Bauwelt

Dem Zufall Raum geben

Das Berliner Museum für Architektur­zeichnung zeigt künstlerische Arbeiten von Morphosis-Gründer Thom Mayne

Text: Schulz, Bernhard, Berlin

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    Berlin Wall, 1988, mit Stephanie Adolph & Ahti Lahti.
    © Thom Mayne

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    Berlin Wall, 1988, mit Stephanie Adolph & Ahti Lahti.

    © Thom Mayne

Dem Zufall Raum geben

Das Berliner Museum für Architektur­zeichnung zeigt künstlerische Arbeiten von Morphosis-Gründer Thom Mayne

Text: Schulz, Bernhard, Berlin

Neun Bleistiftzeichnungen hat Thom Mayne dem von ihm entworfenen Privathaus im kalifornischen Hermosa Beach gewidmet. Sieben zeigen Schnitte, die das Gebäude von hinten nach vorn freilegen, bis auf der achten Zeichnung das ganze Haus in perspektivischer Verkürzung sichtbar wird. Auf dem neunten Blatt aber schwebt eine große Brille über dem Gebäude, und rechts oben vollführt ein Bleistift jene Linien und Kreise, aus denen die Zeichnungen bestehen. Die scheinbar objektiven Schnittzeichnungen werden so als Erzeugnisse von Künstlerhand kenntlich.
Eine schönere Metapher für Maynes Arbeitsweise kann es gar nicht geben. Das Berliner Museum für Architekturzeichnung der Tchoban Foundation zeigt Zeichnungen, Grafiken und skulpturale Objekte, die die Laufbahn des heute 76-jährigen Mitbegründers des legendären Büros „Morphosis“ zusammenfassen. Mayne hat lange nur gezeichnet und nicht gebaut, erst in den 80er Jahren erreichten ihn die für viele Architektenkarrieren typischen kleinen Aufträge für Privathäuser und Umbauten. Zuvor war Mayne als Theoretiker aufgetreten; im Gespräch mit Kristin Feireiss, das in dem schönen Ausstellungskatalog abgedruckt ist, sagt er: „Warum sollte ich mich dann für die Leitung eines traditionellen Architekturbüros interessieren?“
Kristin Feireiss hat ihn 1990 in ihrer Aedes-Galerie ausgestellt; zwei Jahre zuvor hatte Mayne den Entwurf für ein Museum über der Berliner Mauer für die ebenfalls von Feireiss zusammengestellte Ausstellung „Berlin – Denkmal oder Denkmodell?“ zum Jahr West-Berlins als Europäische Kulturhauptstadt beigesteuert. Das Blatt ist jetzt erneut zu sehen; damals bezeichnete Mayne es als „Fragment einer neuen Mauer und „soziale ,Schiene‘, die die Kommunikation von Mensch zu Mensch ermöglicht“. Nur ein gutes Jahr später brach die Mauer zusammen, und mit ihr wurde Maynes Entwurf Geschichte. Aber eine auf den Tag bezeugte Geschichte, hat Mayne doch die Titelseite einer Tageszeitung vom 2. Juni 1988 hineincollagiert.
Es wurde dann aber doch etwas mit „richtigen“ Bauten, angefangen mit der Pomona Ranch Highschool; später kam unter anderem das Gebäude der Cooper Union in New York dazu. 2005 wurde Mayne mit dem Pritzker-Preis ausgezeichnet. In der jetzigen Ausstellung unter dem Titel „Skulpturale Zeichnungen“ zeigen die Kuratorinnen Kristin Feireiss und Esenija Bannan nur wenige Blätter, die sich auf gebaute Architektur beziehen, wie die eingangs erwähnten Zeichnungen, die wohlgemerkt nach Fertigstellung des Privathauses im Jahr 1984 entstanden. Mayne arbeitet bei Entwürfen gern mit Zeichnungen auf Transparentpapier, die er schichtweise übereinanderlegt – die Grafiken zeigen hingegen den Endzustand mit der Überlagerung von Linien und Kreisen, aus denen kein Grundriss und kein Konstruktionsgerüst mehr erkennbar sind.
Jüngere Arbeiten sind noch freier, sie geben dem Zufall Raum, den Mayne zu einem Prinzip seiner Herangehensweise gemacht hat, unter dem umfassenderen englischen Begriff der „Chance“. Inzwischen kommen auch Reliefs hinzu, die zwar vom Computer generiert und im 3D-Drucker ausgeführt werden, doch als Erweiterung der Handzeichnung zu begreifen sind (siehe auch Bauwelt-Interview mit Thom Mayne). Danach hat Mayne die dritte Dimension wieder fallengelassen und gewissermaßen die Reliefs auf das plane Zeichenpapier zurückprojiziert – so jedenfalls lassen sich die Lithographien von 2013 unter dem Serientitel „Composites“ verstehen.
„Ich wollte die äußerst negative Vorstellung von der Mauer, die das Land trennte, umkehren und sie in ein positives Denkmal des Austausches verwandeln, auf dem die Menschen von Ost nach West und umgekehrt gehen konnten“, führt Mayne im Gespräch mit Kristin Feireiss zu seinem Berliner Entwurf von 1988 aus und setzt hinzu: „Jenseits aller formalen Überlegungen ging es um ein Verständnis von Architektur als eine Form radikalen gesellschaftspolitischen Engagements.“ Vielleicht kann man die Betonung des Engagements auf die Protestbewegung zurückführen, zu deren Höhepunkt der an der Ostküste geborene Mayne 1968 seinen Bachelor an der USC in Los Angeles gemacht hat. „Engagement“ verlangt Offenheit, Veränderung, Risiko. All das ist in den Zeichnungen und Objekten enthalten, ebenso wie in den – vergleichsweise wenigen – ausgeführten Bauten, die man sich zu dieser Ausstellung hinzudenken muss, als irdisches Gegengewicht zu den poetischen Höhenflügen in gezeichneter und gedruckter Form.

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