Bauwelt

Im Land der leeren Schreibtische

Die österreichische Baubranche schwächelt. Das hat auch Auswirkungen auf die Architektur – auf die Auftragslage, auf Kündigungswellen und auf zunehmend prekäre Mitarbeitskonditionen. Doch die unsicheren Zeiten bergen auch Chancen für Neues: Anfang des Jahres wurde der Kollektivvertrag für Architektinnen und Ziviltechniker um zehn Prozent erhöht. Und Ende April startete das Projekt Ateliers on Demand.

Text: Czaja, Wojciech, Wien

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Das Büro Schenker Salvi Weber bietet eine Archi-tecture Student Residency an – auch um die leeren Schreibtischplätze zu füllen.
Foto: Mark Goodwin

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Das Büro Schenker Salvi Weber bietet eine Archi-tecture Student Residency an – auch um die leeren Schreibtischplätze zu füllen.

Foto: Mark Goodwin


Im Land der leeren Schreibtische

Die österreichische Baubranche schwächelt. Das hat auch Auswirkungen auf die Architektur – auf die Auftragslage, auf Kündigungswellen und auf zunehmend prekäre Mitarbeitskonditionen. Doch die unsicheren Zeiten bergen auch Chancen für Neues: Anfang des Jahres wurde der Kollektivvertrag für Architektinnen und Ziviltechniker um zehn Prozent erhöht. Und Ende April startete das Projekt Ateliers on Demand.

Text: Czaja, Wojciech, Wien

Am Montag, den 22. April gab es im Schütte-Lihotzky-Hörsaal der TU Wien eine Podiumsdiskussion mit großem Tam-Tam und schönen Newsfür die Studierenden. Diskutiert wurde über die zum Teil prekäre Arbeitssituation unter jungen, angehenden Architektinnen, aber auch in längst schon etablierten Architekturbüros, die aufgrundder schwierigen Auftragslage und der vielen Planungs- und Baustopps vor große Herausforderungen gestellt sind. Manche Zweige innerhalb der Baubranche sind komplett zum Erliegen gekommen. Die Folge sind Kündigungen, leere Schreibtische, verwaiste Büroräumlichkeiten.
„Genau hier kommen wir ins Spiel“, sagt Fabian Wallmüller, Architekt und Vorstandsmitglied der 2001 gegründeten IG Architektur. „Denn die TU Wien hat an die 5000 Architekturstudierende, aber bloß hundert kostenlose Schreibtische in ihren Zeichensälen. Wir wissen aus der Geschich- te, wie wichtig diese Schreibtische und die damit verbundene Netzwerkarbeit und Feedback-Kultur sind. Viele Büros – ob in Wien, Graz oder Innsbruck – hatten ihre Geburtsstunde im Zeichensaal. Vieles beginnt genau hier.“
Um die Kulturlücke bei den einen und die aktuell herrschende Mitarbeiterlücke bei den anderen zu schließen, wurde das Projekt „Ateliers on Demand“ ins Leben gerufen. Architekturbüros, die von Abbau von Arbeitskräften betroffen sind und in ihren Räumlichkeiten Leerstände haben, können ihre Schreibtische Wiener Architekturstudierenden zur Verfügung stellen – und zwar temporär, kostenfrei und ohne Gegenleistung. Bislang nimmt ein Dutzend Büros an die-ser Initiative teil, darunter etwa Caramel, Dietrich Untertrifaller und Pichler & Traupmann Architekten.
„Es ist eine Win-Win-Situation für beide Seiten“, meint Wallmüller. „Die Studierenden können sich ein Netzwerk aufbauen und in die rea-le Architekturwelt da draußen reinschnuppern, die Arbeitgeber*innen wiederum profitieren von einem direkten Kontakt zur Universität und ihren aktuellen Lehrinhalten und Fragestellungen – und können im besten Fall ihre eigenen Mitarbeiter*innen von morgen mitformen.“ Beabsichtigt ist eine Teilnahme von bis zu fünfzig Büros und etwa 200 kostenlosen Schreibtischen.
Das Konzept von Ateliers on Demand ist nicht neu, sondern basiert auf der sogenannten Architecture Student Residency, die Schenker Sal-vi Weber Architekten seit Anfang 2023 anbietet. „Wir hatten vier leere Schreibtische und hatten die Idee, diese Architekturstudierenden kosten-los zur Verfügung zu stellen“, erzählt Partner Michael Salvi. „Dadurch können wir den jungen Leuten einen Einblick in die Berufspraxis geben, sie können unsere Infrastruktur nutzen, können an unseren Jour fixes teilnehmen, wenn sie das möchten, und haben auch die Möglichkeit, sich für ihre Projekte und Diplomarbeiten bei uns Feedback einzuholen.“ Im Gegenzug, so Salvi, profitiere das Büro von einer unmittelbaren Nähe zur Ausbildung. Man bekomme mit, wie die nächste Generation tickt und mit welchen Themen sie sich beschäftigt.
Auftragslage
„Wissensverknüpfungen und Zusammenarbeiten zwischen Universität und Berufswelt waren immer schon wichtig, daher finde ich diese Initiative schön“, sagt Karin Stieldorf, Leiterin des Universitätslehrgangs Nachhaltiges Bauen und Organisatorin des jährlich stattfinden Planerforum Architektur an der TU Wien. „Früher erfolgte die Zusammenarbeit zwischen Uni und Berufswelt oft in den ersten Jobs, die die Studierenden angenommen haben. Doch die Situation hat sich in den letzten zehn, zwanzig Jahren stark verändert. Solange das Studium noch nicht abgeschlossen ist, gibt es in den meisten Fällen keine Anstellung. Dazu ist die Auftragslage derzeit zu vola-til, zu wenig langfristig planbar.“ Die Folge: Viele Studierende landen in der Gastronomie oder in Neben- und Saisonjobs, die meist besser entlohnt werden als ein klassisches Praktikum im Architekturbüro.
Noch dramatischer ist die Situation im ländlichen Raum. An der Kunstuniversität Linz beispielsweise gibt es viele Studierende, die aus Oberösterreich, Niederösterreich und Salzburg einpendeln. „Gerade im ländlichen Raum müs-sen sich junge Leute viel früher selbst erhalten können als in der Stadt“, meint Sabine Pollak, Leiterin des Lehrgangs raum & designstrategien an der Kunstuni Linz. „Die Leute müssen arbei-ten, um sich finanziell über Wasser zu halten. Die meisten davon arbeiten halbtags, dadurch haben sie kaum noch Zeit und Energie, um sich in vollem Umfang aufs Studium einzulassen. Es ist verdammt schwierig, einen Studenten, eine Studentin nach einem Arbeitstag wieder in die Atmosphäre eines konzeptionellen Projekts zurückzubringen.“
Hinzu kommt, so Pollak, dass es kaum noch jene kleinen Projekte gebe, mit denen sich die angehenden Architektinnen früher die Hörner abstoßen und erste berufliche, kreativwirtschaftliche Erfahrungen sammeln konnten: Einfamilienhäuser, kleine Geschäftslokale, Bars, Cafés, Concept-Stores, Ausstellungsgestaltungen oder etwa temporäre Installationen im öffentlichen Raum. „Dieser Markt ist komplett weggebrochen. Daher gibt es auch nicht mehr so viele Pioniere und Jungbüro-Gründungen wie noch in den 1990er und 2000er Jahren. Das ist sehr schade.“
Zehn Prozent
Abhilfe schafft immerhin der sogenannte Kollektivvertrag, der in Österreich vor allem im Bereich von Mindestlöhnen, Grundgehältern und Arbeitnehmerrechten Ordnung schafft und der Anfang 2024 neu verhandelt wurde, was den angestellten Architektinnen einen Lohnanstieg von zehn Prozent eingebracht hat. „Ich gönne dasjedem Architekten, jeder Architektin, aber für uns Arbeitgeber war das ein großer Schritt dieses Jahr“, sagt Michael Anhammer, Gründungspartner bei Franz & Sue, das mit rund 100 Mitarbeiterinnen – abgesehen von riesigen Ingenieurbüros wie etwa Delta oder ATP – aktuell zu den größten Architekturbüros Österreichs zählt.
„Im Gegensatz zu früher können wir es uns nicht mehr leisten, Menschen ohne Kollektivvertrag anzustellen, das ist die Basis für alles“, so Anhammer. Mit einem abgeschlossenen Studium ist man in Österreich automatisch in der 4. Gehaltsstufe, als leitender Angestellter steigt man in die 5. Stufe auf, als Büroleiterin in die 6. „Je nach Kompetenz und Erfahrungsschatz sind Überbezahlungen bis zu zehn Prozent über dem Kollektivvertrag üblich. Noch mehr überbezahlen können und wollen wir nicht, denn bei einem Büro mit insgesamt 100 Mitarbeitern müssen wir darauf achten, dass das Gesamtsystem in einer stimmigen Balance ist.“
Das Gute, so Anhammer, sei die Tatsache, dassdie meisten Büros, die gute Auftragslagen hätten, auf der permanenten Suche nach ausgebildeten Arbeitskräften seien. „Es ist ein arbeitnehmergetriebener Markt. Diejenigen, die zum Bewerbungsgespräch kommen, haben die Wahl. Man muss sich also ganz schön anstrengen, um sich als attraktiver Arbeitgeber zu positionieren. Für die Arbeitskultur im Bereich Architektur ist das eine großartige Entwicklung, denn bis auf ein paar schwarze Schafe in der Branche gibt es heute nicht mehr den Zynismus und die Ausbeutungsnormalität, mit der meine Generation nach dem Studium noch konfrontiert war.“
Doch auch hier gilt: Solange der Master oder Diplom-Ingenieur noch nicht in der Tasche ist, muss man sich mit einer schlechten Entlohnung begnügen, auch in so etablierten Büros wie Franz & Sue. „In der Regel starten wir mit einem maximal sechsmonatigen Berufspraktikum und schließen mit den Leuten einen Ausbildungsvertrag ab, mit dem man monatlich auf knapp 1000 Euro brutto kommt. Ich finde das fair, denn gerade in den ersten Monaten – frisch nach dem Studium – ist der Job ein Geben und Nehmen, ein Lernen und Wachsen, ein Miteinan-der, wo beide Seiten Zeit und Energie investieren müssen.“ Und danach? „Nach sechs Monaten setzen wir uns mit den Praktikant*innen an den Tisch und sprechen darüber, wie es weitergehen kann.“ Und ja, manchmal lautet das Ergebnis dieser Verhandlungen: Kollektivvertrag, Stufe 3. Es gibt Hoffnung.

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