Der Klotz im Hals
In Hamburg bekommt der ehemalige Flakturm auf dem Heilgengeistfeld eine Aufstockung und viel Begrünung. Was die einen als Stadtverschönerung mit öffentlicher Grünfläche loben, löst bei anderen Sorgen der Verdrängung und des Vergessens aus.
Text: Costadura, Leonardo, Frankfurt am Main
Der Klotz im Hals
In Hamburg bekommt der ehemalige Flakturm auf dem Heilgengeistfeld eine Aufstockung und viel Begrünung. Was die einen als Stadtverschönerung mit öffentlicher Grünfläche loben, löst bei anderen Sorgen der Verdrängung und des Vergessens aus.
Text: Costadura, Leonardo, Frankfurt am Main
Ein Versuch, den Gegenstand einzukreisen.
Ein hanseatischer Herbstmorgen: Der Himmel ist grau, die Lufttemperatur unter zehn Grad, der Wind pfeift und alles ist irgendwie nass, obwohl es gerade gar nicht regnet. Kaum tritt der Besucher aus der U-Bahn-Station Feldstraße ans Tageslicht, donnert ihm dieser Bunker von rechts ins Sichtfeld. Was tun, um sich mit diesem Monstrum vertraut zu machen? Es zunächst einmal vorsichtig umrunden, mit gebotenem Abstand. Es gibt Orte, Bauten, Dinge, die sich der Wahrnehmung wie dem Verständnis sperren, und damit letztlich auch der Gestaltung. Der Feldstraßenbunker wird wohl nie ein „schöner“ Ort werden, ganz egal, wie viel Zeit vergeht, wie viele Meter Beton aufgestockt und wie viele Bäume auf ihm gepflanzt werden. Aber gut, Hamburg ist in ausreichend vielen Punkten schön; hier auf dem Heiligengeistfeld, wo das Millerntorstadion des FC St. Pauli unweit der Rindermarkthalle im Schatten des Flakturms steht und dreimal im Jahr die große Kirmes „Hamburger Dom“ stattfindet, dominieren eher andere semantische Felder wie Wüstenei, Verwüstung, Schlacht, Schlachthof, Abwehr, Wehrturm, Sturm, „Volkssturm“, Volksfest, Schuss, Schießbude – sowas.
Der „Flakturm IV“ wurde zwischen 1942 und 1943 gebaut, und zwar von schätzungsweise zweieinhalbtausend Zwangsarbeitern. Sie errichteten ein Gebäude, das dem Schutze aller außer ihrer selbst dienen sollte: als Refugium bei Luftangriffen, vor allem aber als gigantische Plattform, auf der die Flugabwehrkanonen, kurz Flak, positioniert waren. An diesen Gefechtspositionen wurden, spätestens während des genannten „Volkssturms“, in weiten Teilen Minderjährige verheizt, im Namen des „Endsiegs“. Eine solche Stahlbeton-Orgie könnte als Sinnbild des Nationalsozialismus herhalten, mit seinem kalten Atem des Hasses und seiner erbärmlichen Mimikry vermeintlich heroischer Typologien aus Mittelalter und Antike. Unsere Vorfahren, die für die Verwüstung deutscher Städte verantwortlich sind, haben uns als Erinnerung daran überall in Deutschland ausgerechnet diese nahezu unverwüstlichen Kriegsmaschinen hinterlassen. Wie mit ihnen umgehen?
Der Bunker Feldstraße ist ein besonders aussagekräftiges Dokument, da er viele wechselnde Nutzungsspuren seit 1945 aufweist, die schlaglichtartig die Geschichte der BRD nacherzählen. Auch heute und in Zukunft, wo sich ein kapitalisierbarer Immobilien-Termitenhügel auf den Flakturm gesetzt hat, der Stück für Stück von Bäumen und Sträuchern überwuchert werden wird. Sind wir also eine Generation, die wortwörtlich Gras über das dunkelste Kapitel deutscher Geschichte wachsen lässt?
Unmittelbar nach Ende des Kriegs diente der Bunker eine Zeitlang als Notunterkunft, und zu diesem Zweck wurden damals die Fensteröffnungen in den Außenwänden freigesprengt, die auch heute noch zu sehen sind. Das Rote Kreuz quartierte sich hier ein, es gab eine Essensausgabe – diese Zeitschicht des Bunkers erzählt vom Elend und der Not, die mindestens die drei Jahre vom Kriegsende bis zur Währungsreform charakterisieren. Seit 1949 nutzte der NDR einen Teil des Baus, der während des gesamten Kalten Krieges als Luftschutzbunker instandgehalten wurde; ein Symbol für die sich demokratisierende Informationsgesellschaft der jungen BRD, die sich im Herzen der Blockkonfrontation befand. Nachdem 1990 die Zivilschutzbindung weggefallen war und die Rede vom Ende der Geschichte die Runde machte, entwickelte sich der Bunker zu einem informellen Raum für Musik und Kunst – kurz: Freiheit. In jenen Jahren, die gleichzeitig auch Raubzugsjahre des Neoliberalismus waren, handelte der Unternehmer Thomas Matzen mit der Stadt einen 99 Jahre währenden Erbpachtvertrag aus, in dem die vornehmlich kulturelle Nutzung des Bunkers festgeschrieben ist.
Zwei Jahrzehnte lang passierte nichts Aufsehenerregendes, bis die Pläne des Investors bekannt wurden, den Flakturm um fünf terrassierte Geschosse aufzustocken und diese umfassend zu bepflanzen. Die einen warnten, hier werde die Hamburger Kulturszene eines wichtigen Standorts beraubt und die deutsche Erinnerungskultur mit Füßen getreten, die anderen begrüßten das Projekt als sinnvolle Weiterentwicklung dieses monströsen Bauwerks, das allzu grau und hässlich auf dem Heiligengeistfeld vor sich hin dräute. Die altbekannte Dialektik zwischen „Das ist ein Schandfleck, den man beseitigen muss“ und „Dies ist ein wichtiger Ort der Erinnerung, den es zu erhalten gilt“ strukturierte den Diskurs mit Macht. Eine neuartige Auflösung dieses Widerstreits freilich ist die Möglichkeit, dass der Erinnerungsort durch Aufbau und Begrünung gleichzeitig erhalten und beseitigt wird.
Ich wende mich mit meinen offenen Fragen an Urte Ußling. Sie ist Vorstandssprecherin des Vereins Hilldegarden e.V. (eine Wortschöpfung aus Hügel mit Garten), der im Bunkeraufbau einen Informations- und Erinnerungsort betreiben wird. Dass es diesen Erinnerungsort geben wird, ist, wie sie berichtet, einem Bürgerbeteiligungsverfahren zu verdanken und im städtebaulichen Vertrag festgeschrieben, den die Stadt mit dem Bauherren geschlossen hat. Dort stehe auch, dass er sich zu 50.000 Euro Unterstützung verpflichtet. Das Ergebnis der Verhandlungen gestaltet sich folgendermaßen: Der „Medienbunker“bleibt in Substanz (ohnehin denkmalgeschützt) und Nutzung unangetastet, und der fünfstöckige Aufbau ist ein praktisch unabhängiger Baukörper, der nicht wenigen Auflagen unterliegt. So müssten fünf Jahre nach Fertigstellung mindestens 80 Prozent aller Pflanzen auf dem Gebäude rund ums Jahr grün sein, sagt Ußling. Von den neu entstehenden Innen- und Außenflächen werde ein substanzieller Teil öffentlich zugänglich sein, inklusive des Dachgartens mit seinem sogenannten „Bergpfad“, der die Besucher von unten fast zweimal ganz ums Gebäude herum bis oben zum Garten führen wird. Im Aufbau des Bunkers werde es am Ende drei Mieter geben: ein Hotel, eine Sport- und Freizeithalle, die nach dem kommunistischen Hitlerattentäter Georg Elser benannt ist, den Verein mit dem Informations- und Erinnerungsort sowie einem Raum für Nachbarschaftstreffen und Kunstausstellungen.
Und wie findet sie die ganze Sache? Sie sei früher häufig auf die Straße gegangen, um gegen etwas zu demonstrieren, sagt Urte Ußling. Jetzt wollte sie auch einmal für etwas sein, mitgestalten. Außerdem sei der vorige Zustand gar nicht so begrüßenswert gewesen, wie es bisweilen dargestellt werde: „Die Stadt hat zwar Gewerbesteuer eingenommen, aber weder für den Erhalt des Bunkers noch für die Erinnerung an diesem besonderen Ort gesorgt.“ Und im Club tanzen sei auch nicht unbedingt ein besonders starker Akt des Erinnerns. Zur Begrünung hat sie eine ähnlich gelassene und zuversichtliche Haltung: Der Bunker werde erkennbar bleiben und in seiner neuen Gestalt mehr Besucher anziehen als früher. Dank des Erinnerungsortes werde es zudem in Zukunft auch ein besseres Informationsangebot geben als früher. Schließlich verweist sie auf den Forscher Marco Schmidt von der TU Berlin, der in der NDR-Nordreportage, in der es um den Feldstraßenbunker geht, über die Kühlung durch Grün spricht: Eine Pflanze habe im Sommer eine Oberflächentemperatur von 25 Grad, Beton oder Asphalt 45 bis 50 Grad. Und jeder Tropfen, der hier verdunste, führe zu drei Tropfen Regen. Die vielen Pflanzen auf dem Gebäude würden also eine gewaltige Wirkung für die Umgebung entfalten.
Ist das nun Greenwashing oder tatsächlich grün oder beides? Gibt es bald einen „Schlussstrich“ in der deutschen Erinnerungskultur oder nimmt das Gedenken an den Nationalsozialismus und den Zweiten Weltkrieg nur andere Formen an? Einiges spricht dafür, in diesem Fall verhalten optimistisch sein zu dürfen. Es ist ein großes Experiment, in dem ein geschichtsträchtiger Ort nicht nur umgenutzt, sondern weiterentwickelt wird – er bleibt also lebendig, und Klotz im Hals der Hamburger Stadtgesellschaft wird er wohl auch bleiben.
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