Bauwelt

Im Gegenüber

In der Schau „draw love build“ treten über sechzig Projekte von Sauerbruch Hutton mit ausgewählten Zeugnissen der Architekturgeschichte in den Dialog

Text: Geipel, Kaye, Berlin

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    Sauerbruch Hutton, Jessop West, Sheffield
    Foto: Jan Bitter

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    Sauerbruch Hutton, Jessop West, Sheffield

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    Ausstellungsansicht aus der Schau in der AdK
    Foto: Jan Bitter

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    Ausstellungsansicht aus der Schau in der AdK

    Foto: Jan Bitter

Im Gegenüber

In der Schau „draw love build“ treten über sechzig Projekte von Sauerbruch Hutton mit ausgewählten Zeugnissen der Architekturgeschichte in den Dialog

Text: Geipel, Kaye, Berlin

Die Akademie der Künste in Berlin hat mit ihrem von Werner Düttmann gleichsam in die Bäume des Tiergartens gehängten Veranstaltungsraum einen der schönsten Ausstellungsorte Berlins vorzuweisen. Ein von einem Sheddach bekränzter offener Raum, dem zwei kleinere als Auftakt und Abschluss zugeordnet sind. Gleich am Eingang werde ich vor die Wahl gestellt: Will ich mit IPad oder mit App durch die Ausstellung ziehen? Ich nehme beides. Auf die wechselnden Farben an den Wänden solle ich achten. „Sind wichtig für die Themen von Sauerbruch Hutton“, meint die Frau, die mir das IPad in die Hand drückt. Sie hat eine Art Leporello vor sich liegen, in dem sie jeder Farbe ein paar handschriftliche Worte zur Architektur zuweist. Selbst mit den Begriffen zu kombinieren – das ist etwas, wozu die Ausstellung über die Bauten und Entwürfe von Sauerbruch Hutton offensichtlich auch anregt.
Die Themen der Ausstellung des Berliner Büros führen unter dem Titel „draw love build – tracing modernities“ von einer vom frühen 20. Jahrhundert bis in die Gegenwart reichenden Moderne. Sie reichen von ‚Tabula Rasa‘ zu ‚Palimpsest‘, von der ‚Befreiung des Raums‘ zu ‚Komplexität‘, von der ‚Industrialisierung‘ zum ‚Bauen mit der Natur‘. Die teils widersprüchlichen Begriffe machen die Spannweite sichtbar, die die Architektur der letzten 120 Jahre zwischen der Anmaßung, „alles zu können“ und der lokalen Rückbesinnung, dabei die Prinzipien einer lebbaren Welt für 8,2 Milliarden Menschen verschüttet zu haben, durchlaufen hat. Diese Leitbegriffe sind Projekten aus 35 Jahren Entwurfsarbeit zugeordnet. Das Büro wurde Ende der 1980er Jahre von Louisa Hutton und Matthias Sauerbruch in London gegründet und praktiziert seit 1991 in Berlin.
Die Ausstellung in der Akademie ist eine Fortsetzung der Werkschau, die die beiden 2021 in ihrem kurz zuvor fertiggestellten Kunstmuseum M9 in Mestre (Bauwelt 1/2019) präsentiert haben. Hier wie dort springt eine Fülle von 60 Architekturmodellen ins Auge, angefangen von kleinen Raumanalysen bis hin zur meterlangen, minutiös nachgebauten Stabfassade (Museum Brandhorst, Bauwelt 7/2009), die von einem Staccato an farbigen Fassadenstäben getragen aus der Wand ausklappt und verlangt, berührt zu werden. Die dazu passenden Zeichnungen und Pläne hängen an den Wänden. All das wird nachvollziehbar gegliedert in einer eigens konzipierten App, die jedem Projekt einen Drei-Buchstaben-Code zuordnet, etwa HAB für Hochhaus am Alexanderplatz Berlin.
Dialog mit dem Archiv
In Berlin bekommt das Ausstellungskonzept von Mestre ein historisch-kritisches Gegenüber zur Seite gestellt. Die auf grazilen Stahlständern präsentierten Modelle werden in einer Doppelreihe von Vitrinen um Dokumente aus dem Architekturarchiv der Berliner Akademie der Künste ergänzt. Für die Archivarbeit zeichnet der Delfter Architekturprofessor Dirk van den Heuvel verantwortlich, der in Rotterdam am Nieuwe Institut auch die Weiterentwicklung des niederländischen Architekturarchivs betreut und ein wahrer Aficionado einer zeitgemäßen Archivarbeit ist. „An archive” so sein Credo, “is a set of potentialities, and as such very much alive, resonating in every respect with tendencies and events in society at large”.
Wie selbstverständlich kommt so in der Ausstellung die (Berliner) Architekturgeschichte des 20. Jahrhunderts ins Spiel. Aus dem enormen Fundus des Archivs hat sich van den Heuvel zusammen mit dem Team von Sauerbruch Hutton auf wenige Arbeiten konzentriert. Hugo Häring, Paul Goesch, Ludwig Leo, Hans Scharoun und Konrad Wachsmann werden im Dialog mit den Arbeiten von Sauerbruch Hutton in den Vitrinen präsentiert – beflügelt vom kuratorischen Gedanken, in solch einem Gegenüber sichtbar zu machen, wie sehr gesellschaftliche Umbrüche ein essenzieller Bestandteil der architektonischen Entwurfsarbeit sind. Gut Garkau etwa von Hugo Häring macht mit einer Bleistiftzeichnung von 1924 deutlich, wie eng landwirtschaftliche Produktion, dichtes Wohnen und städtische Struktur schon damals zusammengehörten, ein Konzept, das wir heute als „Productive City“ bezeichnen. Oder Ludwig Leo rosablauer Berliner Umlauftank (1974), der davon erzählen kann, wie sehr fortschrittliche Infrastrukturen in den letzten Jah-ren in Deutschland vernachlässigt wurden.
Manches sieht man in dieser Ausstellung deutlicher als noch einige Jahre zuvor. Sauerbruch Huttons legendäres Hochhaus (1999) für die GSW am Knickpunkt zwischen der Ostmoderne der Leipziger Straße, der Kreuzberger IBA und Nachkriegs-Ausfransung etwa markiert nicht nur eine dringend notwendige Reaktion auf Hans Stimmanns retro-historisierende Wiedereinführung der Blockstruktur nach 1989. Die Auftakt-Sequenz der Ausstellung stellt diesen Bau neben die große Wettbewerbszeichnung der Berliner Stadtlandschaft von Hans Scharoun und Wils Ebert von 1958. Sie zieht damit eine Linie zu den fragmentierten Stadtstrukturen von heute, die nur durch ein relationales Entwurfskonzept, das den Grünräumen gleiches Gewicht zumisst, zeitgemäße Qualitäten gewinnen kann.
Wer sich Zeit nimmt, kann in der Schau auch ökologischen Lernprozessen nachspüren, von einer technologiegetriebenen zu einer material- und bestandsorientierten Entwurfsauffassung, die Sauerbruch Hutton seit den 1990er Jahren in emblematischen Bauten umgesetzt haben. Das geschah eben nicht nur in Form von kleinen Versuchsbauten, sondern immer auch in Bauten mit großer Einprägsamkeit, wie etwa dem 2017 fertiggestellten Hamburger Holzhochhaus-Pionier Woodie mit 370 Apartments für Studierende. Das etwas rätselhafte ‚Love‘ in ‚Draw Love Build‘, so wird der Besucher schließlich aufgeklärt, steht für den sorgsamen Umgang der Architektur mit der Natur. Die Ausstellung ist eine unbedingte Empfehlung.

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