Dietmar Steiner
Der Gründer und langjährige Leiter des Architekturzentrums Wien prägte als Architekturkritiker eine Generation lang die Art, wie über Architektur nachgedacht werden kann – furchtlos. Am 15. Mai ist er gestorben.
Text: Geipel, Kaye, Berlin
Dietmar Steiner
Der Gründer und langjährige Leiter des Architekturzentrums Wien prägte als Architekturkritiker eine Generation lang die Art, wie über Architektur nachgedacht werden kann – furchtlos. Am 15. Mai ist er gestorben.
Text: Geipel, Kaye, Berlin
Der träge Augenaufschlag, mit dem er sein Vis-à-Vis über den Rand der Brille fixierte, täuschte. Dietmar Steiner teilte seine Argumente mit der Geschwindigkeit eines Boxers aus. Genauso machte er es mit seinen Mails. Sie kamen wie kleine Sprengkörper aus dem Off. Er verschickte sie morgens, zwischen 1 und 3 Uhr früh. Schläft man in Wien eigentlich nie, dachte ich, als ich zum ersten Mal morgens den typischen Steiner-Ton auf dem Bildschirm aufploppen sah. Stimulierende Sätze, die ihm keiner nachmachte, gleichzeitig lapidar, provozierend, humorvoll und so auf dem Sprung formuliert, dass jedes Mal der ganze Mensch sichtbar wurde, der unermüdlich für die Sache der Architektur tätig war. Meist schickte er noch ein PS hinterher, in dem er auf ein weiteres architektonisches Minenfeld hinwies, das einer Neubewertung harrte. Eine Rezension zu einem Buch über die bäuerlichen Wohnstätten von Thomas Bernhard führte ihn im nächsten Gedankensprung zu der viel zu zaghaft geführten Debatte um die konservative Moderne in Deutschland.
Steiner war Kurator, Impresario, Juror und streitbarer Baugeschichts- und Stadtbaupolitik-Aktivist, bevor er 1993 das Architekturzentrum Wien (AzW) gründete und Museumsdirektor wurde. Vor allem aber war er Architekturkritiker, leitete mehrere Jahre die italienische Domus und schrieb. Die sozial und gesellschaftlich engagierte Architekturkritik, nicht nur im deutschsprachigen Raum, stünde ohne ihn heute anders da. Schon zu Anfang der 80er Jahre hat er sich dabei vom luftig formuliertem Schlagobers vieler Texte abgegrenzt: Architekturkritik als ziselierte Betrachtung der baulichen Verhältnisse, immer bemüht, auf der richtigen Seite zu stehen und dabei die „Sprachschule des moralischen Arguments“ – Seitenhieb auf einige Wiener Kollegen – einzusetzen, war ihm verhasst. Im Gespräch mit Bauherren beförderte er unzählige Projekte, die ohne das zielsichere Florett seiner Formulierungskunst abgestürzt wären. Manchmal gebrauchte er auch den Säbel. Zwei Jahre ist es her, dass er mit ganzem Einsatz die Total-Bebauung des Wiener Heumarkts verteidigte. Kraftausdrücke wurden gewechselt (17.2017, Replik auf 12.2017, Text von Reinhard Seiß), denen man aus Berliner Perspektive, wo bei vergleichbarem Streit die Fußtritte eher unter der Tischkante ausgeteilt werden, erstaunt zusah. Dass sein Säbel in diesem Fall stumpf und das Großprojekt, das den Welterbe-Status in Frage stellte, nicht zu verteidigen war, war nicht zu übersehen.
Dietmar Steiner war lange Zeit Mitherausgeber der Stadtbauwelt und hat mit Kritik und Lob nicht gespart, jüngst schrieb er: „ihr macht einen verdammt guten Job“. Er war aber auch skeptisch, was die Medienlandschaft insgesamt betrifft. 2011, als die Bauwelt 100 wurde, sah er den Kampf der Architekturpublizistik, die sich für baukulturelle Leistungen einsetzt, für verloren und proklamierte den Sieg der „In und Out“-Listen, plädierte dann aber gleichzeitig, typisch Steinersche Volte, für das fundiert Recherchierte.
Vorbildlich wurde er mit dem AzW. Er stellte ein Architekturmuseum auf die Beine, das in seinem Engagement eine Feuerstelle für Debatten war, wobei er den Aufbau der Sammlung nicht aus den Augen verlor. Steiner spannte weit vor Social Media ein riesiges Netzwerk freundschaftlicher Beziehungen über den architektonischen Globus, der inhaltlich vom Anfang der Postmoderne bis in die Gegenwart reichte. Das AzW hat er von den mageren Anfängen 1993 in einer unbeheizten Halle mit einem geschenkten Sammelsurium an Stühlen bis 2016 geleitet und dabei immer mehr die unausweichliche Ausbreitung einer globalen Businessarchitektur ins Visier seiner Kritik genommen. Als er ging, gab es kein betuliches Abschiednehmen mit einem Sammelband, in dem sich die Kollegen vor seiner Arbeit verneigen. Er organisierte eine Ausstellung und eine Konferenz, vor allem aber brachte er seine persönliche Sicht der zurückliegenden 60 Jahre Architektur, sein „Diary“ heraus. Wenn man den großformatigen Band in die Hand nimmt, verblüfft die Fülle an Gebäuden, denen er mit einer starken Meinung gegenübertritt, ob in Wien, Disney-World, St. Petersburg oder Reykjavik. Er war ein unermüdlicher Reisender und gleichzeitig ein polemischer Dokumentarist seiner Stadt. Dieser Spagat wäre ohne den unvergleichlichen Debattenkompost der österreichischen Metropole nicht möglich gewesen. Wien ist bis heute eine Art kulturelles „Empire“ der Architektur, jedenfalls was die Auseinandersetzung um die Zukunft des städtischen Wohnungsbaus betrifft, auch wenn die internationalen Investments an dem Fundament gerade kräftig rütteln. Sein „Diary“ schloss Steiner mit einer Provokation. An der Architektur der Zukunft interessiere ihn nur noch ihre Vergangenheit. Dann schwärmte er von Prinz Charles handgearbeiteten Wohlfühldorf Poundbury. Das konnte man als unendlichen Spaß verstehen, den er einem zum Knobeln vorwarf. Ein seriöser Spaß dann doch, denn das nicht mehr vermittelte Heimatgefühl des Gebauten steht heute im Zentrum der architekturpolitischen Krise.
Vorbildlich wurde er mit dem AzW. Er stellte ein Architekturmuseum auf die Beine, das in seinem Engagement eine Feuerstelle für Debatten war, wobei er den Aufbau der Sammlung nicht aus den Augen verlor. Steiner spannte weit vor Social Media ein riesiges Netzwerk freundschaftlicher Beziehungen über den architektonischen Globus, der inhaltlich vom Anfang der Postmoderne bis in die Gegenwart reichte. Das AzW hat er von den mageren Anfängen 1993 in einer unbeheizten Halle mit einem geschenkten Sammelsurium an Stühlen bis 2016 geleitet und dabei immer mehr die unausweichliche Ausbreitung einer globalen Businessarchitektur ins Visier seiner Kritik genommen. Als er ging, gab es kein betuliches Abschiednehmen mit einem Sammelband, in dem sich die Kollegen vor seiner Arbeit verneigen. Er organisierte eine Ausstellung und eine Konferenz, vor allem aber brachte er seine persönliche Sicht der zurückliegenden 60 Jahre Architektur, sein „Diary“ heraus. Wenn man den großformatigen Band in die Hand nimmt, verblüfft die Fülle an Gebäuden, denen er mit einer starken Meinung gegenübertritt, ob in Wien, Disney-World, St. Petersburg oder Reykjavik. Er war ein unermüdlicher Reisender und gleichzeitig ein polemischer Dokumentarist seiner Stadt. Dieser Spagat wäre ohne den unvergleichlichen Debattenkompost der österreichischen Metropole nicht möglich gewesen. Wien ist bis heute eine Art kulturelles „Empire“ der Architektur, jedenfalls was die Auseinandersetzung um die Zukunft des städtischen Wohnungsbaus betrifft, auch wenn die internationalen Investments an dem Fundament gerade kräftig rütteln. Sein „Diary“ schloss Steiner mit einer Provokation. An der Architektur der Zukunft interessiere ihn nur noch ihre Vergangenheit. Dann schwärmte er von Prinz Charles handgearbeiteten Wohlfühldorf Poundbury. Das konnte man als unendlichen Spaß verstehen, den er einem zum Knobeln vorwarf. Ein seriöser Spaß dann doch, denn das nicht mehr vermittelte Heimatgefühl des Gebauten steht heute im Zentrum der architekturpolitischen Krise.
Im Februar letzten Jahres schickte er eine Mail und kommentierte unser Albanien-Heft, „endlich wieder ein blick zur seite“. Als Ergänzung kamen zwei Notizen vom März 2014 über eine Reise und eine Jury in Tirana, in der er sich für die jungen niederländischen Architekten Casanova + Hernandez gegen den eingeladenen arrivierten Stararchitekten in die Bresche geworfen hatte. Er freute sich, dass das Projekt inzwischen realisiert war, und ich freute mich über seine gestochen scharfen Kommentare. Ich fragte ihn nach den Aufzeichnungen. Früh morgens kam die Antwort: „ich schreibe täglich meine protokolle. mit unterschiedlicher intensität und genauigkeit. ergibt jedes jahr eine word-doku. weil ich mir nichts merke, und diesen fundus zur erinnerung brauche“. Und dann folgte so ein aus dem Nichts hingeworfener, zen-buddhistischer Steiner-Satz: „mein archiv ist meine rache“. Die Architektur verliert seinen unvergleichlich rebellischen Geist, sie verliert seine Intensität, seinen Humor, seine Stimme. Er fehlt.
1 Kommentare