Hydronblau
Der Autor mag derbe, unkaputtbare Stoffe. Seine Angewohnheit, wann immer es geht blaue Arbeitsjacken wie auf dem Bau zu tragen, lässt auf einen Spleen schließen.
Text: Geipel, Kaye, Berlin
Hydronblau
Der Autor mag derbe, unkaputtbare Stoffe. Seine Angewohnheit, wann immer es geht blaue Arbeitsjacken wie auf dem Bau zu tragen, lässt auf einen Spleen schließen.
Text: Geipel, Kaye, Berlin
Ich trage beim Schreiben praktische, bequeme Arbeitsjacken. Genauer gesagt Arbeitsjacken, wie sie in Berufen, in denen es noch staubt und schmutzt, getragen werden, von Klempnern, Heizungsmonteuren, Fliesenlegern, Gerüstbauern und Automechanikern. Ich habe ein gutes Dutzend dieser Jacken. Einige simpel genähte Blaumann-Jacken aus Baumwollköper sind darunter, wie es sie für 20 bis 30 Euro in Arbeitskleidungsläden zu kaufen gibt. Etwas Finderglück ist nötig, denn die heutigen Arbeits- und Handwerksjacken werden inzwischen häufig aus hochmodernen Funktionsmaterialen gefertigt. Sie sind dann mehrfarbig, passend zum Geschäftslogo etwa grau und rot, und meist ultrahässlich. Ich habe solche Arbeitsjacken in unterschiedlichen Blauschattierungen. Das Spektrum reicht von kräftigem Nachtschwarz über Ultramarin-, Indigo- und Hydronblau-Tönen, bis hin zu verwaschenem Babyblau. In meiner Sammlung befinden sich inzwischen auch teure Workwear-Nachbauten von französischen Modemachern, die nur noch so tun, als seien sie simple Arbeitskleidung. Laut Etikett sind sie dann zum „Made with love in Portugal“ und werden mit besonders dickem blauen Baumwolltuch auf den Maschinen einer ehemaligen Segelmacherei gefertigt. Oder sie haben auffällig gewebte, unregelmäßige Stoffmuster, wie sie mit den automatischen Kleinrundstrickmaschinen heute möglich sind und in Italien produziert werden.
Praktische Hüllen
Praktische Hüllen
Was haben Arbeitsjacken mit Architektur zu tun? Ein Argument habe ich erwähnt. Auf jeder Baustellen-Besichtigung und bei jeder Einladung zum Richtfest bin ich gegen Schmutz und Staub gut gerüstet. Besser jedenfalls als der Architekt im edlen Schwarz, der peinlich darauf achtet, keiner frisch geweißten Wand zu nahe zu kommen. Ein weiterer Vorteil: die Jacke mit ihren vier bis sieben aufgesetzten Taschen ist so praktisch wie ein kleiner Rucksack. Sie bietet jede Menge Stauraum für unterwegs. Fotoapparat, Stift, Notizbuch, Aufnahmegerät, der kleine Mini-Zollstock, den ich gern verwende – selbst ein abgefallenes Stück Schweizer Kratzputz in vorbildlich elegantem Grau oder eine puffige Scheibe Styropor lassen sich in den Tiefen der Taschen verstauen.
Das alles ist nicht neu. Joseph Beuys hatte für solche Zwecke seine ausgebeulten Allzweck-Westen. Mir stehen aber weder ärmellose Westen noch die Beuysschen Stetson-Hüte. Es stellt sich auch die Frage, ob Kleidung, die wir im beruflichen Alltag tragen, heute überhaupt noch nützlich und schmutzfest sein muss. Individuelles Stilbewusstsein hat die praktischen Fragen verdrängt, vom Architekten-Schwarz war schon die Rede. Vergessen sind die Zeiten, als Architekten während des Zeichnens halblange weiße Arbeitsmäntel trugen, offensichtlich um die Ärmel ihrer weißen Hemden vor Bleistiftstaub und Radiergummiabrieb zu schützen.
Paradoxe Botschaft
Paradoxe Botschaft
Kleidung, egal wie „normal“ sie daherkommt, übermittelt immer auch eine Botschaft ihres Trägers, und die ist individuell. Dabei gleicht die Mode einem Sprachsystem, das jeder von uns mit einer ganz eigenen Sprechweise und Färbung ausstattet – bei manchen wird ein ganzer Dialekt daraus. Dass sich dieses System inzwischen mit immer größerer Schnelligkeit verändert, wissen wir seit Roland Barthes Recherchen. In „Die Sprache der Mode“ (1967) erläutert der französische Autor, dass das Sprachsystem Mode zwar unveränderlich bleibt, dass aber das „Kleingeld seiner Worte“ regelmäßig und meist abrupt ausgetauscht wird. Heute dauert es nicht viel mehr als zwei Wochen vom Entwurf eines Kleidungsstücks über seine Produktion in China oder Bangladesch, bis es bei H&M im Laden landet.
Noch im letzten Jahrhundert war das anders. Der Fotograf August Sander konnte in seiner Serie „Menschen des 20. Jahrhunderts“ ganze Berufsgruppen aufmarschieren lassen, jede in ihrer eigenen Kluft. Und noch bis in die siebziger Jahre war das Heer der arbeitenden Bevölkerung in China in Einheitskleidung gehüllt. Roland Barthes hat 1974 eine dreiwöchige Reise durch die Fabriken Chinas gemacht, und sein Tagebuch („Jede Beschreibung kommt nicht umhin ... mit der absoluten Gleichförmigkeit der Kleidung zu beginnen“) dokumentiert, wie seine anfängliche Neugier in Enttäuschung umschlägt. Überall bekommt er auf der streng kontrollierten Reise stereotype Antworten, und nur in den Gesten eines Angestellten, der Tee serviert, entdeckt er, was ihn an der Einheitskleidung so anzieht: Dass sich unter dem Einheitslook die politisch unverfügbaren Eigenheiten des Einzelnen umso mehr abzeichnen. Heute kennt man Einheitskleidung nur aus Krankenhäusern und Gefängnissen, etwa wenn die ehemalige Pussy-Riot-Aktivistin Nadeschda Tolokonnikowa über die unsäglichen Zustände in den Nähhallen ihres sibirischen Straflagers schreibt.
Als jemand, der sich, indem er blaue Jacken trägt, für das Prinzip Einheitskleidung ausspräche, wäre ich unglaubwürdig. Den Werkzeugkasten in der Hand nimmt mir niemand ab. Aber ein schräges Lächeln erntet man schon, wenn man mit blauer Workwear-Jacke im Kudamm-Cafe-Einstein zwischen all den uniformen Business-Anzügen der Immobilienmakler ansteht, um einen Espresso-to-go zu bestellen.
Ordinariness, also Alltäglichkeit
Ordinariness, also Alltäglichkeit
Die Vorstellung, dass Kleidung nicht nur mit individueller Selbstdarstellung, sondern auch mit der größeren Idee zu tun hat, wie jeder von uns seinen Alltag gestaltet, wurde mir vor Jahren bewusst, als ich mich mit dem Werk der englischen Architekten Alison und Peter Smithson genauer auseinandersetzte. Vor allem ein Bild aus dem London der fünfziger Jahre hat mich damals umgetrieben. Das Architektenpaar hockt da auf Stühlen auf einer Londoner Vorstadtstraße. Warum mitten auf der Straße? Das Bild ist ein Statement. Die Straße ist in der Nachkriegszeit Europas der Ort, auf dem gelebt wird. Die Smithsons sind auf diesem Bild nicht allein, ihnen zur Seite sitzen der Fotograf Nigel Henderson und der Künstler Eduardo Paolozzi. Der korpulente Paolozzi trägt eine Arbeitsjacke, die mich beeindruckte. Zu sehen ist ein universales Kleidungsstück, das sicher auch damit zu tun hatte, dass Paolozzi beruflich ein Allrounder war. Er arbeitete als Bildhauer, Maler, Drucker, Zeichner, Textildesigner und Töpfer.
Das Foto wurde damals als Ausstellungsplakat für die „This is tomorrow“-Ausstellung in der Whitechapel Art Gallery verwendet. Die Smithsons, Paolozzi und Henderson beschäftigte die Frage, was „Ordinariness“ – also Alltäglichkeit – in Zukunft bedeuten könnte. Und statt sich in der Ausstellung an den hippen Objekten der sich neu formierenden Consumer Society amerikanischer Prägung abzuarbeiten – die sie durchaus interessiert hat –, schleppten die vier alle möglichen banalen Gegenstände in einen für die Ausstellung extra gestalteten Schuppen, den sie als „Pavillon“ deklarierten. Mit der vornehmen Schlichtheit eines Mies’schen Barcelona Pavillon hatte der Ausstellungspavillon der vier Künstler nichts zu tun. Das macht ihn bis heute so sympathisch. Architektur wird als Rahmen für das ganz normale Alltagsleben thematisiert: Fahrradteile, Esswaren, Fotokopien, Kleidungsstücke und Steine liegen herum, lauter prosaische aber irgendwie auch poetische Dinge, die in der Kombination deutlich machen, wie sehr der Alltag mit der Energie seiner Nutzer aufgeladen ist.
Gibt es eine Verbindung zur heutigen Wegwerfkultur? Schon die einfache Überlegung, welche Mischung an Gegenständen Paolozzi und die Smithsons heute für typisch erachten und ausstellen würden, zeigt, wie schwierig die Definition eines „Everyday Life“ längst geworden ist. Es gibt zu viele Lebensstile, die sich kaum mehr ausstellen und schon gar nicht in einer gemeinsamen Logik zusammenführen lassen. Die Frage allerdings, wie wir uns mit den Alltagsgegenständen, die uns umgeben, mehr bescheiden können, ist aktueller denn je.
Globale Kleidermärkte versus Slow Fashion
Globale Kleidermärkte versus Slow Fashion
Wenn ich mir morgens nach dem Duschen ein neues T-Shirt überziehe, müsste ich sofort ins Grübeln kommen. 2500 Liter Wasser. Das ist nicht etwa die Menge des von mir verbrauchten Duschwassers. Das ist die Menge an Wasser, die für die Herstellung jedes T-Shirts benötigt wird. Nicht nur die Verschwendung von Ressourcen ist ein Problem – die global vernetzten Kleidermärkte sind die Wegwerfbranche par excellence. In keiner anderen Konsumgüterbranche hängt der Kauf der Produkte weniger vom Verschleiß als von der Fähigkeit ab, den Konsumenten zu immer neuen Käufen anzustacheln. Im Schnitt zwölf Mal pro Jahr wechseln die großen Modeketten ihr Angebot und locken damit die Kunden. Dazu kommen die katastrophalen Arbeitsbedingungen in den Produktionsstätten, wie sie 2013 der todbringende Einsturz der Bekleidungsfabrik in Sabhar, Bangladesch, deutlich gemacht hat.
Stellen wir uns für einen Moment vor, wie es wäre, wenn wir als Folge der Digitalisierung die Produktion zurückzuholen würden, als Teil einer Slow Fashion-Bewegung mit dem Ziel, den Wegwerftrend aufzuhalten. Noch in den sechziger Jahren war das üblich. Die Köperstoffe wurden bis in die Nachkriegszeit in den Webereien der Schwäbischen Alb gefertigt, und noch ein paar Jahrzehnte früher wurde selbst die blaue Farbe über das Fermentieren der einheimischen Färberwaidpflanze gewonnen – in manchen Dörfern sieht man noch die großen mühlsteinartigen Walzen, die dafür nötig waren. Heute werden die meisten Stoffe in China produziert, ganz besonders die billigen Baumwollstoffe, und dazu zählt der Köper. Und selbst wenn die Etiketten etwas anderes aussagen und meine Designer-Arbeitsjacken ein „Made in Europa“ versprechen und angeblich in Litauen und in Portugal gefertigt wurden – meine Nachfrage bei den Modelabels war wenig ergiebig. Man verwies mich auf „Familienbetriebe“, mit denen man zusammenarbeite, konnte oder wollte aber den Ort und die Fabrik nicht nennen. Ein Grund dafür ist die übliche „Modular Production“. Meist wird im Etikett das Land verzeichnet, in dem die letzte Veredelung stattfindet. Kann ich mich also mit meinen Jacken als kritischen User outen, der dem rasenden Wandel der Mode etwas entgegensetzt? Den Umstand, dass meine ältesten Jacken seit 20 Jahren im Einsatz sind, darf ich mir zugute halten – ein, wenn auch kleines, Bekenntnis zur Slow Fashion.
Es gibt keine blaue Architektur
Es gibt keine blaue Architektur
Bleibt am Schluss die Ästhetik, die unbestreitbare Schönheit der Farbe Blau. Mir gefällt, dass Blau für Architekten ein höchst widerspenstiger Farbton bleibt, der sich bis heute nicht überzeugend kontrollieren lässt. Blaue Architektur gibt es nicht. Das lernt jeder Tourist schon beim ersten Griechenlandurlaub. Die traditionell weiß gestrichenen Häuser, häufig zitiertes Urmodell der Moderne, stehen fest verwurzelt auf dem Boden. Das Blau kommt von weit oben dazu. Es ist die Farbe des Zwischenraums, so beweglich wie ungreifbar. Allenfalls die Fensterläden dürfen blau sein, als Elemente des Übergangs zwischen Architektur und Natur.
Der Versuch, ganz selbstverständlich blaue Häuser zu entwerfen, hat nie wirklich überzeugt. Blaue Architektur wirkt wie eine Fälschung des Himmels. Auch die wenigen Fälle der jüngeren Architekturgeschichte machen keine Ausnahmen. Herzog und de Meurons schöner kleiner Erstling ihrer Karriere, das blaue Haus in Oberwil (1979), orientierte sich ganz an der Kunst: der Anstrich der Stirnfassaden hat dieselbe Konsistenz wie Yves Kleins legendäres Ultramarinblau. Die tatsächlich sehr blauen Dachaufbauten „Didden Village (2007) von MVRDV für eine Rotterdamer Familie sehen aus wie eine surreale Theaterkulisse. Und ja, es gibt Ludwig Leos Berliner Umlauftank 2 (1974). Aber auch dort wirkt das Blau der Metallblechfassade wie ein himmelartiger Hintergrund, vor dem sich der schweinchenrosa gestrichene Umlauftank um die eigene Achse dreht.
Zugegeben, das Tragen blauer Jacken ist also nicht viel mehr als ein persönlicher Spleen, so wie wie andere ihre gut gearbeiteten Kelly Bags an der Schulter schlenkern. Ein Modefimmel, wenn auch ein einfacher. Mit Gottfried Sempers komplexer Bekleidungstheorie, mit der Analogie von Frank Gehrys Bilbao-Museum und den locker geschichteten Entwürfen von Balenciaga, mit den Issey-Miyake-Plissés, die sich in einigen Bauten von Zaha Hadid 1:1 wiederfinden, hat Workwear nichts zu tun.
An meinen Arbeitsjacken ist nichts raffiniert. Die banalen Nähte kriegt noch die einfachste Industriemaschine hin, Hauptsache sie hat eine robuste Nadel, die bei der Masse an Stoff nicht bricht. Auch der Schnitt ist simpel, selbst wenn meine aktuelle Lieblingsjacke drei silberglänzende Reißverschlüsse aufweist, die so stur und senkrecht aufeinanderstehen, als wären sie mit einem Geodreieck eingenäht worden. Jean Touitou, der Designer dieser Jacke, sagt von sich und seiner Firma A.P.C., er mache „beautifully boring clothes.“ Langweilig und schön. Geht das zusammen? Ich jedenfalls mag die Mischung. Und ist nicht die Beschäftigung mit „ganz normaler Architektur“ das Thema, das wir in den zurückliegenden zwan-zig Jahren im Zeichen der weltweiten Signature Buildings aus den Augen verloren haben? Könnte „beautifully boring“ nicht auch ein überzeugen-des Konzept für den neuen Wohnungsbau sein? Langweilig dürfen die Häuser schon sein. Aber ohne ein gehöriges Maß an Schönheit ist alles nichts.
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