Bauwelt

Eine vierzigjährige Ingenieur-Odyssee in Riad

Vermutlich gehört bis heute eine gewisse Portion Abenteuerlust ­dazu, wenn man als europäischer Planer in Saudia-Arabien arbeitet. Unser ­Autor war viele Jahre lang für Buro Happold dort tätig.

Text: Kelly, Padraic, London

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    Padraic Kelly bei der gemeinsamen Ortsbegehung mit dem Bauherrn im Wadi Hanifa
    Foto: Terry Ealey

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    Modellbau für den Tuwaiq Palace in Frei Ottos Atelier in Warmbronn
    Foto: Terry Ealey

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    Modellbau für den Tuwaiq Palace in Frei Ottos Atelier in Warmbronn

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Eine vierzigjährige Ingenieur-Odyssee in Riad

Vermutlich gehört bis heute eine gewisse Portion Abenteuerlust ­dazu, wenn man als europäischer Planer in Saudia-Arabien arbeitet. Unser ­Autor war viele Jahre lang für Buro Happold dort tätig.

Text: Kelly, Padraic, London

An einem Tag im März 1982 kam ich kurz vor Mitternacht am bescheidenen und heruntergekommenen Flughafen von Riad an (der nun bald der neue King Salman Park wird). Ich holte mein Gepäck aus einem als Gepäckausgabe maskierten Gewerbeschuppen und machte mich auf den Weg zu den verstopften Straßen, in denen Autos und Lastwagen um ihre Plätze kämpften. Überall konnte ich Baustellen sehen, sogar jetzt im Dunkeln, weil die verräterischen Lichter der Turmkräne den Nachthimmel erhellten – das war Boomtown. Ich war gekommen, um an der ersten Phase des neuen Regierungskomplexes zu arbeiten, dem Kings Office Council of Ministers Majlis Al Shura oder KOCOMMAS, heute bekannt als Al Yamamah Palace.
Gemeinsames Verständnis
Dies war das erste Projekt von Buro Happold in Saudi-Arabien – in Zusammenarbeit mit Rolf Gutbrod, Frei Otto und Arup – auf einem riesigen Gelände, das so groß war, dass man für Inspektionen ein Baustellenfahrzeug brauchte. Das anglo-deutsche Team lebte in hastig errichteten Unterkünften auf der Baustelle, und wir bauten unser eigenes Obst und Gemüse an. Die Arbeit dominierte unser Leben, aber ich erinnere mich an gemeinsame Filmabende, bei denen wir auslosten, ob wir einen deutschen oder einen englischen Film anschauten, an die Besuche der Gold- und Perserteppich-Suks in Al Batha und des jemenitischen Hühnchenrestaurants.
Ted Happold besuchte Saudi-Arabien zum ersten Mal in den späten 1960er Jahren, als er bei Arup arbeitete, um an einem Wettbewerb für das Intercontinental Hotel in Riad teilzunehmen, und traf dort den deutschen Architekten Rolf Gutbrod, der gerade den Wettbewerb für das Makkah Hotel and Conference Centre gewonnen hatte. Ted Happold war deutscher Abstammung, er bewunderte das deutsche Bildungswesen und die Arbeit deutscher Planer, was eine natürliche Affinität zu Rolf Gutbrod schuf. Gemeinsam mit Frei Otto beschlossen sie, an dem Wettbewerb für KOCOMMAS teilzunehmen – und gewannen. Dieses Projekt war die Gründung von Buro Happold und veränderte unser aller Leben. Es festigte nicht nur unsere Verbindungen zu Deutschland, sondern schuf auch neue Beziehungen in Saudi-Arabien.
Ted Happold war eine große Persönlichkeit, ein natürlicher Kommunikator, der es liebte, neue Kulturen zu erkunden. Daher war es keine Überraschung, dass er sich in der sehr gastfreundlichen saudischen Welt zu Hause fühlte. Seine Leidenschaft für Zugstrukturen führte zur Zusammenarbeit mit Frei Otto bei einer Reihe von Projekten. Eines der wichtigsten war der Diplomatic Club oder Kasr Tuwaiq, der aus einem Wettbewerb hervorging und Frei Otto mit Buro Happold und dem ortsansässigen Ingenieurbüro Omrania zusammenbrachte, um das Kulturprojekt für die Royal Commission for Riyadh City (RCRC) unter der damaligen Leitung von Mohammed Al Shaikh umzusetzen.
Ich konnte der Gelegenheit nicht widerstehen, Ende 1983 nach Riad zurückzukehren, um bei der Umsetzung des Projekts mitzuhelfen, das Technologie und Tradition vereinte und zwei lokale Architekturelemente verwendete: die Festung und das Zelt. Dieses Mal landete ich auf dem prächtigen, neueröffneten King Khalid International Airport.
In Kriegszeiten
Die ursprüngliche Besiedelung von Riad mit weniger als einem Quadratkilometer Fläche begann in der Mitte des 18. Jahrunderts im Bezirk Kasr Al Hukm. In den 1990er Jahren arbeitete die RCRC an einem Plan zur Neugestaltung der früheren Lehmstadt. Aufgrund unserer Arbeit an Kasr Tuwaiq wurden wir als Ingenieure für die Neugestaltung der Altstadt ausgewählt. Zu unseren Projekten gehörten der Justizpalast, die Imam-Turki-bin-Abdullah-Moschee und andere Kultur- und Einzelhandelsprojekte – zusammen mit dem Architekten Rasem Badran. Es war unmöglich, nicht einen Hauch der Geschichte zu verspüren, wenn man auf das prächtige Musmak-Fort blickte, das nur drei Meter von meinem Baustellenbüro entfernt war. Wir hatten ein wundervoll integriertes Team, das je zur Hälfte aus saudischen Mitarbeitern der RCRC und Beratern bestand.
Weniger als ein Jahr nach Baubeginn der Moschee ging der saudische Hauptauftragnehmer pleite, und am 2. August 1990 marschierte Saddam Hussein in Kuwait ein. Unsere Welt wurde auf den Kopf gestellt, Familien wurden nach dem nächtlichen Beschuss mit Scud-Raketen evakuiert. Die meisten ausländischen Mitarbeiter folgten dem offiziellen Rat und verließen das Land, aber wir beschlossen, zu bleiben und zu arbeiten. Viele von uns fanden nachts Zuflucht unter Brücken am Stadtrand. Diese Entscheidung schuf eine Freundschaft zwischen unserem Team und unseren saudischen Kollegen, die bis heute anhält. Bei der offiziellen Eröffnung durch König Fahd im Jahr 1992 erhielt das gesamte Team Orden als Anerkennung für die Leistung trotz aller Widrigkeiten.
Die Rolle der Frau
1993 klopfte es an meiner Bürotür, und ich wurde von einem Polizisten und einer Gruppe von Religionspolizisten begrüßt, die mich beschuldigten, gegen das Gesetz verstoßen zu haben, indem ich eine Landschaftsarchitektin beschäftigte. Mir war bewusst, dass das nicht erlaubt war, aber ich hatte beschlossen, das Risiko einzugehen, da sie hochqualifiziert und unser zweitbestbezahltes Teammitglied war und unsere Kunden gern mit ihr zusammenarbeiteten.
Später entschuldigte sich der Polizeichef dafür, dass er darauf bestanden hatte, mich eine Erklärung unterschreiben zu lassen, dass ich dieses Vergehen nicht wiederholen würde. Er habe keine andere Wahl gehabt, sagte er, da die Religionspolizei die Beschwerde gegen uns eingereicht hatte. Meine Kollegin versuchte drei Monate lang, von zu Hause aus zu arbeiten, doch sie vermisste die Kameradschaft mit den Kollegen und beschloss widerwillig, nach Großbritannien zurückzukehren.
In den vergangenen acht Jahren hat sich die Stellung der Frauen in der saudischen Gesellschaft dramatisch verändert. Inzwischen sind mehr als 50 Prozent der Universitätsabsolventen Frauen. Und es gibt Fortschritte bei der Beförderung von Frauen in Führungspositionen. Heute sind mehr als 30 Prozent unseres Teams in unserem Büro in Riad Frauen, die in traditionell von Männern dominierten Rollen arbeiten, als Architektinnen/Planerinnen, Designerinnen, Ingenieurinnen und Projektmanagerinnen.
Fotografieren
Es war 1992, als ich von einem befreundeten amerikanischen Architekten gebeten wurde, zur Vorbereitung für einen Wettbewerb Fotos von einigen Gebäuden in der Stadt zu machen. Ich war durch die Stadt gefahren und hatte eine gute Auswahl sowohl der alten als auch der relativ wenigen hochwertigen neuen Gebäude abgelichtet. Das Einzige, was noch fehlte: ein Foto des Innenministeriums, dieser auffälligen, auf den Kopf gestellten Pyramide an der King Fahd Road. Angesichts der Rolle des Gebäudes für die Sicherheit des Landes dachte ich, ich sollte besser zuerst um Erlaubnis fragen. Also tauschte ich in meinem gebrochenen Arabisch Grüße und ein Lächeln mit einem der Wachleute aus. Im Glauben, ich hätte die Erlaubnis erhalten, schoss ich ein paar Fotos. Es dauerte keine Minute, bis ich Sirenen hörte und blinkende Lichter sah, und bevor ich verstand, was geschah, wurde ich im Keller des Hauses höflich verhört, wobei man sich auf die Frage konzentrierte, wer mich geschickt habe. Es war ein langes Wochenende, aber schließlich kam mir einer meiner Kunden zu Hilfe, erklärte den Wachen, wer ich war, und entschuldigte sich für mein unverantwortliches Verhalten. Ich durfte gehen, nachdem ich meinen Film aus der Kamera genommen und zurückgelassen hatte.
Irre Zeitpläne
Nach dem plötzlichen Tod von Ted Happold Anfang 1996 bereitete ich mich auf meine Rückkehr nach Großbritannien vor, um nach 13 Jahren in Riad geschäftsführender Gesellschafter der Firma zu werden. Ich besuchte die RCRC, um mich zu verabschieden. Dort begrüßte mich Raymond Moriyama von den kanadischen Architekten Moriyama und Teshima, der mir mitteilte, sein Büro habe den Wettbewerb für das saudische Nationalmuseum gewonnen. Ich war von der Qualität des Entwurfs beeindruckt, aber es gab ein Problem: Das Projekt musste innerhalb von 28 Monaten ausgearbeitet, gebaut und mit Ausstellungen ausgestattet werden, was bedeutete, dass wir nur fünf Monate Zeit hatten, um ein Gebäude nach internationalen Referenzstandards zu entwerfen.
Ich rief meine Kollegen in Großbritannien an, doch die lachten nur – völlig zu Recht sagten sie, dass wir allein für den Entwurf der Tragwerksplanung etwa zwei Jahre brauchen würden. Raymond Moriyama und ich sprachen mit dem Vizepräsidenten der RCRC. Der stellte aber unmissverständlich klar, dass es keine Verhandlungen über den Zeitplan geben würde, er bat uns, mit einem Vorschlag zurückzukommen, wie das Projekt pünktlich entworfen und fertiggestellt werden könnte. Schließlich stimmten wir dem Zeitplan zu, jedoch unter der Bedingung, dass wir den Prozess von Entwurf, Ausschreibung und Bau vollkommen neu gestalten dürften. Die RCRC akzeptierte das, bestand aber darauf, dass wir uns an die saudischen Beschaffungsgesetze halten, die Pauschal- und Festpreisbauverträge vorschreiben. Lektion gelernt. Die eine Sache, auf die wir uns im Anschluss allesamt einigen konnten: Dass wir kein weiteres Mal versuchen würden, ein fünfmonatiges Entwurfsprojekt durchzuziehen. Unsere Teams brauchten mindestens sechs Monate, um sich davon zu erholen.
Aus dem Englischen von Jan Friedrich
Padraic Kelly ist Direktor des britischen Ingenieurunternehmens Buro Happold. Nach Saudi-Arabien kam er als junger Analytiker und Ingenieur. Während 13 Jahren als Einwohner von Riad und mehr als 25 Jahren monatlicher Besuche, sagt er, hätten ihn die Verantwortlichen der Stadt inspiriert und herausgefordert, ihnen dabei zu helfen, die komplexen strategischen, städtischen, wirtschaftlichen, ökologischen, infrastrukturellen und sozialen Probleme einer schnell wachsenden Stadt anzugehen. Einen Besuch des Landes kann er nur wärmstens empfehlen, um die spektakuläre Landschaft, die Kultur und das bauliche Erbe kennenzulernen, aber vor allem die Gastfreundschaft der Menschen zu erleben.
Buro Happold hat gerade das 40-jährige Jubiläum der Eröffnung seines Büros in Riad gefeiert. Saudi-Arabien hat eine entscheidende Rolle beim Wachstum und der Talententwicklung des Unternehmens gespielt. Insbesondere zwei ihrer deutschen Führungskräfte, Paul Rogers und Rod Manson, begannen ihre Karriere im saudischen Büro, bevor sie Mitte der 90er Jahre ins wiedervereinigte Deutschland zogen, um das deutsche Büro zu eröffnen. Sie unterstützen jetzt deutsche Mitarbeiter bei der Arbeit in Saudi-Arabien und umgekehrt. Die Beziehung zu Frei Otto wurde durch erfolgreiche Kooperationen in Deutschland fortgesetzt, beispielsweise beim RWE-Turm in Essen und dem bald fertiggestellten Hauptbahnhof Stuttgart 21.
Fakten
Architekten Buro Happold, Berlin
aus Bauwelt 22.2024
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