Hamburg wächst
Von „Neue Altona“ über „Neu-Altona“ bis zur „Mitte Altona“: Retrospektive über 130 Jahre Städte- und Wohnungsbau
Text: Brosowsky, Bettina Maria, Braunschweig
Hamburg wächst
Von „Neue Altona“ über „Neu-Altona“ bis zur „Mitte Altona“: Retrospektive über 130 Jahre Städte- und Wohnungsbau
Text: Brosowsky, Bettina Maria, Braunschweig
Aktuell hat Hamburg gut 1,8 Millionen Einwohner, für 2030 werden 1,9 Millionen prognostiziert. Die Hansestadt reagiert mit ehrgeizigen Zielen: Bis 2030 sollen 130.000 Wohnungen entstehen, davon ein großes Segment mit einer Nettokalt-Miete von derzeit etwa acht Euro pro Quadratmeter. Die Senatorin für Stadtentwicklung und Wohnen Dorothee Stapelfeldt folgt dabei einer Doppelstrategie, bei der Priorität die Verdichtung in den inneren Stadtteilen hat, Motto: „Mehr Stadt in der Stadt“. Zweiter Vorsatz ist der Wohnungsneubau an den Rändern, im Grünen und trotzdem gut angebunden, Motto: „Mehr Stadt an neuen Orten“.
Nach der HafenCity ist gegenwärtig die „Mitte Altona“ (mit dem östlich angrenzenden „Holstenareal“) die größte städtebauliche Maßnahme in Hamburg. Mit der Verlegung des Fernbahnhofs Altona weiter nördlich an den Diebsteich wird auf den aufgelassenen Gleisanlagen in zwei Bauabschnitten ein neuer Stadtteil entstehen. Kürzlich wurden die ersten von 1600 Wohnungen bezogen, der zweite Abschnitt mit 1900 Wohnungen allerdings verzögert sich, da der neue Bahnhof wegen eines juristisch erwirkten Baustopps nicht wie geplant 2020 in Betrieb gehen wird.
Solch Räderwerk der Stadtentwicklung hat das Altonaer Museum zum Anlass genommen, die letzten 130 Jahre Wohnungsbau im Bezirk Revue passieren zu lassen. Acht Zeitschichten werden mit Referenzbauten, vor allem aber politischen, sozialreformerischen und planungsideologischen Ideen vorgestellt und mit üppigem Material aus Archiven oder Medien belegt. 1890 war das ursprünglich dänische, dann zur preußischen Provinz Schleswig-Holstein gehörende Altona ein Zwitter aus durchgrünten Elbvororten und rasant wachsender Industriestadt mit großer Wohnungsnot. Handwerker und Arbeiter gründeten 1892 den Altonaer Spar- und Bauverein (altoba), er war um 1910 einer der größten, nicht unumstrittenen Immobilienbesitzer der Stadt. Auch die Kommune blieb nicht untätig, betrieb als erste deutsche Stadt aktive Bodenpolitik und besaß 1914 ein Drittel des Stadtgebietes. Ein Generalsiedlungsplan regelte ab 1923 die Erschließung neuer Gebiete, separiert für Wohnen und Industrie. Unter Bausenator Gustav Oelsner (1924–1933) nahm das deutschlandweit vorbildliche „Neue Altona“ konkrete Gestalt an, so im öffentlich geförderten Wohnungsbau auf Basis der Hauszinssteuer. Karl Schneider, Friedrich Ostermeyer und Oelsner selber zeigten sich als Architekten für Realisierungen nach den wohnhygienischen, funktionalen und ästhetischen Prinzipien des Neuen Bauens verantwortlich, mit feiner norddeutscher Note: Meist in rotem Klinker verkleidete, handwerklich ornamentierte Blöcke oder, wie in der Helmholtzstraße, Zeilen mit Läden und grünen Wegeverbindungen. Mit der Weltwirtschaftskrise 1929 entstanden zudem ambitionierte Erwerbslosensiedlungen, so am Rugenbarg, oder Selbsthilfeunterkünfte aus Abfallmaterial: die „Fischkistensiedlung“ in Lurup.
Unter dem NS-Regime wurde Altona mit Hamburg vereinigt. Neben gigantomanischen Visionen Konstanty Gutschows für eine Neugestaltung des Elbufers, die 40.000 Familien ihre Wohnungen gekostet hätten, galt der hochverdichteten Altstadtstruktur Altonas die Kampfansage. Realisiert wurde indes wenig, erst die alliierten Bombardements beseitigten fast vollständig das historische Zentrum. Ein Generalbebauungsplan für den Wiederaufbau folgte 1947: Wohnen und Arbeiten, getrennt in der aufgelockerten, durchgrünten und autogerechten Stadt. Erste punktuelle Wohnhochhäuser entstanden, aber auch die skandinavisch knappen Reihenhäuser mit großem Atelier-Wohnraum für „Geistig Schaffende“ in Othmarschen.
Auf das sozial programmierte „Neue Altona“ der Zwischenkriegsjahre folgte 1954 der technokratische Bebauungsplan „Neu-Altona“ unter Ernst May, 4000 unzerstörte Vorkriegsbauten standen zur Disposition. Siedlungen ohne ausreichende Infrastruktur wurden hochgezogen, mit dem „Osdorfer Born“ auch die erste Trabantenstadt rein aus Hochhäusern, für 12.000 Menschen. Wie in anderen Städten kippte dieser Erneuerungsfuror auch im Altona der 1970er Jahre, urbane Qualitäten der Altstadt wurden wiederentdeckt, ihr Schutz bürgerschaftlich eingefordert.
Und seitdem? In kleineren Einheiten wurden (und werden weiterhin) ehemalige Gewerbeflächen und Hinterhöfe bebaut, Baulücken geschlossen, bestehende Gebäude aufgestockt. „Fischer-“, „Kühne-“ oder „Othmarscher Höfe“ sind die wohlklingenden Namen, ihre Bauten, wie allerorts, solide Durchschnittsware aus Blockstrukturen in Sichtmauerwerk, mit bodentiefen Fenstern, kleinen Balkonen. In „Mitte Altona“ und „Holstenareal“ wird nun höher verdichtet und Abstände verringert. Der streitlustige Volkwin Marg sieht schon Rückfälle in die Praktiken der Gründerzeit, durch Spekulationen überteuerte Grundstückspreise werden durch maximale Überbauung kompensiert. Hamburgs legendärer Oberbaudirektor Fritz Schumacher (1909–1933), so Marg weiter, hätte Derartiges nicht genehmigt: Die zweifache Traufhöhe als minimaler Gebäudeabstand wurde unter ihm Gesetz. Und nicht nur das.
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