Bauwelt

Ebertplatz 0?

Über das temporäre Interventionsprojekt am Ebertplatz in Köln

Text: Adam, Hubertus, Zürich

Ebertplatz 0?

Über das temporäre Interventionsprojekt am Ebertplatz in Köln

Text: Adam, Hubertus, Zürich

Der heutige Ebertplatz in Köln entstand in seinen Grundzügen im ausgehenden 19. Jahrhundert als platzartige Aufweitung der Kölner Ringe im Norden der Stadt im Sinne eines Beaux-Arts-orientierten ästhetischen Städtebaus der Gründerzeit. Mit der Zunahme des Verkehrs in den autoaffinen Dekaden nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die vielbefahrenen Richtungsfahrbahnen zunehmend zur Barriere, welche den Eigelstein im Süden vom Agnesviertel im Norden trennte. Die Lösung bestand darin, das Platz-niveau abzusenken und für Fußgängerinnen mittels Rolltreppen und einer unterirdischen Ladenpassage die Platzquerung zu ermöglichen – eine Intervention ganz im Geist der Zeit, wie sie auch an anderen Orten praktiziert wurde. Das Besondere am zwischen 1972 und 1977 neu gestalteten Ebertplatz sind einerseits die räum-lichen Dimensionen – der abgesenkte Platz spannt sich zwischen der Ladenpassage im Westen und der 1974 eingeweihten U-Bahnstation im Osten auf. Bemerkenswert ist überdies die Gestaltung, der ein variierendes Raster aus hexagonalen Betonelementen in Form von Stützen, Decken, Bodenplatten, Brüstungen und Wänden zugrunde liegt. Für die Planung und Ausführung verantwortlich zeichnete das städtische Amt für Brücken- und U-Bahn-Bau. Inwieweit der mitunter genannte städtische Architekt Kurt Jatho dafür verantwortlich war, lässt sich anhand der vorhandenen Pläne nicht feststellen. Eine wichtige Rolle spielte wohl der seit 1969 in Köln tätige Baudezernent Werner Baecker, in dessen Amtszeit auch die Fertigstellung des nahegelegenen Ringturms (1973) sowie der Hauptverwaltung der DKV von KSP (1970) und der leider inzwischen bis zur Unkenntlichkeit entstellten Domplatte von Fritz Schaller (1970) fallen – sämtlich Projekte, die auf der Repetition geometrischer Grundelemente beruhen. Herausragend ist auf dem Ebertplatz überdies die wasserkinetische Brunnenplastik des Künstlers Wolfgang Göddertz.
Die Idee, Fußgänger in den Untergrund zu verbannen, um den Autos auf Straßenebene freie Fahrt zu ermöglichen, war zwar zeittypisch, verlor aber bald an Attraktivität und Akzeptanz. Die Stadt tat das ihre dazu: Mitte der 1990er Jahre schaltete sie den Brunnen ab und ließ die Rolltreppen verrotten. Kein Wunder, dass die Ladenpassage bald leer stand. Was für ein Unterschied: Zwischen einer Zeit, in der eine Stadtverwaltung befähigt war, mit qualifizierten Mitarbeitenden ein zukunftsweisendes, fast visionär anmutendes und überdies ästhetisch heraus-ragendes Projekt in Eigenregie zu stemmen – und einer Zeit, in der neoliberale Einstellungen sich soweit in das Denken hineingefressen hatte, das service public nur noch als Ballast erschien. Die Konsequenz: Verwahrlosung. Obdachlose und Alkoholiker, Drogenhändlerinnen und Junkies begannen auf dem Ebertplatz ihr Biotop zu finden. Gewissermaßen ist das Fallbeispiel signifikant für die Ignoranz und Inkompetenz, wohlwollender ausgedrückt: Unbeholfenheit von Verwaltung und Politik im Umgang mit öffentlichen Orten. Was tun, wenn man keine Idee hat? Man versuchte es mit Kunst, stellt für niedrigste Mieten Räume zur Verfügung, an denen sonst niemand Interesse hat, wartet ein paar Jahre und hat dann eine schicke Adresse, die man gewinnbringend weitervermarkten kann – selbstverständlich ohne die Künstlerinnen. Was anderenorts von Investoren mit Erfolg in den 1990er- und 2000er Jahren mit Erfolg durchgezogen wurde, hat am Ebertplatz allerdings nicht geklappt. Die Kunst-räume, die seit 2005 und dann verstärkt seit 2012 die Ladenpassage zu bespielen versuchen, sind noch immer dort. Was auch nicht schlecht ist. Nur haben sie zur Verbesserung der Situation lediglich bedingt beigetragen – ab und an gibt es einen Event, aber Kunsträume werden meist im Nebenerwerb betrieben, will heißen: wenn man vorbeikommt, sind sie häufig geschlossen. Der „Angstort“, von dem die Medien schrieben, blieb also bestehen, und auf politischer Ebene wurden allerhand Szenarien diskutiert, wie man mit der Situation umgehen könnte. Infolge des Masterplans von Albert Speer + Partner von 2009 für die Gestaltung der Kölner Ringe war zunächst eine ebenerdige Gestaltung des Platzes vorgesehen, die gemäß Beschluss von 2011 auch für eine Tiefgarage Raum bieten sollte – eine absurde Idee, die aber erst 2017 verworfen wurde.
Eine Messerstecherei mit tödlichem Ausgang im September des gleichen Jahres führte zu hektischem Aktivismus Anstelle eines zweistufigen Wettbewerbs, wie im Dezember 2017 ventiliert, beschloss der Rat im Februar 2018 zwecks Beschleunigung des Prozesses ein einstufiges Vergabeverfahren zur ebenerdigen Umgestaltung. Initiativen aus der Bürgerschaft haben indes dazu geführt, dass inzwischen die Erhaltung der Passage neben dem Zuschütten auch wieder als Option gilt und ein mehrstufiges Wettbewerbsverfahren vor Vergabe der Planungsleistungen erfolgen soll. Den Bottom-Up-Initiativen – zusammen mit Mitarbeitenden von Kulturamt und Stadtplanungsamt – sind letztlich auch die 2018 beschlossenen Zwischennutzungskonzepte zu verdanken. Kernpunkte: die Wiederinbetriebnahme des Brunnens (erfolgte im Juli 2018), die Erhöhung der Aufenthaltsqualität, die Etablierung gastronomischer Angebote.
Seit September erschließt eine große hölzerne Freitreppe als jüngstes Projekt der Zwischennutzung den Ebertplatz von Seiten des Eigelsteins. Es ist eine Initiative, die unter Leitung der Lehrbeauftragten Susanne Kohte und Chris Schroeer-Heiermann (und zu Beginn von Yasemin Utku) mit Studierenden der Fakultät für Architektur an der TH Köln in Kooperation mit Baukultur NRW und dem Brunnen e.V. geplant und umgesetzt wurde. Zunächst steht die Treppe für drei Monate, doch ist angesichts des Erfolgs eine Verlängerung auf ein Jahr vielleicht möglich.
Das Projekt begann 2021 mit einer Analyse der Situation vor Ort und mündete in die Erarbeitung baulicher Interventionsszenarien, die mit diversen Akteurinnen und Akteuren vor Ort sowie den zuständigen Ämtern diskutiert wurden. Schließlich entschied man sich für drei Interventionen: die Freitreppe, Sitzpodeste in der Passage vor den Kunsträumen sowie eine Installation im Bereich des Lichthofs der Passage, wobei letztere aus finanziellen Gründen zunächst unrealisiert geblieben ist.
Von Süden aus war der Ebertplatz bisher nur über die verwahrloste Unterführung in der Achse des Eigelsteins zugänglich. Jetzt überquert man stattdessen die Straße und betritt dann über sechs Stufen eine hölzerne Plattform, welche die bestehenden Brüstungen überdeckt und von welcher aus man den Platz überblicken und auch die historische Blickachse zur Kirche St. Agnes neu erleben kann; Fernrohre, an den Geländern aufgehängt, unterstützen den spielerischenVoyeurismus. Von der Aussichtsplattform aus leitet ein Katarakt aus 26 Stufen sowie flankierenden Sitzpodesten die knapp fünf Meter hinunter zur Platzebene und zur Passage. Die Freitreppe ist also vieles: nicht nur kurze, öffentliche und einsehbare Verbindung zwischen Platz- und Straßenebene, sondern auch Aufenthaltsort oder, von unten gesehen, Bühne. Dabei fügt sie sich mit ihrer Grundrissgeometrie geschickt und sensibel in die hexagonale Struktur des Platzes ein. Die Unterkonstruktion besteht aus Holzrahmen, auf ihr liegen Treppenholme aus Brettschichtholz auf. Für die Treppenstufen und Podeste fand Sperrholz Verwendung.
Die Finanzierung des Bauprojekts erfolgte hauptsächlich durch den Verein Baukultur NRW sowie das Kulturamt der Stadt Köln mit insgesamt 74.000 Euro. Möglich wurde die Umsetzung des Projekts aber nur durch viel ehrenamtliche Arbeit seitens des Projektteams, aber auch von diversen Beteiligten der TH Köln und weiteren Unterstützenden. Auf soviel bürgerschaftliches Engagement müsste die Stadt eigentlich stolz sein. Doch während in anderen Städten, beispielsweise Hannover, derartige Umnutzungsprojekte als Chefsache des Oberbürgermeisters gelten, hielt man es in Köln offensichtlich noch nicht einmal für nötig, einen Redner oder eine Rednerin zum Eröffnungsfest zu schicken.

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