, der zu- oder wegschaltbar ist. Außerdem soll es eine Gemeinschaftsküche geben.
Freimundo ist ein sozialer Wohnungsbau für etwa 280 Menschen mit rund einhundert Wohneinheiten. Die Genossenschaft erwartet Lösungsvorschläge zur Finanzierung eines qualitativ hochwertigen Baus mit gedeckelten Mie-ten. Neben zwei Wohngruppen für die Kinder- und Jugendhilfe ist festgeschrieben, dass mindestens sieben Wohnungen an alleinerziehende Frauen zu vermieten sind. Der Frauenrechtsverein siaf e.V. unterstützt diese Bewohnerinnen. Den größten Wohnanteil macht das neunzig- Quadratmeter-Modell ab vier Personen aus.
Erfreulicherweise geht es so gut weiter, wie es anfing: Menu Surprise Architecture und Wurzelsieben gewannen den Wettbewerb – keine etablierten Wohnraumplaner, sondern junge Architekturbüros. Die Übersetzung der Bauaufgabe in einen robusten, klar gegliederten Körper überzeugte das Preisgericht. Geflieste Holzelementfassaden geben dem Bau eine klare Identität, die manches Jurymitglied dennoch als monoton empfindet. Ein großzügiger Toreingang macht die Adressbildung unmissverständlich. Die im Erdgeschoss untergebrachten Funktionen abseits des Wohnens bewertet die Jury als gelungen, stellt jedoch Barrierefreiheit und ausreichende Privatsphäre der Gästeapartments infrage. Die Wohngrundrisse sind durch die Verortung verschieden breiter Kombiräume auf einem Mittelband sehr anpassungsfähig. Durch die zweiseitige Belichtung und die Orientierung der gemeinschaftlichen Bereiche zu den Laubengängen hin entstehen qualitätvolle Innenräume.
Einen dritten Platz erreichten Pool Architekten. Das mittig zum Hof platzierte Entrée funktioniert als „Marktplatz für die Hausgemeinschaft“. Eine zweigeschossige Halle, angelehnt an das Grandhotel, erlaubt wie eine Lobby das Erreichen aller gemeinschaftlichen Nutzungen im Innen- und Außenraum. Den einladenden Charakter dieser Geste begrüßt die Jury, kritisiert allerdings ihre Höhe, die zugunsten des Wohnraums geringer ausfallen könne.
Die doppelgeschossigen Laubengänge charakterisieren den Entwurf. In Kombination mit einigen Maisonettewohnungen gibt es so in den Obergeschossen Wohnräume von großer Quali-tät, die zum Innenhof liegen, ohne direkt an den Erschließungsbereich zu grenzen. Das Preisgericht bescheinigt der Architektur hohes Niveau, zweifelt aber an der Wirtschaftlichkeit aufgrund des hohen Glasanteils der Fassade. Generell diskutiert die Jury den Ausdruck des Gebäudes, der weniger dem genossenschaftlichen Wohnen als höherpreisigem Bauen entspreche.
Mit seiner „rationalen, sozialen und poetischen Architektur“ erreichte das Team um Sophie Delhay einen gleichberechtigten dritten Platz. Der mit Kalksandstein verkleidete Holzbau fasst den Hof als „essbaren Garten“ mit gemeinschaftlichen Aufenthaltsmöglichkeiten. Überhaupt begreift der Entwurf das Essen, räumlich übersetzt die Küche am Laubengang als Bindeglied zwischen Kollektivität und Privatheit. Die Jury lobt die unkomplizierte und anpassungsfähige Grundstruktur. Den Wandaufbau aus Massivholzwand, Kerndämmung und Kalksandsteinverblendung hinterfragt sie aus bauphysikalischer, wirtschaftlicher und ökonomischer Sicht.
Wenn alles nach Plan läuft, kann Freimundo 2028 bezogen werden. Bis dahin hat die KOOGROhoffentlich genug Zeit, ihr erlangtes Wissen auch in andere Städte zu tragen.
Offener zweiphasiger Realisierungswettbewerb
1. Preis (9666.66 Euro) ARGE menu surprise architecture und wurzelsieben, Berlin/München mit OTTL.LA, München
ein 3. Preis (9666.66 Euro) pool Architekten mit Eder Landschaftsarchitekten, beide Zürich
ein 3. Preis (9666.66 Euro) Sophie Delhay Architecte, Paris mit Lokus Landscape, Molenbeek-Saint-Jean
4. Preis (9666.66 Euro) Schenk Architecture Atelier BV mit Maurus Schifferli Landschaftsarchitekten, Bern
1. Preis (9666.66 Euro) ARGE menu surprise architecture und wurzelsieben, Berlin/München mit OTTL.LA, München
ein 3. Preis (9666.66 Euro) pool Architekten mit Eder Landschaftsarchitekten, beide Zürich
ein 3. Preis (9666.66 Euro) Sophie Delhay Architecte, Paris mit Lokus Landscape, Molenbeek-Saint-Jean
4. Preis (9666.66 Euro) Schenk Architecture Atelier BV mit Maurus Schifferli Landschaftsarchitekten, Bern
Ausloberin
Kooperative Großstadt, München
Kooperative Großstadt, München
Fachpreisjury
Isabell Klunker, Sölvi Lederer, Oliver Lütjens (Vorsitz),
Annette Pfundheller, Anna Puigjaner
Isabell Klunker, Sölvi Lederer, Oliver Lütjens (Vorsitz),
Annette Pfundheller, Anna Puigjaner
Verfahrensbetreuung
Bohn Architekten, München
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