Hand in Hand: Universelles Design von Olivetti
Die Firma Olivetti hatte ihre Sternstunden in den 50er bis 70er Jahren, als sie mit ihren Schreibmaschinen den Nerv der Zeit traf. Den Ausschlag gaben nicht nur technische, sondern auch gestalterische Aspekte
Text: Landes, Josepha, Berlin
Hand in Hand: Universelles Design von Olivetti
Die Firma Olivetti hatte ihre Sternstunden in den 50er bis 70er Jahren, als sie mit ihren Schreibmaschinen den Nerv der Zeit traf. Den Ausschlag gaben nicht nur technische, sondern auch gestalterische Aspekte
Text: Landes, Josepha, Berlin
Olivetti hat den Stellenwert von Produktdesign in der Serienproduktion nachhaltig geprägt. Das ist besonders bemerkenswert in Anbetracht des gesamtheitlichen Ansatzes der Firma. Erfolg, so das Credo, sei eng an das Wohl der „Comunità“, der Gemeinschaft, geknüpft. Arbeitern und Nutzern müssten ideale Bedingungen geboten werden, damit das Unternehmen florieren kann.
Camillo Olivetti hatte die Idee, Schreibmaschinen herzustellen, von einer USA-Reise in sein Heimatstädtchen Ivrea im Piemont mitgebracht. Fasziniert von den Remington-Maschinen, die er gesehen hatte, entwickelte er ab 1908 ein erstes, diesen sehr ähnliches Modell, die M1. Bis 1930 folgten zwei weitere, im Detail raffinierte mechanische Maschinen, die M 20 und die M 40. Der Unternehmer hatte von Anbeginn auf Gestalter, darunter den Bauhaus-Schüler Xanti Schawinski, gesetzt, um seine Produkte zu bewerben.
1932 kommt mit der Studio 42 die erste halbautomatische, mit der MP 1 die erste tragbare Schreibmaschine auf den Markt. Seitdem die Poste Italiane auf Olivetti-Maschinen schreiben verzeichnet der Umsatz steten Zuwachs: 1937 hat Olivetti 2000 Mitarbeiter, 37.000 Maschinen verlassen die Werke. Ab 1940 ist Italien im Krieg. Adriano Olivetti, dem sein Vater 1938 die Geschäfte anvertraut hat, muss aufgrund seiner kommunistischen Haltung Zuflucht in der Schweiz suchen. Als Camillo 1943 stirbt, erweisen ihm seine Arbeiter ungeachtet drohender Verfolgung durch die Nazis geschlossen die letzte Ehre. „Bevor wir die Comunità theoretisch gefasst hatten, gab es sie schon“, schreibt Adriano Olivetti 1952 in einem Essay. Bis er 1960 stirbt, bleibt Olivetti trotz Expansion in andere Teile Italiens und ins Ausland ein Familienbetrieb, dem das Wohl seiner Mitarbeiter wichtig ist.
Olivetti als Wegbereiter des Industriedesigns
Die Produkte sind bis in die achtziger Jahre hinein stets auf der Höhe des ästhetischen Zeitgeists und zugleich von zeitloser Wertigkeit. Die Strategie Olivettis, Künstler und Architekten mit der Produktgestaltung zu betrauen, bereitet dem Industriedesign den Weg. Die Verzahnung der Disziplinen zeichnet die Firma bereits in den Gründungsjahren aus. So entwarfen Figini und Pollini, die Architekten einer Reihe von Fabrikerweiterungen am Gründungsstandort, auch Produk-te, Werbung und andere Gebäude; ebenso die späteren Chefdesigner Marcello Nizzoli in den Fünfzigern, Ettore Sottsass in den Sechzigern und Mario Bellini in den Siebzigern. Besonders die Gründung einer Gestaltungsabteilung in den frühen sechziger Jahren unterstreicht das Motto Camillo Olivettis, „keinen Nippes fürs Wohnzimmer, sondern ernstzunehmende Produkte, mit zeitgemäßer Eleganz“ zu entwickeln.
International machten die Olivetti-Produkte wie Fiat 500 und Vespa italienisches Design salonfähig. Künstler und Intellektuelle, darunter Leonard Cohen und Günter Grass, schworen auf ihre Olivettis. Ab den Siebzigern sieht sich Olivetti gezwungen, das Produktspektrum über Schreib- und Rechenmaschinen hinaus hin zu computerisierter Systemelektronik zu erweitern. Schließlich verliert sich die Materialität des Konzerngeschäfts fast vollständig. Heute firmiert Olivetti mit der Telekom Italia als deren IT-Ableger.
Entmaterialisierung der Bürokommunikation
Es ist noch immer das Kerngeschäft von Olivetti, den Prozess der Informationsverarbeitung zu optimieren. Nur haben sich die Mittel dazu drastisch geändert. Vom weißen Blatt Papier, das mittels mettallener Lettern bedruckt wurde, war es ein langer Weg zu den nur visualisierten Matrix-Daten, die heute den Arbeitsalltag prägen. Sowohl Arbeitsweisen als auch Weltmaßstab haben sich so weitreichend verändert, dass die zeitgemäße Büromaschine jedes Jahrzehnts grundverschieden sein musste. Die Tendenz zur Entmaterialisierung der Kommunikation lässt sich sinnbildlich in der Schwerpunktlegung von Olivetti ablesen. Allerdings hätte das Resultat auch ein anderes als der Identitätsverlust sein können. Wo zeigt sich Olivetti heute noch? Selbst die stolz in aller Welt eröffneten Niederlassungen, geplant unter anderem von Louis Kahn und Kenzo Tange, in Frankfurt von Egon Eiermann, verraten heute nichts mehr von ihren Erbauern. Carlo Scarpas strahlender Showroom auf dem Markusplatz in Venedig präsentiert sich auch nur dank italienischem National Trust noch in dieser Form.
Es ist nicht so, als nutze die moderne Kommunikationstechnik keine Geräte mehr, auf die sich eine Hardwarefirma spezialisieren könnte. IBM und später Apple haben sich Teile der Olivetti-Philosophie zunutze gemacht, während Olivetti selbst, durch zahlreiche Fusionen geschwächt, zwei wichtige Augenmerke aus dem Sichtfeld verlor: die elegante Erscheinung und die Nähe zum Nutzer. Das 2010 herausgebrachte Tablet „Olipad“ wurde weder effektiv beworben, noch konnte es der Konkurrenz in Sachen Gestaltung oder Leistung das Wasser reichen. Die letzten Errungenschaften der Italiener sind ihre frühen Personal Computing Systeme. Sie datieren mehr als 30 Jahre zurück.
Diese Computer-Systeme erscheinen denn auch wie ein trotziges Aufbäumen der Maschine gegen ihr schrittweises Verschwinden. Während die Informationsverarbeitung in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts sehr direkt über ein Gerät funktionierte – Eingabe- war gleich Ausgabemaschine – war der Prozess fünfzig Jahre später auf drei Einheiten, Tastatur, Monitor und Drucker, aufgeteilt, ehe sich die Informationsverarbeitung in Form von Touchscreens nahezu vollständig von der Notwendigkeit einer Maschinelöste.
Von der Schreibmaschine zum Gesamtkunstwerk
Olivettis Designklassiker sind jene Produkte, die dem Lebensgefühl der Generationen und den Bedürfnissen der Nutzer entsprachen. Allen voran rangiert dahingehend die knallrote Valentine von 1968, entworfen von Ettore Sottsass – „eine Schreibmaschine für alle Anlässe, außer das Büro“. Mitsamt dazugehörigem Plastikköfferchen kam sie daher wie eine Handtasche. Auf Werbeplakaten steht sie inmitten einer F-Jugend Fußballmannschaft, auf sibirischem Schlittschuheis, im Cockpit oder samt Hülle am Strand, von sanften Wellen umspült. Sie wurde zum Kultobjekt einer Bewegung, die der Zwanghaftigkeit des Arbeitens etwas entgegensetzen und das Leben in vollen Zügen genießen wollte. Zugleich verkörpert sie absolute Technikgläubigkeit – denn letztlich kann Valentine kaum mehr als Zettel und Stift.
Auf die Verschränkung von Produkt und Lifestyle hatte Olivetti schon früher gesetzt und damit Marketingstrategien genutzt, die sich bis heute bewähren. Zu Beginn waren die Motive freilich andere: Italianità in den Jahren vor dem Krieg – Dante, der die M1 bewundert, war das erste Bild des Olivetti-Auftritts. In den Fünfzigern, für Nizzolis Lexikon 80 und seine kompakten Lettera-Modelle wurden noch technische Vorzüge beworben.
Die 1964 auf den Markt gebrachte Praxis 48, eines der ersten Sottsass-Projekte, zeigt schon dessen Hang, seriös durchgestalteten Produkten einen Hauch von Verspieltheit zu geben. Grüne Akzente an Tastatur und Papierrolle verwandeln die stationäre Maschine mit fliegender Tastatur und fein kanneliertem Gehäuse von einem Gebrauchsgegenstand in ein Kleinod. Die begleitende Werbegrafik präsentiert sie einem Gebäude ähnlich.
Teile eines Ganzen
Die in diesen Beispielen sichtbare Einheit der Gestaltungsdisziplinen krönen die „Roten Bücher“, ein Design-Kompendium, das 1971 unter Leitung von Hans von Klier entstand. Darin finden sich exakte Regeln für das Corporate Design von Olivetti. Es reicht von der grundsätzlichen Entwicklung eines Logos über Vorlagen für den Schriftverkehr des Unternehmens, Fahrzeugbeschriftungen und Pantone-Farbpaletten bis hin zu Vorgaben für Versandverpackungen.
In heutigen Unternehmen gehört diese Art Handbuch zur Grundausstattung. Für diese Selbstverständlichkeit gilt Olivetti Wertschätzung, denn hier wurden viele Schritte dahin unternommen. Camillo Olivetti wollte gute Produkte machen, und das auch zeigen - „Dobbiamo far bene le cose e farlo sapere.“ Seine Firma hat das über fast ein Jahrhundert hinweg erfolgreich getan. Adriano Olivettis soziales Verantwortungsbewusstsein, er war ein Kapitalist mit sozialistischem Einschlag – ein Vertreter des intellektuellen Nachkriegsitaliens, hat Olivettis wirtschaftlichen Erfolg in menschlichen Maßstab gerückt. Der globalisierte Markt der Gegenwart entbehrt solcher Ideale weitgehend. Was bleibt, ist das Bild Olivettis als Versuch einer guten Welt durch gute Produkte. Eine Utopie vielleicht, die dennoch seinerzeit reale Investitionen in die Gesellschaft ermöglicht hat. Ein Rückblick könnte lohnen, um zukunftsfähige Konzernstrategien zu entwickeln, die faire Arbeitswelten und hochwertiges Design vereinen.
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