Bauwelt

Gebäude, in denen alte Geister spuken

Die Diskussion um das millionenschwere Opern-Interim auf dem ehemaligen Reichsparteitagsgelände in Nürnberg ruft nach einem Blick auf den heutigen Stand der Dinge. Worum muss es gehen, wenn ein NS-Monument neu besetzt werden soll?

Text: Savchenko, Julia, Nürnberg

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Die Tribüne des Zeppelinfeldes auf dem ehemaligen Reichsparteitagsgelände in Nürnberg.
Foto: Alamy Stock Foto

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Die Tribüne des Zeppelinfeldes auf dem ehemaligen Reichsparteitagsgelände in Nürnberg.

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Gebäude, in denen alte Geister spuken

Die Diskussion um das millionenschwere Opern-Interim auf dem ehemaligen Reichsparteitagsgelände in Nürnberg ruft nach einem Blick auf den heutigen Stand der Dinge. Worum muss es gehen, wenn ein NS-Monument neu besetzt werden soll?

Text: Savchenko, Julia, Nürnberg

„Ehemaliges Reichsparteitagsgelände“ ist ein schwerfälliger Begriff. Gelände klingt nach Grenzen, die man ziehen kann, genauso wie „ehe­malig“ zeitliche Grenzen suggeriert, in denen die Periode des Nationalsozialismus eingekapselt werden kann. Eine Kapsel, aus der der Diskurs um ein neues Vorhaben wieder Staub aufgewirbelt hat – er sollte sich nicht vorzeitig legen.
Die Errichtung eines temporären Gebäudes für die Oper auf dem ehemaligen Reichsparteitagsgelände, während das baufällige Opernhaus saniert wird, ist zum aktuellen Zeitpunkt nicht geklärt. Während das Bauvorhaben vom Stadtrat mit einer Mehrheit beschlossen und von der lokalen Politik enthusiastisch begrüßt wird, trifft es auch auf Kritik. Es hilft nicht, dass Denkmal- und Umweltschutzbehörde sich quer stellen und fundamentale bauliche und finanzielle Fragen noch offen sind. Kann der Bau wirklich in den leeren Innenhof der Kongresshalle, dessen Leere auch als pädagogisches Mittel dient? Wie temporär wird das Gebäude letztendlich? Sind die Kosten für ein Interim zu verantworten? Ist es vielleicht nur deshalb ein Interim, weil man sich nicht recht entscheiden kann, ob es wirklich dort gebaut werden sollte?
Im Interview mit der Süddeutschen Zeitung zeigten die Politikerin Julia Lehner und die Publizistin Rachel Salamander Ende Dezember vergangenen Jahres auf, dass für sie im Kern des Vorhabens ein Wille stecke, zu handeln und die Herausforderung des Umgangs endlich praktisch anzugehen. Es scheint naheliegend, die bisher vor sich hin trivialisierende Kongresshalle der Kunst und Kultur zu übergeben. Aus der Kunst kamen oft Antworten, die die Politik nicht findet. Und Antworten brauchen wir auch nach Jahrzehnten der Auseinandersetzung. Das Gelände ist noch lange nicht gelöst, noch nicht „aufgehoben“, wie Hermann Glaser es in der Zeitschrift „Werk und Zeit“ 1988 als Ziel des Diskurses um die NS-Architektur formulierte. Der Kulturhistoriker begrüßte damals die Trivialisierung, die Nutzung der Monumentalbauten als Lagerfläche. „Das Klanglose muss jedoch mit stetem Erinnern verbunden bleiben“. Während die Kongresshalle durch das Dokumentationszentrum von Günther Domenig auch semiotisch einen Einschnitt erhielt, ist noch nicht alles auf dem Gelände derart überformt und in seinem Wesen erkennbar. Während Glaser die erneute Nutzung als Kultstätte weniger fürchtete als die Selbstverständlichkeit der Bauten, so führt doch ein Mangel an Umgang zu einer gewissen Ambivalenz, die Raum für den Faschismus von heute bieten kann. Wie der Kulturwissenschaftler Jörg Skriebeleit auf der Tagung zur International Public Summer School zum Gelände 2021 in Anlehnung an Mark Fishers „Hauntology“ ausführ­te, bleiben Geister auch in Nürnberg so lange im Raum, bis man sich mit ihnen auseinandersetzt.
Die Nazigeister aus dem Nazigebäude auszutreiben, versuchte schon 1986 die Band Einstürzende Neubauten mit ihrem Exorzismus-Konzert im Goldenen Saal unter der Zeppelintribüne. Vielleicht ein destruktiver Impuls, der jeder Art einer konstruktiven Auseinandersetzung vorangehen muss – aber kein hinreichender. Der Fackelmarsch von Neonazis im Jahr 2019 beweist, dass die ehemalige Kultstätte noch Kultstätte sein kann.
Es liegt nahe, das Stadion nebenan aus der Thematik auszuklammern. Was hat es mit NS-Architektur zu tun? Fans setzten sich lange Zeit dafür ein, dass das Stadion den Namen des deutschen Fußballspielers Max Morlock trägt, der dem 1. FC Nürnberg zum Deutschen Meister und der deutschen Nationalmannschaft zweimal zum Weltmeister verhalf. Seine Karriere begann mit der Gauliga, die von der NS-Regierung anstelle der Bezirksliga eingeführt wurde, während des Zweiten Weltkriegs spielte er zum ersten Mal um die deutsche Fußballmeisterschaft. Es wundert nicht, dass Morlock unter lokalen Fußballfans als Held verehrt wird oder dass ihm zahlreiche Ehrungen inklusive eines Spielfilms zukamen. Doch lässt sich nicht leugnen, dass dieses Heldentum unmittelbar in Dialog mit dem Ort tritt. Dass auf der Zeppelintribüne Unbekannte ein Banner mit den Worten „Orte der Erinnerung – Orte der Sehnsucht“ aufspannen konnten, lässt wenig Interpretationsspielraum.
Während die Dauerpräsenz von Ordnungskräften die Sache nicht besser machen würde, ist anzumerken, dass der Fackelmarsch und ähnliche Vorfälle weniger rechtliche Konsequenzen hatten, als das Auftragen eines Regenbogens auf die Zeppelintribüne durch ein unbekanntes Kunstkollektiv. Während die Stadt bei der medienwirksamen Aktion, die als „Regenbogenpräludium“ im kollektiven Gedächtnis hängen blieb, für eine Strafanzeige sorgte, blieb es im anderen Fall bei einem Platzverweis. Jedoch scheint man sich langsam des Wertes solcher Performances bewusst zu werden.
Etwas abseits in der Frankenstraße stehen zwei von Franz Ruff im Auftrag Adolf Hitlers errichtete Kasernengebäude. Der große Bau diente als Unterkunft und Arbeitsstätte für Teilnehmende der Reichsparteitage, für Gefangene aus Konzentrationslagern, „displaced persons“ und US-Truppen. Obwohl sich das Gebäude mit seiner Backsteinfassade im Stadtbild versöhnlicher gibt als die Speer-Bauten, lässt seine Dimension keine Frage über seinen Ursprung offen. Nach dem Abzug der US-Army fand sich ein neuer Nutzen für das Gebäude. Die auf den Einzug des Bundesministeriums für Migration und Flüchtlinge folgenden Modernisierungsmaßnahmen sorgen zum Teil für skurrile Bilder: Staatlich verordnetes Graffiti neben der Marmor-Türzarge. Ein Tag der offenen Tür soll Annäherung schaffen, bildet jedoch unbeabsichtigt eine Kontinuität − auch die US-Amerikaner veranstalteten einen Tag der offenen Tür, der wiederum dem Tag der Wehrmacht der NS-Zeit entlehnt war. Diese Abfolge zeigt vor allem, dass das Gebäude es durchgehend nötig hatte, sich irgendwie nahbarer zu präsentieren. Ob man die Umnutzung als Symbol eines Wandels oder als unangenehme Ironie in Anbetracht des respekteinflößenden Gebäudes sieht, hängt wohl auch davon ab, wie man die deutsche Migrationspolitik bewertet. Der einzige erhaltene Nebenbau der Kaserne, der Z-Bau, ist als Kulturzentrum deutlich zu erkennen − hier sind die Antifa-Graffiti authentisch. Kunst und Kultur können durchaus eine Brücke in die Gegenwart schaffen, doch sind sie gerade im direkten Dialog mit einer etablierten Macht besonders bedeutsam.
Eine zeitgemäße Umnutzung erlebte auch das Umspannwerk, das das gesamte Gelände während der Reichsparteitage mit Strom versorgte. Unter dem Schatten des von der amerikanischen Besatzung weggesprengten Reichsadlers kann man heute einen Burger King besuchen. Die einzige einordnende Informationstafel wurde im vergangenen Jahr auf die andere Seite der Kreuzung verlegt und damit signifikant aus dem Kontext gehoben. Auch um Informationen rund um den Bahnhof Märzfeld, von dem aus Deportationen aus ganz Nordbayern stattfanden, ist es nicht gut bestellt. Eine Gedenktafel und später eine Informationsstele haben das Publikum nicht überlebt. Dass der Bahnhof eher abgeschie­-den liegt, war eine bewusste Entscheidung, um die Deportationen unauffällig durchzuführen, und führt noch heute dazu, dass auf ihm nicht viel Aufmerksamkeit ruht.
Es existieren bereits Konzepte, um den Bahnhof und den Goldenen Saal zugänglicher zu machen. Dabei ist noch immer unklar, ob große Summen in die Instandhaltung zu investieren der richtige Weg ist. Letztendlich geht es dabei um das Verstehen, das in jedem Menschen neu passieren muss, um, wie Glaser schrieb, „die Grundlegung im Abgründigen“ zu finden. Dass die Gebäude dazu beitragen, ist wahr. Dass es auch andere Wege geben muss − denn selbst Steine währen nicht ewig − ebenfalls. Und dass die Steine durch ihre bloße Existenz nicht ausreichen, zeigt die Gegenwart.
Die Überlagerung verschiedener Interessen ist eine besondere Eigenschaft des Geländes. Selten ist man als Spaziergänger derart in eine kognitive Dissonanz gedrängt. In diesem Sinne wäre ein Kulturzentrum im Kolosseum vielleicht nicht gänzlich fehl am Platz, doch sollte klar sein, dass hier – noch mehr als an anderen Orten – nichts wirklich neutral sein kann. Besonders Pragmatismus führt bei Umnutzungsentscheidungen oft zu renovierten Mauern, in denen alte Geister spuken.

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