Bauwelt

Kadın Mimar

Das Goethe-Institut in der Türkei hat Teile der deutschen Frau Architekt-Ausstellung des DAM neu zusammengestellt und um die Por­träts von neun türkischen Architektinnen ergänzt. Im Fokus stehen Frauen, die die Architektur ihres Landes entscheidend mitgeprägt haben oder aber mit ihrer Arbeit aktuell wichtige Akzente setzen.

Text: Scheffler, Tanja

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    Semra und Özcan Uygur planen vor allem Bildungs- und Kulturbauten. Sie haben – neben dem neuen Konzertsaalgebäude des Symphonieorchesters – auch den kompletten Campus des TED Ankara Kol­legs mit dem neuen Zentrum für Darstellende Künste entworfen.
    Foto: Cemal Emden/Uygur Mimarlık

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    Semra und Özcan Uygur planen vor allem Bildungs- und Kulturbauten. Sie haben – neben dem neuen Konzertsaalgebäude des Symphonieorchesters – auch den kompletten Campus des TED Ankara Kol­legs mit dem neuen Zentrum für Darstellende Künste entworfen.

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    Melike Altınışıks bekanntestes Bauwerk ist der futuristisch-elegante Radio- und Fernsehturm in Istanbul.
    Foto: naaro/Melike Altınışık Architects

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    Melike Altınışıks bekanntestes Bauwerk ist der futuristisch-elegante Radio- und Fernsehturm in Istanbul.

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    Mualla Eyüboğlu Anhegger restaurierte 1961–71 den umfangreichen Harems­trakt des Topkapi-Palasts
    in Istanbul.
    Foto: Hitit Güneşi. Mualla Eyuboğlu Anhegger (2003), S. 135

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    Mualla Eyüboğlu Anhegger restaurierte 1961–71 den umfangreichen Harems­trakt des Topkapi-Palasts
    in Istanbul.

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    Melkan Gürsel und Murat Tabanlıoğlu entwarfen den türkischen Pavillon für die Expo 2000 in Hannover.
    Foto: SLUB/Deutsche Fotothek/Henrik Ahlers

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    Melkan Gürsel und Murat Tabanlıoğlu entwarfen den türkischen Pavillon für die Expo 2000 in Hannover.

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    Semra und Özcan Uygur entwarfen das neue zum Atatürk-Kulturzentrum in Ankara gehörende Konzertsaalgebäude des Symphonieorchesters des Präsidenten der Republik (1992–2020).
    Foto: Pressebüro des türkischen Ministeriums für Kultur und Tourismus/Uygur Mimarlık

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    Semra und Özcan Uygur entwarfen das neue zum Atatürk-Kulturzentrum in Ankara gehörende Konzertsaalgebäude des Symphonieorchesters des Präsidenten der Republik (1992–2020).

    Foto: Pressebüro des türkischen Ministeriums für Kultur und Tourismus/Uygur Mimarlık

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Kadın Mimar

Das Goethe-Institut in der Türkei hat Teile der deutschen Frau Architekt-Ausstellung des DAM neu zusammengestellt und um die Por­träts von neun türkischen Architektinnen ergänzt. Im Fokus stehen Frauen, die die Architektur ihres Landes entscheidend mitgeprägt haben oder aber mit ihrer Arbeit aktuell wichtige Akzente setzen.

Text: Scheffler, Tanja

Das in Ankara von Semra und Özcan Uygur entworfene Konzertsaalgebäude des CSO-Symphonieorchesters des Präsidenten der Republik (Cumhurbaşkanlığı Senfoni Orkestrası) gehört zu den wichtigsten türkischen Prestigeprojekten der letzten Jahrzehnte. Der Gebäudekomplex liegt im Zentrum der Hauptstadt, in der Mitte der zentralen Achse zwischen der historischen Burg und dem Mausoleum des Staatsgründers Mustafa Kemal Atatürk. Als der aktuelle Präsident Recep Tayyip Erdoğan die Konzerthalle – die auf einen Wettbewerb des Jahres 1992 zurückgeht – im Dezember letzten Jahres zusammen mit dem türkischen Minister für Kultur und Tourismus feierlich einweihte, war das projektleitende Architektenpaar nicht eingeladen. Auch in den offiziellen Pressemitteilungen, die dieses Bauwerk durchweg als architektonisches Meisterwerk darstellen, wurden sie nicht erwähnt. Ein kurzer Social-Media-Hinweis des Architekturbüros am Tag der Eröffnung („Nach langer Zeit wird der Konzertsaal eröffnet, … wir werden das Konzert mit unseren eigenen Tickets sehen“), der sofort von vielen Kollegen und Kolleginnen weiterverbrei­tet wurde, führte dazu, dass Semra und Özcan Uygur kurz vor der Zeremonie doch noch ein­geladen wurden.
Diese Begebenheit wirft, weil der Hauptfokus der offiziellen architekturspezifischen Berichterstattung in der Türkei aktuell scheinbar vor allem auf den feierlichen Grundsteinlegungs- und Eröffnungszeremonien liegt, ein bezeichnendes Schlaglicht auf die dadurch (auch international) fehlende Wahrnehmung der an diesen prestigeträchtigen Bauten beteiligten Architektinnen und Architekten. Der vom Goethe-Institut neu zusammengestellte türkische Teil der Kadın Mimar/Frau Architekt-Ausstellung, die in diesem Sommer in Istanbul als Schautafel-Präsentation gezeigt wurde, kann mit durchweg interessanten, von der deutschsprachigen Fachpresse bislang weitestgehend übersehenen Frauen aufwarten. Die weiteren Stationen der Wanderschau sind pandemiebedingt schwierig zu planen, bis zum 31. Dezember gibt es auf dem Türkei-Länderportal der Goethe-Institute eine Online-Ausstellung mit den wichtigsten Informationen zu den vorgestellten Architektinnen und ihren Bauten.
Dafür wurden neun türkische Architektinnen aus verschiedenen Generationen ausgesucht, die eine Bandbreite unterschiedlicher Karrierewege aufweisen und exemplarisch – mit deutschen Pendants als Vergleichsfolie – die beruflichen Möglichkeiten und auch Projekte der jeweiligen Zeit veranschaulichen. Dabei kann man einige länderübergreifende Parallelen erkennen. Viele der vorgestellten Frauen stammen aus gut situierten Elternhäusern, haben renommierte Kaderschmieden im Ausland besucht oder zeitweise im Ausland gearbeitet, verfügen über umfangreiche Netzwerke oder aber akquirieren ihre Projekte über Wettbewerbe.
Wenn es um den Modernisierungs- und Nationenbildungsprozess der Türkei seit der Republikgründung (1923) und die damit verbundenen neuen Bauaufgaben geht, wird man immer wieder an vergleichbare Entwicklungen in der DDR und anderen sozialistischen Ländern erinnert. Die Stellung der Frau innerhalb der Gesellschaft und ihre Berufschancen veränderten sich mit den kemalistischen Reformen grundlegend. Frauen hatten bereits 1926 das aktive, 1934 das pas-sive Wahlrecht – deutlich früher als in Frankreich oder der Schweiz. Unter Atatürk wurde ein neu­es weibliches Idealbild propagiert, das der pro-westlichen, modern gekleideten und gut aus­gebildeten türkischen Frau, die am öffentlichen Leben teilnimmt und dort als gleichberechtigte Partnerin ihres Mannes auch sichtbar ist. Laut den Diskussionsveranstaltungen der Ausstellung prägte dieses Frauenbild, obwohl es sich damals nicht überall durchsetzen konnte, mehre­re Generationen von vor allem großstädtischen Frauen der Mittel- und Oberschicht, mit erstaunlichen Ergebnissen: Ende 2020 waren von den 63.628 Mitgliedern der türkischen Architektenkammer 29.453 weiblich (46 Prozent). Dagegen wirkt der aktuelle Frauenanteil (36 Prozent) der deutschen Bundesarchitektenkammer eher bescheiden.
Die erste Frau, die in der Istanbuler Architektenkammer eingetragen wurde, war Leman Cevat Tomsu (1913–1988). Später war sie im Istanbuler Stadtplanungsamt unter Martin Wagner tä­-tig und unterrichte ab 1941 Architektur, nach ihrer Promotion ab 1959 als Professorin. Parallel da­zu war sie als freiberufliche Architektin bei Wettbewerben erfolgreich und wurde in den 1930er Jahren vor allem durch ihre Volkshäuser für Atatürks Republikanische Volkspartei (CHP) in kleineren Orten wie Gerede und Emirdağ sowie das Gemeindezentrum in Kayseri bekannt. Tomsus frühe Projekte haben eine im Stil des damaligen türkischen Zeitgeistes moderne Sprache, ab den 1940er Jahren sind traditionellere Entwurfs­ansätze erkennbar.
Eine der vielseitigsten frühen Architektinnen war Mualla Eyüboğlu Anhegger (1919–2009). Sie wurde nach dem Architekturstudium zur Leiterin der „Bauabteilung“ des Dorfinstitutes Hasano­ğlan in der Nähe Ankara ernannt und plante danach weitere Dorfinstitute in Eskişehir, Aydın, Kayseri und Erzurum. Diese in ländlichen Regionen angesiedelten Einrichtungen waren eine Kombination aus Dorfschule, interdisziplinärer Ausbildungsstätte und Krankenstation. Eyübo­-ğlu unterrichtete hier teilweise auch bauspezifische Fächer, realisierte mit ihren Schülern wei­tere Gebäude in den Dörfern und beschäftigte sich intensiv mit der überlieferten Kultur. Ab 1948 arbeitete Eyüboğlu in der Akademie der Schönen Künste in Istanbul im Bereich des Städtebaus und nebenher bei den Ausgrabungen in Ephesos mit. Später war sie in ganz Anatolien an der Restaurierung und Rekonstruktion historischer Bauten beteiligt und leitete ab 1961 in Istanbul zehn Jahre lang die Restaurierung des riesigen und verschachtelten Haremstrakts im Topkapi-Palast (Topkapı Sarayı).
Die erste Generation weiblicher Architekten in der Türkei hatte meist öffentliche Aufträge oder war in staatlichen Planungsabteilungen beschäftigt. Einige der ersten Absolventinnen arbeite­ten sogar direkt für Atatürks Republikanische Volkspartei. Die in größeren Planungsbüros tätigen Frauen konnten sich durch ihre anonyme Entwurfsarbeit jedoch meist keinen Namen machen. Die erste türkische Architektin, die ein eigenes Büro betrieb, war Neyyire Perran Doğancı (1928–2013). Ihr erster Auftrag war das Privattheater (1955) des Schauspielers Muammer Karaca. Danach baute sie nahezu fünfzig Jahre lang vor allem Wohnhäuser, Bürogebäude und Schulen. Sevinç Tüjüment Hadi (*1934) arbeitete in den frühen 1960ern zeitweise in Stuttgart und erforschte nach ihrer Rückkehr in die Türkei die antiken Felsenbauten in Göreme. Danach entwarf sie zusammen mit ihrem Mann Şandor Ha­-di Wohn- und öffentliche Bauten. Das bekanntesten Projekte ist die Bibliothek der Boğaziçi Universität und die Generaldirektion der Nationalen Rückversicherung in Istanbul, die sie nach dem Tod ihres Mannes alleine realisierte. Diese ersten Architektinnen wirkten mit ihren Projekten, weil sie unterrichteten und immer öfter auch in Entscheidungsgremien saßen, wie ein Türöffner für die nachfolgenden Frauen.
Nuran Ünsal (*1951) wurde vor allem durch die zusammen mit Merih Karaaslan in der zen­tralanatolischen Steppe bei Nevşehir errichtete Peri Tower Hotelanlage bekannt. Semra Uygur (*1956) betreibt zusammen mit ihrem Mann Özcan Uygur seit mehr als 35 Jahren ein Architekturbüro in Ankara, das sich auf Kultur- und Bildungsbauten wie das Konzertsaalgebäude des Symphonieorchesters und den Campus des TEDAnkara Kollegs (Seite 6) spezialisiert hat. Als in Istanbul geplant war, im Zuge der Verbes­serung der Erdbebensicherheit viele staatliche Schulen neu zu errichten, lehnten es die Uygurs ab, dafür einen einheitlichen Gebäudetyp zu entwickeln und legten stattdessen flexible modu­lare Gestaltungsprinzipien fest. Damit konnten sie 44 ganz unterschiedliche, auf die sich ver­ändernden Standorte und Schulgrößen zugeschnittene Gebäude realisieren, die alle eine wiedererkennbare gestalterische Linie und angenehme räumliche Atmosphäre haben.
Semra Teber Yener (*1956) arbeitete zehn Jah­re lang in Paris und gründete, nachdem sie 1991 den Wettbewerb zum „Ankara City Entrance“ gewonnen hatte, ihr eigenes Büro Tektonika. Sie war an vielen großen stadtplanerischen Projekten beteiligt, an Wohnsiedlungen in Ankara, der Stadterneuerung in Istanbul, an mehreren Wissenschaftsparks und Hochschulgeländen, und plante dabei auch Bildungs-, Kultur- und Bürogebäude, Einkaufszentren und Wohntürme.
Einige der Architektinnen sind auch international erfolgreich. Melkan Gürsel (*1970) wurde 1995 Partnerin bei Tabanlıoğlu Architects und war in den letzten Jahren für viele größere Neubauprojekte wie z.B. das Dakar Kongresszentrum verantwortlich. Sie betreute auch die sensible Restaurierung der Bibliothek Beyazıt, die zur ältesten Moschee Istanbuls gehört. Dabei wurde das Innere neu strukturiert und der Innenhof mit einer Membrankonstruktion überdeckt, die das Tageslicht filtert und so für eine kontrollierte Raumatmosphäre sorgt.
Melike Altınışık (*1980) studierte in Istanbul und London, gründete später ihr eigenes Bü­ro, gehörte aber davor schon, bereits 2011 beim Wettbewerb zum neuen Telekommunikationsturm am Bosporus, der eine größere Anzahl alter Funkmasten ersetzt, zu den ersten drei Preisträgern und wurde dafür später auch als entwurfsbestimmende projektleitende Architektin engagiert. Der 369 Meter hohe Turm auf dem Çamlıca-Hügel wird mit seiner organisch-skulpturalen Silhouette fortan das Bild der Stadt entscheidend mitbestimmen und ist gleichzeitig auch eine touristische Attraktion. Denn er beherbergt auch ein zweistöckiges Panoramarestaurant und eine offene Aussichtsplattform. Außerdem gibt es im hügelartigen Sockelbau ein Café mit Event- und Ausstellungsflächen. Für Altınışıks nächstes Projekt, das Robot Science Museum in Seoul, das sich mithilfe von Robotern und Drohnen selbst erbauen soll, wurde der Grundstein in diesem Jahr bereits gelegt.
Die Ausstellung schafft den Spagat, den neun aus der deutschen Frau Architekt-Ausstellung ausgewählten Frauen überaus spannende türkische Pendants zur Seite zu stellen und so Interesse für ihr Wirken zu wecken. Dabei kann man auch die Grenzen des gender-spezifischen Ansatzes erkennen. Denn bei vielen der vorgestellten Projekte wünscht man sich mehr Hintergrundinformationen und eine stärkere Einordnung in das türkische Baugeschehen der jewei­ligen Zeit. Die Ära, in der Frauen, wenn sie wahrgenommen werden wollen, ihre Wettbewerbs­erfolge, Projekte und Architekturpreise – wie bei einem Bewerbungsschreiben – auflisten müssen, sollte eigentlich vorbei sein. Es wird höchste Zeit, dass sie endlich ein integraler Bestandteil der Architekturgeschichte werden und dort mit ihren Bauten auch erwähnt werden, nicht nur als Erfolgsstory einer weiblichen Karriere.

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