Bauwelt

Joan of Architecture

Phyllis Lambert zum 95. Geburtstag

Text: Schulz, Bernhard, Berlin

Joan of Architecture

Phyllis Lambert zum 95. Geburtstag

Text: Schulz, Bernhard, Berlin

Mit einem einzigen Brief hat sie Architekturgeschichte geschrieben, einem immerhin acht eng beschriebene Seiten langen Dokument: Phyllis Lambert. Die Tochter des Whisky-Magnaten Samuel Bronfman schrieb ihn am 28. Juni 1954 in Paris an ihren beruflich zwischen Montreal und New York City pendelnden Vater, der dabei war, für sein expandierendes Unternehmen ein neues Bürogebäude an New Yorks exklusiver Park Avenue zu errichten. Es waren bereits Architekten an der Arbeit – aber was folgte, ist Geschichte: dass nämlich Phyllis Lambert mit dem Appell an ihren Vater („Du musst ein Gebäude errichten, das das Beste der Gesellschaft repräsentiert, in der Du lebst“) erfolgreich war, sie in der Folge Ludwig Mies van der Rohe als Architekt ausguckte und dieser tatsächlich mit einem neuen Entwurf beauftragt wurde. 1959 dann war das Seagram Building fertiggestellt, schon zu diesem Zeitpunkt eine Ikone der Moderne und bis heute das wohl schönste Hochhaus der Nachkriegszeit.
Der Weg dorthin war nicht einfach; Phyllis Lambert hat ihn in 2013 einem Buch minutiös dargestellt. Gänzlich uneitel zeichnet sie in „Building Seagram“ die Widerstände nach, die sie und vor allem Mies van der Rohe zu überwinden hatten, um dessen Entwurf Wirklichkeit werden zu lassen. Es war der Tochter nicht an der Wiege gesungen worden. In der Geschäftswelt zählten für Samuel Bronfman die Söhne, die die Firma einst übernehmen sollten, während die 1927 geborene Tochter ihren künstlerischen Neigungen nachgehen durfte. Frisch verheiratet, lebte sie einige Jahre in Paris als Bildhauerin und ließ sich wieder scheiden, just als das Bauvorhaben ih­-res Vaters Gestalt annahm. Da hatte sie ihre Berufung gefunden. Sie kehrte nach Amerika zurück, baute an der Seite von Mies das Firmenhochhaus und absolvierte nach dessen Fertigstellung ein Studium der Architektur, das sie in Chicago abschloss.
Im heimatlichen Montreal baute Lambert ein Kulturzentrum im Formenvokabular von Mies, später wandte sie sich der Erhaltung des architektonischen Erbes der Stadt zu. Kurzerhand erwarb sie eine zum Abriss bestimmte Gründerzeitvilla, die den Kern des 1979 von ihr begründeten Canadian Centre for Architecture bildete, das sie zwanzig Jahre lang leitete. Danach erarbeitete sie die 2001 gezeigte Ausstellung „Mies van der Rohe in America“, zu der sie den 700 Seiten starken Katalog beisteuerte. Mies war und blieb der Fixstern in ihrem Leben. Mit zahlreichen Preisen wurden Phyllis Lambert geehrt, darunter 2014 mitdem Goldenen Löwen für ihr Lebenswerk von der Biennale von Venedig. Am 24. Januar feiert die „Joan of Architecture“, als die sie im Titel eines Dokumentarfilms anspielungsreich bezeichnet wurde, ihren 95. Geburtstag.

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