Geometrien des Südens
Geometrische Strukturen und Muster in räumlicher Gestalt oder Anmutung haben seit Jahrhunderten ihren Reiz, besonders für die Augen des Architekten. Die Ausstellung „Géométries sud“ in Paris widmet sich dem Thema in Südamerika, von Mexiko bis Patagonien.
Text: Redecke, Sebastian, Berlin
Geometrien des Südens
Geometrische Strukturen und Muster in räumlicher Gestalt oder Anmutung haben seit Jahrhunderten ihren Reiz, besonders für die Augen des Architekten. Die Ausstellung „Géométries sud“ in Paris widmet sich dem Thema in Südamerika, von Mexiko bis Patagonien.
Text: Redecke, Sebastian, Berlin
In den Sälen der Fondation Cartier pour l’art contemporain werden bis Ende Februar 240 Ausstellungsstücke und zwei Installationen gezeigt. Dazu gehören traditionelle Muster aus der Kultur indigener Völker in Südamerika, u.a. Fotos von Körperbemalungen und die Kleidung bei rituellen Tänzen, oder alte Masken mit Rasterstrukturen aus präkolumbianischer Zeit. Zu sehen sind außerdem ausdrucksstarke Fotos der Anthropologen Martin Gusinde von der Yagan-Bevölkerung im Feuerland aus den 20er Jahren und ClaudeLévi-Strauss aus den 30er Jahren, der u.a. den Volksstamm der Kadiwéu im Amazonasgebiet von Brasilien studiert hat.
Diese Sprünge in eine andere Ebene der gleichen Thematik der geometrischen Strukturen sind Ziel der Ausstellung. Die Besucher werden zu vergleichenden Beobachtungen mit künstlerischen Werken des 20. Jahrhunderts und aus heutiger Zeit animiert. Die historischen Fotos begeistern besonders, da sie die Ursprünge geometrischer Formensprachen und Muster in der Baugeschichte Südamerikas deutlich werden lassen. So werden auch Arbeiten des Fotografen Martin Chambi (1891–1973) gezeigt. Der Peruaner fotografierte in den 20er Jahren die ästhetische Pracht polygonaler Steine der mächtigen Mauernvon Machu Picchu. Gleich daneben sind Fotos von heutigen bemalten Mauern zu sehen, oft von großer Farbigkeit, so zum Beispiel von Facundo de Zuviría aus Buenos Aires.
Während im Ausstellungssaal vom Untergeschoss der Fondation die Vielzahl so unterschiedlicher Blickwinkel zum Thema geometrische Gestalt zu sehen sind, präsentieren die zwei verglasten Hallen rechts und links des Eingangs im Erdgeschoss großformatige Installationen. Rechts fällt ein bunter Einbau sofort ins Auge. Den Ausstellungsmacher Alexis Fabry gelang es, einen der typischen Ballsäle von Freddy Mamani in Originalgröße nachzubauen. Der bolivianische Maurer und Ingenieur verändert schon seit vielen Jahren das Straßenbild seiner Heimatstadt El Paso mit bunten Dekorgebäuden, folkloristische Architektur, die im kleinen witzig bis kitschig an das frühere Las Vegas erinnen. Und doch zeigt sich hier vor allem bei den Ornamenten ein Hintergrund in die indigene Kultur der Andenregion, der sich einem ohne Wissen nicht offenbart (Bauwelt 19.2016). Einen deutlicheren Kontrast zum Gebäude der Fondation von Jean Nouvel kann es nicht geben. Mamanis „Salónde Eventos“ wirkt in der gläsernen Hülle wie ein Eindringling aus einer anderen Welt, verspielt in den Formen und voller Farbenfreude.
In der linken Ausstellungshalle ist eine bis zur Decke reichende Arbeit von Solano Benítez und seiner Partnerin Gloria Cabral zu sehen. Benídez gründete 1987 sein Gabinete de Arquitectura in Asunción, der Hauptstadt von Paraguay. Als Alejandro Aravena 2016 mit „Reporting from the Front“ Kurator der Architekturbiennale in Venedig war, lud er ihn ein, sich an der Ausstellung zu beteiligen. Für seine Arbeit, eine offene Bogenkonstruktion mit kreuzweise ausgeführten Ziegelbändern voller Eleganz und schönen Schattenspielen an den Wänden, gewann er den Goldenen Löwen als bester Teilnehmer der internationalen Ausstellung. Passend zum Thema der Biennale war dies eines der eindrucksvollsten Installationen für einfaches, ressourcenschonendes Bauen. In der Pariser Ausstellung ist die zweite Installation der Architekten in Europa zu sehen. Benítez und Cabral wollen erneut zeigen, welche Potenziale eine sparsame, auf Recycling basierende Konstruktion bietet, die kein großes Fachwissen erfordert. Sie ließen 144 Tafeln aus Beton mit Ziegel-Bruchsteinen gießen, die dann als Bauelemente diagonal und horizontal zusammengefügt wurden. Die Frage zur Bedeutung dieses skulpturalen Werks für ihre zukünftigen Planungen in Paraguay war ihnen wohl zu konkret. Sie verstehen ihr Engagement eher als Mission, ungelernte Menschen zu animieren, mit lokalen Materialien wie dem Ziegel selbst Projekte in die Hand zu nehmen. Die Arbeit sei somit mehr ein Statement, ohne ein konkretes Bauvorhaben, um Möglichkeiten einfacher Bauformen auszuloten. Benítez resümiert: „Der Prophet gilt nichts im eigenen Land“. Im hinteren Teil der Halle sind deutlich leisere Arbeiten von Gego zu sehen. Gego ist das Pseudonym von Gertrud Louise Goldschmidt (1912–1994), einer Jüdin aus Hamburg, die bis 1938 in Stuttgart Architektur studierte und dann nach Venezuela auswanderte, wosie als Künstlerin arbeitete und an der Kunsthochschule von Caracas lehrte. In Paris sind zum ersten Mal außerhalb Venezuelas 22 ihrer dreidimensionalen Drahtinstallationen aus den 70er Jahren ausgestellt. Ihre sehr feine Ausdruckskraft erlangen sie erst vor einer weißen Wand.
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