Die Heimatwerker von Nieheim
Integration ermöglicht Revitalisierung – und anders herum: Ein ungenutztes Ackerbürgerhaus in Nieheim könnte Raum bieten für Sprachkurse, eine Bibliothek, eine Werkstatt, ein Café. Flüchtlinge und Studierende haben gemeinsam Ideen entwickelt und erprobt.
Text: Brinkmann, Ulrich, Berlin
Die Heimatwerker von Nieheim
Integration ermöglicht Revitalisierung – und anders herum: Ein ungenutztes Ackerbürgerhaus in Nieheim könnte Raum bieten für Sprachkurse, eine Bibliothek, eine Werkstatt, ein Café. Flüchtlinge und Studierende haben gemeinsam Ideen entwickelt und erprobt.
Text: Brinkmann, Ulrich, Berlin
Nieheim ist eine kleine, ja winzige Stadt im Osten von Westfalen. Seine zum Jahresende 2015 gerade mal 6254 Köpfe zählende Bürgerschaft lebt in einem reizvollen, von Zersiedelung und überdimensionierter Infrastruktur weitgehend unberührten Hügelland zwischen Weser und Eggegebirge. So beschaulich-ländlich es hier auch zugeht, viele Traditionen stehen inzwischen zur Disposition. Abwanderung, Leerstand und Niedergang sind keine unbekannten Phänomene im eigentlich hübschen, noch immer mittelalterlich strukturierten Ortszentrum, das im Februar mit dem Brand des „Ratskrugs“ ein bedeutendes Gebäude verloren hat. Doch Nieheim, so klein es auch ist, war immer aufgeschlossen für neue Entwicklungen: Man denke an den Nieheimer Käse, der von hier in alle Welt verschickt wird, an das „Bilster Berg Drive Resort“, eine Autorennstrecke, die dem namensgebenden Hügel nach Auflösung des dort befindlichen Munitionsdepots der britischen Rheinarmee eine neue, überregionale Bedeutung sicherte, oder, wenn man etwas weiter zurück geht in der Geschichte, an das Wirken des Arztes, Dichters und Demokraten Friedrich Wilhelm Weber (1813–1894), der seinen Lebensabend in Nieheim verbrachte.
Webers lyrisches Schaffen ist ein heutzutage weitgehend in Vergessenheit geratenes „Heimatwerk“ eines Menschen, der die Welt gesehen hat und doch in seiner Heimat verwurzelt blieb – frei vom Provinziellen, das so oft (und oft vorschnell) mit Ostwestfalen in Verbindung gebracht wird. Als der Braunschweiger Architekt Holger Pump-Uhlmann, zusammen mit dem Dortmunder Stadtplanungsbüro Junker + Kruse verantwortlich für das Integrierte Handlungskonzept Nieheims, die Landesinitiative StadtBauKultur NRW in Gelsenkirchen auf die Situation der Stadt aufmerksam machte, stieß er etwas an, womit Webers Verbindung von Heimatliebe und Weltläufigkeit unweigerlich in Erinnerung gerufen wird: durch ein ganz anders geartetes Heimatwerk, das aber ebenso überregional zur Kenntnis genommen werden könnte wie einst die „Dreizehnlinden“ des Dichters.
Denn mit dem Projekt „Heimatwerker“ setzt Nieheim der verbreiteten Angst vor der Veränderung ostwestfälische Tugenden entgegen: Handeln statt Lamentieren, Besonnenheit statt Hysterie. Zusammen mit Oliver Hall, Professor am Lehrgebiet Stadtplanung und Städtebauliches Entwerfen der Detmolder Schule für Architektur und Innenarchitektur, sowie der Landesinitiative sollen Flüchtlinge in der Mitte der Stadt aktiv werden: und zwar im Haus Lüttge Straße 14.
Das Gebäude ist eines jener ortsbildprägenden Ackerbürgerhäuser, die heutzutage, da kaum noch Äcker bestellende Bürger in Nieheim leben, nur noch schwierig zu nutzen sind und demzufolge eine gewisse Trübheit ausdünsten. Seine Erbengemeinschaft – sechs Geschwister, die hier noch in den alten bäuerlichen Verhältnissen aufgewachsen sind – hat sich bereit gefunden, das Haus der Stadt für zehn Jahre kostenfrei zur Verfügung zu stellen. Und die Hochschule hofft, hier Erkenntnisse gewinnen zu können, die sich auf andere Ortschaften und Häuser übertragen lassen, die mit ähnlichen demographischen und ökonomischen Veränderungen konfrontiert sind. Die derzeit 120 in Nieheim aufgenommenen Flüchtlinge wiederum – die meisten aus Syrien, andere aus dem Irak und Afghanistan – könnten hier, so die Idee, tätig werden und Räume für den Gemeinbedarf entstehen lassen und betreiben.
Unter der Bedingung, dass der Gemeinde keine weiteren Kosten dadurch entstehen, stimmte der Stadtrat dem Vorhaben zu. Ende September fand eine erste Summer School mit 30 Studierenden und 20 Flüchtlingen statt, die Ideen lieferte und teilweise auch gleich erprobte: im Erdgeschoss ein Raum für Sprachkurse, vielleicht auch ein kleines gastronomisches Angebot, im niedrigen Zwischengeschoss eine Bibliothek und ein eigener Raum für die Mädchen, im rückwärtigen Trakt eine Lehr- und Fahrradwerkstatt, in den Garagen ein Fitnessstudio. Das könnten Orte werden, die auch die Nieheimer aufsuchen; Orte, wo sich über einen konkreten Bedarf zwanglos in Kontakt treten lässt; Angebote, die der Integration der Geflüchteten ebenso wie der Revitalisierung des Stadtzentrums dienen.
Das Sonderförderprogramm „Hilfe im Städtebau“ des Landes NRW, mit dem die „Heimatwerker“ finanziert werden, zielt auf genau solche Projekte, auch wenn die Antragstellung aufgrund der anfangs noch etwas nebulösen Zielsetzung kompliziert war. Aber „Integration beginnt am Planungstisch“, argumentiert Tim Rienits, Geschäftsführer der Landesinitiative StadtBauKultur NRW. Die 360.000 Euro, die nun aus diesem Fördertopf nach Nieheim fließen, reichen aus, um an der Detmolder Hochschule jetzt die Planung zu präzisieren und dann das Erdgeschoss des Hauses herzurichten; derartige Innenarbeiten können besser von den Flüchtlingen bewältigt werden als Arbeiten an der Gebäudehülle. Weitere Ausbauten, hoffen die Initiatoren, könnten nach und nach, auch über Spenden, finanziert werden.
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