Bauwelt

Er zeigt, was ist

Über Harald Hauswalds einmalige Momentaufnahmen und Zeugnisse des sozialistischen Alltags in der DDR, insbesondere der Entwicklung des Ostberliner Stadtraums.

Text: Schulz, Bernhard, Berlin

Er zeigt, was ist

Über Harald Hauswalds einmalige Momentaufnahmen und Zeugnisse des sozialistischen Alltags in der DDR, insbesondere der Entwicklung des Ostberliner Stadtraums.

Text: Schulz, Bernhard, Berlin

„Wegen der großen Publikumsnachfrage”, so steht es auf der Webseite vom C/O Berlin, werde die Ausstellung des Fotografen Harald Hauswald „in einer Neuauflage ins Programm genommen”. Es ist das zweite Mal, dass Hauswalds rund 250 Fotografien hier zu sehen sind. Die „Publikumsnachfrage” kommt nicht von ungefähr: Hauswald, nach der Wende einer der Mitbegründer der renommierten Agentur „Ostkreuz”, ist einer der profiliertesten Beobachter der späten DDR in ihren zumeist unscheinbaren Ecken. Zum Chronisten wurde er erst, als die DDR unterging und es alle, die – wie Hauswald – zuvor in stillem, zähen Widerstand gegen die SED-Herrschaft gestanden hatten, auf die Straßen trieb, um endlich die Demokratie einzufordern, die das Regime zuvor immer nur im Munde geführt hatte.
Hauswalds Widerstand war seine Kamera. 1954 geboren als Sohn eines Berufsfotografen mit eigenem Atelier – ein Anachronismus in der zunehmend kollektivierten DDR –, hatte er erst in der väterlichen, dann einer zweiten Dunkelkammer gelernt, ohne je eine Kamera in die Hand zu bekommen. Nach anderthalb Jahren hatte er genug, nahm einen Fotoapparat und trollte sich aus dem beschaulichen Meißen. Er tauchte ein in die Jugendszene der DDR, unpolitisch noch und darum halbwegs geduldet. Dennoch gerät er ins Visier der Stasi, die ihn als Mitglied einer „nega­tiven, labilen jugendlichen Gruppierung” einordnet. 1978 zieht er ins oberflächlich stille, darunter aber unruhige Milieu vom Prenzlauer Berg, des kriegsversehrten Ost-Berliner Szene-Bezirks und beginnt zu fotografieren.
Die 1980er Jahre sind Hauswalds Jahrzehnt. Er ist nicht mehr nur der Chronist der Bohème; verdichtet etwa in dem Schnappschuss einer Lesung Heiner Müllers in einer Privatwohnung: Der berühmte Dichter und vor ihm die Flasche West-Whisky. Das Bild ist historisch. Historisch auf andere, stillere Art aber sind auch die Bilder, die Hauswald in der Stadt einfing, zumeist Ost-Berlin, selten in kleineren Städten. Er ging nie ohne Kamera aus, wie er sagt, die schwere Ausrüstung immer dabei. Und immer dabei die Stasi, die zahlreiche Spitzel auf ihn ansetzt. Das Hauswald unter intensiver Beschattung ungehindert fotografieren und noch dazu etliche Bilder in die westliche Bundesrepublik schmuggeln konnte, gehört zu den Rätseln, die der Stasi-Überwachungsstaat hinterlassen hat.
Hauswald ist ein Menschen-Bildner, wenn man es einmal so ausdrücken will; er hat sehr oft den moment décisif, den „entscheidenden Augenblick” erwischt, den der große Cartier-Bresson zum Leitbild des Fotoreporters erkoren hatte. Doch das ist hier nicht das Thema, sondern dass Hauswald zugleich die Stadt und ihre Architekturen festgehalten hat, als Hintergrund und Bühne seiner Protagonisten. Da die Stadt bei ihm gerade nicht der primäre Gegenstand ist – anders etwa als bei Ulrich Wüst, der die formalen Qualitäten der Stadtlandschaft herausarbeitet wie einst Renger-Patzsch –, muss man die Bilder gewissermaßen ein zweites Mal betrachten, um die Topographie zu erfassen. Da sieht man bei niedrigem Augenpunkt die ermüdende Leere überbreiter Straßen wie etwa der Karl-Marx-Allee in ihrem zweiten Bauabschnitt aus den 1960er Jahren. Der typische Ost-Berliner Winternebel, am durchdringenden Geruch des Braunkohlen-Smogs geläufig, lässt die isoliert hingestellten Geschossbauten in milchigem Grau verschwimmen. Leer ist auch die Karl-Liebknecht-Straße, ein Vorzeigeprojekt sozialistischen Städtebaus, die abendliche Stille durch weihnachtliche Lichtergirlanden nur noch betont. Eigenartig, dass es Hauswald nur selten in die Neubaugebiete gezogen hat, jedenfalls ist nur eine menschenleere Ansicht von Häuserblocks in Hohenschönhausen zu sehen. Ihm war die engere Umgebung von Prenzelberg bis Mitte genug.
Die verfallenden Altbauten spielen eine Hauptrolle. Hinterhoffassaden mit blätterndem Putz holt das Teleobjektiv unmittelbar hinter die vorn an der Straße installierte Leuchtschrift „Wohnkultur” – und verneint so den Anspruch dieses Begriffs. Ebenfalls mit dem Teleobjektiv ist eine ganze Straßenseite irgendwo im Bezirk zusammengerafft, alle Häuser der Balkone beraubt, stattdessen Gitter in die Balkontüren gesetzt; der Putz fehlt, der Stuck sowieso, hier und da zeugen schief hängende Jalousien von einstiger Wohlanständigkeit. Durch die Friedrichstraße (!) zieht 1984 ein Pferdefuhrwerk vor dem Hintergrund der riesigen Baulücke, die erst jetzt, bald vier Jahrzehnte später, mit den Neubauten des „Tacheles”-Ensembles geschlossen wird. Die eindrucksvolle Ruine der einstigen Friedrichstraßenpassage hat Hauswald kurz vor der Sprengung der (erhaltenen) Kuppel fotografiert, ebenso wie das Gaswerk Prenzlauer Berg, zu dessen Abriss ebenfalls im Jahr 1982 sich erstmals ein zaghafter, von der Staatsgewalt unterdrückter Protest gegen die Verwahrlosung und Beseitigung alter Bausubstanz regte.
Aber das ist bei Hauswald weder elegisch noch anklagend. Er zeigt, was ist. Sogar die Grenzanlagen hat er fotografiert. Dahinter Wohnhäuser in West-Berlin. Sie sahen auch nicht viel anders aus als die, die er kannte.

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