Der rote Faden
Im Kölner Museum Kolumba muss sich jeder seinen eigenen Erzählstrang spinnen
Text: Winterhager, Uta, Bonn
Der rote Faden
Im Kölner Museum Kolumba muss sich jeder seinen eigenen Erzählstrang spinnen
Text: Winterhager, Uta, Bonn
Kolumba erzählt vom Erzählen. So trägt die Jahresausstellung im Kunstmuseum des Erzbistums Köln vielleicht wenig überraschend den Titel „Der rote Faden“. Denn den sollte man tunlichst nie verlieren, möchte man Leser, Zuhörer oder Betrachter an sich binden. Es ist ein breites, offenes Thema. So bestand die Kunst der Kuratoren Stefan Kraus, Ulrike Surmann, Marc Steinmann und Barbara von Flüe darin, aus der Fülle des Möglichen auszuwählen und wegzulassen. Um eben jene Exponate zu finden, die auf die Kernfrage der Ausstellung – wovon und mit welchen Mitteln die Kunst erzählt – eine Antwort anbieten.
Schon aus dem Sammlungsbestand des Museums könnten zahlreiche Ausstellungen generiert werden, doch war es in diesem Jahr eine Leihgabe, die den Ausgangpunkt bildet. Erstmals wird der spätmittelalterliche Lebenszyklus des Heiligen Severin im Museumskontext gezeigt. Dies aber auch nur, weil die zwanzig großformatigen Leinwände, die ihren Platz im Chor von St. Severin haben, während der Sanierung der Kirche eine Bleibe benötigten. Kolumba ist dafür sicher der beste Ort, inspirierte doch die Geschichte des Kölner Bischofs, die die Stiftsherren der Kirche um 1500 illustrieren ließen, das Museum dazu, sich mit dem Narrativen zu beschäftigen. Und so ist die erste Erkenntnis, dass nicht alles, das erzählt wird, der Wahrheit entspricht. Denn ebenso wie das Weglassen macht eben auch das Hinzufügen eine gute Geschichte aus. Selbst ein Heiliger wird noch populärer, wenn ihm Taten angedichtet werden, die bis dato nur Christus vollbrachte.
Der Zyklus hängt im zweiten Obergeschoss des Zumthor-Baus in den vier Räumen, die fugenlos und schwellenlos ineinander übergehen. Dort findet man die Bilder nicht allein, sondern in Gegenüberstellung mit kleinen Heiligenfiguren ihrer Zeit. Auch der Wanderer von Michael Buthe (1974) lehnt noch an der Wand, als habe er seit der vergangenen Jahresausstellung „Playing by heart“ (Bauwelt 17–18.2015) einen Anspruch auf diesen Platz. Die menschliche Figur des Wanderers, ein Konstrukt aus Abfall, schlägt eine jener Brücken zwischen damals und heute, zwischen sakral und profan, die Kolumba so einzigartig machen. Krieg und Gewalt, Vertreibung und Flucht sind seit Menschengedenken der Stoff für Geschichten, die erzählt werden müssen.
Doch es ist nicht der Heilige Severin, der die Ausstellung eröffnet, sondern die Installation „Keine Kunst, aber Tatsachen“ von Felix Droese (1987/1992) im Foyer. Zwei teerverschmierte Seevogelkadaver liegen in einer Holzkiste, traurige Belege einer Ölpest. Und dann beginnt der Künstler zu erzählen. Er setzt die schaurige Vitrine auf eine Art Floß, lässt Seile über einen Haken an der Decke laufen, deren anderes Ende um einen wassergefüllten Glaskolben gebunden ist. Wissenschaft versus Schöpfung, Fessel oder Nabelschnur? Die Sache bleibt so stehen – die Fragen offen, die Anklage spürbar.
Vieles wird erst im Kontext lesbar, aus der Folge der Exponate, aus der Ansicht ihres Gegenübers. Den roten Faden muss der Besucher selbst spinnen, möchte er ihm folgen. Etwa nach Ruanda, wo Marcel Odenbach sich mit dem Genozid auseinander gesetzt hat. 29 Stunden Videomaterial, das er von der UNO erhielt, in den Archiven der Kolonialzeit fand oder selbst drehte, schnitt er zu 31 Minuten zusammen, die nicht das Grausame, sondern Schönes zeigen. Brutal werden die Bilder erst durch die Tonspur.
Rund 200 Exponate vieler namhafter Künstler zeigt die Ausstellung. Jedes hat einen Bezug zur Passionsgeschichte, und doch wirkt die Schau nicht bedrückend. Jedem einzelnen Stück gewährt sie viel Raum, die Besucher gewinnen damit Zeit sich anzunähern. Eile und Enge gibt es hier nicht. Die Ausblicke durch die großen Fenster geben immer wieder die Versicherung, dass draußen in der Stadt das Leben ohnehin weitergeht.
0 Kommentare