Der Tiefgarten
Wo setzt die Instandsetzung bei einer denkmalgeschützten Gartenanlage an? Ist es richtig, 50 Jahre grünes Wachstum in den Ursprungszustand zurückzuschneiden? Die Autorin, selbst Architektin, macht sich Gedanken über das sinnvolle Maß.
Text: Woelk, Imke, Berlin
Der Tiefgarten
Wo setzt die Instandsetzung bei einer denkmalgeschützten Gartenanlage an? Ist es richtig, 50 Jahre grünes Wachstum in den Ursprungszustand zurückzuschneiden? Die Autorin, selbst Architektin, macht sich Gedanken über das sinnvolle Maß.
Text: Woelk, Imke, Berlin
Natur entwickelt sich nach eigenen Gesetzen. Anders als die Architektur sind Bäume und Pflanzen in ständiger Bewegung. Als die Nationalgalerie Mitte der 90er Jahre unter Denkmalschutz gestellt wurde, umfasste der auch den Tiefgarten. Die Bepflanzung hatte sich im Verhältnis zum Bestandsplan von 1967/68 stark verändert, als 2013 das Büro Topos unter der Leitung von Bettina Bergande mit der Sanierung betraut wurde. Das Wurzelwerk der Bäume hatte sich eigene Wege gebahnt und Steinplatten angehoben, die Unterpflanzung war im Zuge der Gartenpflege zu kugeligen Geometrien hochgewachsen. Die Instandsetzung des Skulpturengartens und der Gartenanlagen erwies sich als heikles Unterfangen – Mies’ strenge Architektur lebt vom Gegensatz zum genau kalkulierten Grün. Kaye Geipel
„So hat jedes Material seine spezifischen Eigenschaften, welche wir verstehen müssen, wenn wir uns seiner bedienen wollen“. 1 – „Ist Natur für Sie auch ein Material?“, hätte ich den Architekten gern gefragt, der 1968 zum letzten Mal in Berlin war, um dort auch über die Pflanzungen zu sprechen. Als ich vor wenigen Wochen die abgeschlossenen Instandsetzungsmaßnahmen der Neuen Nationalgalerie besichtigte, fand sich nirgendwo, auch nicht auf den großzügigen Außenterrassen, die kleinste Bemoosung. Der Bau wirkte in seiner strengen Geometrie, seiner skeletthaften Entkleidung noch abstrakter, als er es ohnehin immer schon war. Granit, Stahl, Glas, scheinbar alterslos. Ein fast theoretischer Raum, der sich nun wieder seiner Umwelt aussetzt.
Beim Tiefgarten angekommen, erschrak ich, denn er war leer. Ich erfuhr, dass seine Vegetation als krank, fehlwüchsig oder wilde Selbstaussaat diagnostiziert worden war und auch Schaden an der Bausubstanz angerichtet hatte. Das Landschaftsplanungsbüro Topos hatte sich über Jahre mit Sachkenntnis und Leidenschaft um jede Pflanze gekümmert, um jeden Baum gekämpft, und Lösungen für den Garten erarbeitet. Welchen Zwängen waren sie dabei ausgesetzt? Was für ein Spagat war notwendig, um zwischen Miesianern und Naturaktivisten, zwischen Denkmalpfegerichtlinien und den ewigen Gesetzen derNatur zu vermitteln? Als 1995 die Neue Nationalgalerie unter Denkmalschutz gestellt wurde, betraf dies auch den Skulpturengarten. Diesen tiefliegenden, pflanzenbevölkerten Hofraum, der sich dem Ausstellungsbereich gegenüberstellt und ihn gleichzeitig entgrenzt. Ein faszinierender Ort, der mit seinen hohen Umgebungsmauern in die allegorischen Interpretationen eines Hortus Conclusus vorzudringen vermag.
Ich hatte den Garten noch gut in Erinnerung, mit seinem wilden Wein, den eigentümlichen Formen der Büsche und dem laubgrüngefärbten Licht. Ein Ort der Freude und der Kontemplation, weder Innen- noch Außenraum, dessen Identität mit den Bildern des Paradieses spielte. Was war in diesem Garten nicht alles geschehen? Die grandiose Eröffnungsfeier 1968 mit Hunderten von Besuchern, die zwischen Skulpturen von Auguste Renoir und Gerhard Marcks tanzten, die Jazzfestivals der 1970er Jahre, der Auftritt von Keith Jarrett, Art Blakey, Karlheinz Stockhausen, die museumspädagogische Arbeit mit den Kindern anlässlich der Ausstellung von Georg Rickey. Gleichzeitig war er immer auch ein geschlossener Ort gewesen, der im Geist zu betreten war. Ein Bild, mit dem Mies durch das Weglassen einer Wand den Ausstellungsraum öffnete.
Es will mich nicht recht überzeugen, dass hier ein sich über Jahrzehnte entwickeltes Biotop aus interagierenden Pflanzen und Kleintieren zu negieren war. Darf man dieses denkmalpflegerisch abgesicherte Vorgehen auch missbilligen, sich unwohlfühlen, dass hier ein Garten eingefroren, in der Zeit zurückgesetzt wurde? In einem Interview, dass Christian Norberg-Schulz 1958 mit Mies van der Rohe führte, sagte dieser zum Verhältnis von Natur und Architektur: „Auch die Natur sollte ihr eigenes Leben leben“. 2 Darüber, wie ein korrodierendes Stahlprofil oder eine gebrochene Granitplatte zu behandeln ist, konnte man sich bei der Instandsetzung einigen. Die minimal-invasive Konzeption des Büros David Chipperfield überzeugt. Aber was macht man mit einem eigentümlich beschnittenen Strauch, dem hinzugekommenen Mistelgewächs, den Abweichungen von der ursprünglichen Bepflanzung, überhaupt mit einem sich an den Ort angepassten Lebensraum? Das Wurzelwerk eines Silberahorns beispielsweise hatte den Granitboden des Tiefgartens in eine Topographie verwandel-te. Seine Begehung stellte nach gültigen Sicherheitsregelungen eine Gefahr dar.
Müssen wir Menschen alles betreten dürfen? Und wenn ja, warum kann es uns nicht zugestanden werden, dabei über unebenen Grund zu gehen? Was hätte es wohl für diesen ikonographischen Bau bedeutet, wenn ein weitaus großzügigerer Teil der Granitplatten im Garten weggelassen, ausgedehnte Durchwurzelungsräume geschaffen worden wären, um den dort vorgefundenen Lebensraum minimal-invasiv zu bewahren? Könnte nicht hier eine interessante Erzählung beginnen, ein Aufhänger für kommende künstlerische Auseinandersetzungen?
Beim Begehen des Ausstellungsgeschosses sah ich auf einem Stapel noch nicht montierter Paneele eine technische Zeichnung liegen. Sie zeigte eine extrem komplexe Leitungsführung, unvermeidbar und notwendig, um Kunst entsprechend der international geltenden Standards ausstellen zu können. Ist hier das Wurzelwerk zu finden, auf das man sich an anderer Stelle getraute zu verzichten? Was wäre passiert, wenn im Hauptausstellungsgeschoss künstlerische Arbeiten präsentierbar geworden wären, die Temperatur-, Feuchtigkeits- und Lichtschwankungen tolerierten? Werkgruppen Raum fänden, die altern und vergehen dürften? Wenn das Motto gegolten hätte: So etwas geht nur in der Neuen Nationalgalerie in Berlin. Sollten wir nicht in einer Zeit, wo menschliche Lebensform wieder mit der des Ökosystems in Einklang zu bringen ist, darüber nachdenken, welche Chancen auch in den Bauten der Architekturgeschichte liegen? – Wachsen wir über uns hinaus.
1 Mies van der Rohe, Ludwig: Antrittsrede als Direktor der Architekturabteilung am Armour Institute of Technology, 1938
2 Mies van der Rohe, Ludwig: Interview mit Christian Norberg-Schulz, 1958, in: Neumeyer, Fritz: Mies van der Rohe. Das kunstlose Wort. Berlin 1986, S. 405
2 Mies van der Rohe, Ludwig: Interview mit Christian Norberg-Schulz, 1958, in: Neumeyer, Fritz: Mies van der Rohe. Das kunstlose Wort. Berlin 1986, S. 405
Imke Woelk Architektin und Künstlerin, Inhaberin des Büros Imke Woelk + Partner. 2010 promovierte sie an der TU Berlin über den Gebrauchswert der Halle der Neuen Nationalgalerie von Ludwig Mies van der Rohe. Sie lehrte und forschte für Bildungseinrichtungen in Deutschland, Dänemark, Italien und Südkorea.
0 Kommentare