Die Wandlung zum Metamuseum
Vor vier Jahren erschien ein Buch zur Entwicklungsgeschichte der Ideen, Planungen und Bauten für die Berliner Museumsinsel. Mal mutig, mal vorsichtig ergab sich in vielen Schritten ein Ensemble, das nun mit der James-Simon-Galerie abgeschlossen wurde.
Text: Witschurke, Hans, Berlin
Die Wandlung zum Metamuseum
Vor vier Jahren erschien ein Buch zur Entwicklungsgeschichte der Ideen, Planungen und Bauten für die Berliner Museumsinsel. Mal mutig, mal vorsichtig ergab sich in vielen Schritten ein Ensemble, das nun mit der James-Simon-Galerie abgeschlossen wurde.
Text: Witschurke, Hans, Berlin
Mit der Fertigstellung der James-Simon-Galerie stellt sich die Museumsinsel als ein faszinierendes und vielschichtiges Metamuseum dar, an dem die gesellschaftliche Entwicklung der letzten zweihundert Jahre ebenso abgelesen werden kann, wie die Evolution des Gebäudetyps.
Die einzigartige Verknüpfung von Stadt, Topografie, Sammlungen und Architektur ist Ergebnis eines langsamen Wachstumsprozesses. Jede neue Generation hat den Ausbau unter wechselnden Vorzeichen weitergetragen. Mit ihren ineinander verwobenen Museumsgebäuden zeigt sich die Insel im doppelten Sinne als Geschichte: als Ergebnis historischer Schichtung und als unterschiedliche Kapitel einer großen Erzählung.
Sammlungswachstum, technischer, wissenschaftlicher Fortschritt sowie gesellschaftliche Veränderungen gaben immer wieder neue Impulse. Die sechs Gebäude zeigen einen vielfältigen Formenreichtum und wenden sich auf sehr unterschiedliche Weise der Stadt zu.
Das Planen und Bauen von Museumsgebäuden folgt einer über lange Zeiträume wirkenden gesellschaftlichen Kraft. Die Entwicklung der Museumsinsel mit der über fünf weltanschauliche Systeme zurückreichenden Planungsgeschichte ist ein eindrückliches Beispiel für einen durch diese Kraft getragenen Planungsprozess. Wechselnde Verantwortliche mit differierenden Aufgaben und Blickwinkeln haben die aufeinanderfolgenden Museumsprojekte vorangebracht. Viele, teils widersprüchliche Anforderungen, die von staatlichen Repräsentanten, Museumsdirektoren, Archäologen, Sammlern, Denkmalpflegern, Kuratoren und öffentlicher Kritik vorgetragen wurden, bereicherten die Entwürfe. Dabei kehren ortsspezifische Motive, programmatische Überlegungen und architektonische Themen in stets veränderter Form wieder. Die stetige Beschäftigung mit der stadträumlichen Inszenierung der Uferbebauung, der funktionalen Ergänzung des Bestands und der Verwendung architektonischer Würdezeichen wie Säulenhalle, Sockel und Freitreppe lässt den Planungsprozessals Dialog erscheinen, der sowohl über die Planer verschiedener Generationen greift, als auch innerhalb einer Zeitebene wirksam ist.
Die Planungsvorgeschichte der James-Simon-Galerie beginnt in den 1870er Jahren als das 1841 durch Friedrich August Stüler erarbeitete Projekt für die von König Friedrich Wilhelm IV. initiierte Freistätte für Kunst und Wissenschaft vor seiner Vollendung stand und Gedanken für die Verlegung des Packhofs nach Moabit die Perspektive für eine Bebauung der gesamten nördlichen Spreeinsel für Museumszwecke öffneten.
Der Bau von Karl Friedrich Schinkels Altem Museum 1830 hatte den Grundstein für die Museumsinsel gelegt, war jedoch nicht für ihren nachfolgenden Ausbau geplant. In dem Schinkels Solitär den Lustgarten von den unansehnlichen Hafen- und Lagerarealen des Packhofs auf dem nordwestlichen Inselareal räumlich abriegelte, erzeugte er ein Grundproblem, mit dem alle nachfolgenden Projekte umzugehen hatten. Stülers Freistättenprojekt für den Nordosten der Insel basierte auf einem Kolonnadenhof, der über eine Achse vom Schloss mit dem Lustgarten in Beziehung gesetzt war.
August Orths Initiativentwurf von 1875 folgte der Erkenntnis, dass die künftigen Museen auf dem ehemaligen Packhofareal im Nordwesten derInsel hingegen von dem zentralen Bereich am Lustgarten schwer aufzufinden sein würden. Sein Projekt zur Erweiterung der Museen in Berlin wollte dem Problem mit einem prägnanten Eingangsgebäude am Kupfergraben begegnen. Ein Säulenportikus mit einer Freitreppe sollte einen von der Schlossbrücke gut wahrnehmbaren Zugang für den erweiterten Ausstellungskomplex stiften.
1882 und 1884 entwickelten zwei vielbeachteteWettbewerbe Szenarien für die Erweiterung des Museumsquartiers, die ebenso unberücksichtigt blieben wie Alfred Messels Plan von 1907, das Pergamonmuseum mit den im Neuen Museum beheimateten Sammlungen zu vernetzen und einen Eingang an der heutigen Bodestraße herzustellen.
Mit der Eröffnung des 1930 unvollendet fertiggestellten Pergamonmuseums trat neben der Zugangsproblematik auch die Erfordernis zusätzlicher Serviceeinrichtungen zutage. Zugleich wurde der Ruf nach einem städtebaulichen Abschluss laut, „der vielleicht als Fortführung der Säulenhallen gedacht ist, die Neues Museum und Nationalgalerie einschließen und binden“.
Der Abbruch des Direktionsgebäudes des Packhofs im Jahr 1935 rückte das Kupfergrabengrundstück erneut in das Blickfeld der Museumsplaner. Der Entwurf der Hochbauabteilung des Preußischen Finanzministeriums von 1939 sieht hier zwei Pfeilerhallen vor, eine an der Bodestraße gelegene als erster Anlaufpunkt und Kasse sowie eine weitere zwischen Neuem Museum und Pergamonmuseum zur Bewirtung. Die NS-Zeit hinterließ die Museumsinsel – nach gigantomanischen Plänen zu ihrem Ausbau – mit verheerenden Zerstörungen.
Bereits während des Wiederaufbaus in sozialistischer Zeit brachte der Bauleiter der Staatlichen Museen Friedhelm Seiler jenen zukunftsweisenden Gedanken in den Planungsdiskurs ein, der den Ausbau der Museumsinsel bis in das 21. Jahrhundert hinein prägte: eine neuartige Verknüpfung der teilzerstörten historischen Gebäude bei ihrer gleichzeitigen Ergänzung mit zusätzlichen Serviceangeboten. Seilers Gedanken wirken in die Planungen zum Wiederaufbau des Neuen Museums vor und nach dem Mauerfall hinein. Noch 1993 verknüpfte die Auslobung des Wettbewerbs zur Wiederherstellung des Neuen Museums und zur Errichtung von Ergänzungs- und Verbindungsbauten auf der Museumsinsel für Ausstellungs- und Servicezwecke mit der Einrichtung eines Kurzrundgangs zu den Hauptexponaten.
Die sehr unterschiedlichen Ansätze der Preisträger machten die Differenzen sichtbar, die seinerzeit im Hinblick auf den Umgang mit dem Ensemble bestanden, und führten zu einer mehrjährigen Kontroverse um die künftige Gestalt. Im Kern der Auseinandersetzung stand die Frage, ob der Museumsarchitektur des 19. Jahrhundertsund den Spuren ihrer Geschichte eine eigene Würde zuzumessen sei oder ob sie modernen Gestaltungsabsichten unterworfen werden kann. Giorgio Grassis erstplatzierter Beitrag erwies den bestehenden Museumsgebäuden großen Respekt und skizzierte wichtige Hauptlinien der späteren Realisierung vor. Er wahrte nicht nur das historische Erscheinungsbild des Ensembles, sondern bezog auch dessen Geschichte in die museale Inszenierung mit ein.
David Chipperfields zweitplatziertes Konzept entsprach mit einem kontrastreichen Wechselspiel zwischen einem rekonstruierten Neuen Museum und einer High-Tech-Architektur britischer Prägung sowohl dem in Teilen der Berliner Bürgerschaft gehegten Wunsch nach einer vollständigen Rekonstruktion des historischen Museumsgebäudes als auch dem von Ausloberin und Teilen der Architektenschaft getragenen Bedürfnis nach einem explizit zeitgenössischen Ausdruck auf der Museumsinsel.
Der von den Museen favorisierte, mit dem vierten Preis prämierte Vorschlag Frank O. Gehrys entwickelte eine spektakuläre, in dekonstruktivistischer Sprache verfasste Gebäudekomposition entlang des Kupfergrabens bis in die erste Reihe am Lustgarten und ließ die Museumsgebäude in die zweite Reihe rücken.
Der Interessenkonflikt zwischen Museen und Denkmalpflege, der mit diesem Wettbewerb zu Tage getreten war, wurde erst nach einem internen Gutachterverfahren 1997 und weiterer öffentlicher Kontroverse um den Umgang mit dem Gebäude gelöst. Nach mehrfacher Überarbeitung durch die beteiligten Architekten wurde entschieden, den Wiederaufbau des Neuen Museums in die Hände von David Chipperfield zu legen. Darüber hinaus entwickelten Vertreter der Museen und der Denkmalpflege sowie die sogenannte Planungsgruppe Museumsinsel aus den Architekten, die mit den Planungsaufgaben an den historischen Museumsgebäuden beauftragt waren, ein gemeinsames Konzept, den „Masterplan Museumsinsel“. Der 2000 vorgestellte Plan klärte den Sachverhalt mit einem neuen Erschließungskonzept. Es beinhaltete eine teils auf der Ebene der Sockelgeschosse in den Museen, teils unterirdisch geführte Verbindung der Gebäude mit Ausnahme der Alten Nationalgalerie und ein an strategischer Stelle in Verlängerung des Lustgartens am Kupfergraben gelegenes neues Eingangsgebäude. Der hierfür 2001 von Chipperfield vorgelegte Entwurf mit einer Komposition aus vier ineinander verschränkten, abstrakten Kuben wollte mit opaker Gebäudehülle der steinernen Schwere der historischen Museumsgebäude entsprechen und zugleich ein modernes Zugangssignal in die umgebende Stadt aussenden (Abbildung Seite 31). Nach fünfjähriger Planungspause wurde der Entwurf aufgrund der Kritik verschiedener Seiten erneut überarbeitet. Das Kolonnadenmotiv, das Chipperfield bereits während der Vorplanungen um das Jahr 2000 in Betracht gezogen hatte, kehrte in filigranen Proportionen wieder zurück.
Heute stiftet die James-Simon-Galerie mit ihren modernen Kolonnaden eine neue Adresse. Mit einer schlanken Pfeilerhalle mittleren Maßstabs – zwischen der Säulenhalle Schinkels und den Kolonnaden Stülers – tritt das Bauwerk in Maßstab und Gestus vor den benachbarten Museumsgebäuden zurück, während seine große Freitreppe und sein portalartiger Eingang ein klares Zugangssignal an die Stadt senden.
Die neue Konzeption für den Ausbau der Museumsinsel integriert eine Vielzahl von Überlegungen und Vorschlägen, die bis ins 19. Jahrhundert zurückreichen. Der Wiederbaubau des Neuen Museums führt mit der Thematisierung der Museums- und der Zerstörungsgeschichte in der Architektur- und Ausstellungskonzeption ihre Erzählung in die jüngere Geschichte des Ortes. Der laufende Umbau des Pergamonmuseums wird einen Kurzrundgang durch die Highlights ermöglichen. Als komplementärer Baustein etabliert die James-Simon-Galerie den hierfür nötigenZugang und ergänzt das Museumsensemble entsprechend der gewachsenen Anforderungen. Mit der in ihrem Sockel geplanten Ausstellung zur Geschichte des Ortes und den Ausblicken aus der hochstehenden Pfeilerhalle auf zwei Jahrhunderte Museumsbaugeschichte inszeniert sie Ort und Architektur auf neuartige Weise und ebnet den Weg zu einer neuen Beschäftigung mit Veränderungen im Selbstverständnis unserer Gesellschaft.
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