Kulturpreis-Architektur und das damit verbundene Unbehagen
Auf Bunker Hill am Nordrand der Downtown ballen sich die Kultureinrichtungen wie ein paar hundert Meter weiter die Büro- und Apartmenttürme. Doch auch mit Blick auf seine Kultureinrichtungen ist Los Angeles eine Stadt mit vielen Brennpunkten und Entwicklungsräumen. Der ambitionierteste Neubau ist die Erweiterung des Los Angeles County Museum of Art (LACMA) durch Peter Zumthor.
Text: Dimendberg, Edward, Irvine (USA)
Kulturpreis-Architektur und das damit verbundene Unbehagen
Auf Bunker Hill am Nordrand der Downtown ballen sich die Kultureinrichtungen wie ein paar hundert Meter weiter die Büro- und Apartmenttürme. Doch auch mit Blick auf seine Kultureinrichtungen ist Los Angeles eine Stadt mit vielen Brennpunkten und Entwicklungsräumen. Der ambitionierteste Neubau ist die Erweiterung des Los Angeles County Museum of Art (LACMA) durch Peter Zumthor.
Text: Dimendberg, Edward, Irvine (USA)
Jede Stadt hat eine Neurose, die ihre Identität prägt. In Los Angeles ist es sicherlich die Angst, als verlogen, als kulturelle und intellektuelle Wüste zu gelten, die das Leitmotiv ihres Selbstverständnisses bildet. Obwohl die Los Angeles Philharmonic bereits 1919 gegründet wurde, die Stadt 1939 über 100 Buchhandlungen verfügte, führende Universitäten und Forschungseinrichtungen bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts für intellektuelles Renommee sorgten und unzählige bedeutende Gelehrte, Wissenschaftler, Künstlerinnen, Architekten und Schriftstellerinnen die Stadt ihr Zuhause nannten, ist der Glaube, sie sei im Grunde oberflächlich und kaum mehr als ein Zentrum seichter Massenkultur oder schlicht Mittelmäßigkeit, nur schwer zu erschüttern. Los Angeles leidet unter einem permanenten Minderwertigkeitskomplex und ist wie Berlin, zu dem es erstaunliche Parallelen aufweist, eine Stadt im Werden, immer auf der Suche nach dem nächsten großen Ding, das sie endlich in die Riege der großen Metropolen katapultiert.
In einem solchen Umfeld, in dem es darauf ankommt, Aufmerksamkeit zu erregen, spielt die Architektur kultureller Einrichtungen eine heraus-ragende Rolle. Paradoxerweise leidet die Stadt trotz der Aufmerksamkeit, die neue Museen auf sich ziehen, derzeit an einem Mangel an öffentlichem Raum für Diskussionen über die gebaute Umwelt. Die Zeitung Los Angeles Times hat keine Architekturkritik, und die Universitäten und Berufsverbände haben es versäumt, sinnvolle öffentliche Diskussionen über die Ziele zu führen, denen Kulturarchitektur dienen könnte oder sollte. Als derfrühere Bürgermeister die Stelle eines Stadtplanungsamtsleiters schuf, gab es wenig konkrete Ergebnisse. In Berlin, London oder Paris sieht man überall in der U-Bahn Werbung für die neuesten Kulturveranstaltungen. In Los Angeles hängen langweilige Plakate für Konzerte oder Kunstausstellungen an den Laternenmasten.
Bis heute ist das Getty Center die markanteste und eindrucksvollste der großen Kultureinrichtungen, wie eine Festung thront es neben dem San Diego Freeway. Die einheitlich weißen Fassaden von Richard Meier und der homogen gestaltete Campus mögen an ein Krankenhaus erinnern, haben aber der Popularität der Institution als beliebtestes Kulturziel der Stadt keinen Abbruch getan. Dennoch kann man das Getty nicht einfach so besuchen. Mit öffentlichen Verkehrsmitteln ist es schwierig zu erreichen, und die Lage im Westen der Stadt sowie das manchmal umständliche Parken und die Fahrt vom Parkhaus mit der Besucherbahn nach oben können viel Zeit in Anspruch nehmen. Bequemer zu erreichen ist das Hammer Museum in Westwood, das in einem mausoleumartigen Gebäude untergebracht ist, das kürzlich von Michael Maltzan, dem wohl vielseitigsten lokalen Architekten seiner Generation, um einen subtilen und lebendigen Anbau erweitert wurde.
Im Stadtzentrum bietet die Grand Avenue ein konzentriertes Kulturangebot. Frank Gehrys Disney Hall bildet den Mittelpunkt dieses Häuserblocks und ist zu einem Wahrzeichen der Stadt geworden. Die Architektur – eindeutig von Hans Scharouns Berliner Philharmonie inspiriert – ist bei Besucherinnen und Einheimischen gleichermaßen beliebt, und kaum jemand hat etwas an dem Innengarten oder der Akustik auszusetzen. Weit weniger bekannt ist der Umbau einer Bank im überwiegend von Schwarzen und Latinos bewohnten Inglewood durch Gehry Partners zur Heimat des Youth Orchestra of Los Angeles (YOLA) unter der unermüdlichen Leitung seines Chefdirigenten Gustavo Dudamel. Auch wenn es sich hierbei nicht um den kühnsten Entwurf des Architekten handelt, ist es doch ein seltenes und bewundernswertes Beispiel dafür, wie eine kulturelle Einrichtung in einem benachteiligten Viertel Fuß fasst – ein Paradigma, das es in den letzten Jahrzehnten kaum gegeben hat.
Das Programm der Los Angeles Public Library, talentierte lokale Architekten und Architektinnen mit der Gestaltung von Stadtteilbibliotheken zu beauftragen, wie z.B. Ehrlich Associates in Westwood oder HED + Johnson Favaro in Manhattan Beach, ist eine bemerkenswerte Erfolgsgeschichte.
Das neben der Disney Hall gelegene Broad Museum von Diller Scofidio + Renfro (Bauwelt 43.2015) präsentiert seine Sammlung zeitgenössischer Kunst mit viel Geschick. Die Programme des Museums stoßen auf große Resonanz bei den jüngeren Besuchern. Derzeit plant das New Yorker Büro eine Erweiterung auf der Rückseite, mit deren Bau in Kürze begonnen werden soll.
Auf der gegenüberliegenden Straßenseite erfüllen Arata Isozakis Museum für zeitgenössische Kunst und Gehrys Coburn Music Centre (derzeit im Bau) den Wunsch des verstorbenen Philanthropen Eli Broad, die Stadt durch ein konzentriertes Kulturzentrum zu stärken. Trotz des Baus einer neuen U-Bahn-Haltestelle in der Nähe des Blocks sind die vorläufigen Ergebnisse wenig überzeugend.
Im nahe gelegenen Arts District ist der Fußgängerverkehr deutlich stärker. Die Hauser & Wirth Gallery ist der Motor dieses Viertels mit seinen zahlreichen Galerien und Restaurants, ein lokaler Vorposten (es gibt einen weiteren in West Hollywood) des globalen Galerie-Archipels. Sie befindet sich in einer ehemaligen Getreidemühle, die von Creative Space LA mit Selldorf Architects restauriert wurde, und vereint makellose Galerien, in denen Ausstellungen von musealer Qualität gezeigt werden, mit einem öffentlichen Platz, auf dem Veranstaltungen stattfinden können, einem Restaurant, einer Buchhandlung und einem Garten. Es ist nicht überraschend, dass in einer Stadt, in der viele kulturelle Aktivitäten von einem enormen Reichtum getragen werden, eine private Institution das einzige wirklich neue institutionelle Modell für die Künste in der Stadt geschaffen hat.
Wer sich in Los Angeles für Kulturarchitektur interessiert, schaut derzeitauf den Baufortschritt des von Peter Zumthor entworfenen Gebäudes für das Los Angeles County Museum of Art (LACMA), das im April 2026 eröffnet werden soll. Es steht neben dem Museum Academy of Motion Picture Arts and Sciences von Renzo Piano Building Workshop (Bauwelt 25.2021) und dem Resnick Pavilion für das Kunstmuseum. Für den Bau mussten mehrere Gebäude von William Pereira abgerissen werden, einem Architekten mit einem Werk ohne große Besonderheiten, das jedoch einen schlichten Charme vermittelt und etwas von den bürgerlichen Ambitionen der Stadt am Ende des 20. Jahrhunderts spiegelt.
Zumthors riesiges, amöbenartiges Gebäude, das an den organischen „Nie-rentisch“-Stil der 1950er Jahre erinnert, überquert provokativ den Wil- shire Boulevard und wird 20.438 Quadratmeter Ausstellungsfläche umfassen, von denen ein Großteil freie Blickachsen über die Galerien hinweg bietet. Der Entwurf spiegelt eine museologische Philosophie der „universellen Kunstgeschichte“ wider, die es vermeidet, Kunst nach nationalen Traditionen auszustellen, und stattdessen chronologische oder thematische Ansätze verfolgt, um provokative Konfrontationen zu schaffen. Die-ser Ansatz, über den bereits viel diskutiert wurde, wird wahrscheinlich die Aufmerksamkeit auf bisher vernachlässigte Stärken der LACMA-Sammlung lenken, wie z.B. die weltweit führenden Bestände an asiatischer Kunst, was sicherlich zu begrüßen ist.
Seit seiner Konzeption im Jahr 2020 hat das Gebäude heftige Polemiken ausgelöst und Befürworter gegen Kritikerinnen aufgebracht. Die Entscheidung des LACMA-Direktors Michael Govan, den Schweizer Architekten zu beauftragen, ist nach wie vor umstritten und wird von vielen als anmaßend empfunden. Die Kultur der Architekturwettbewerbe, die zum Opernhaus von Jørn Utzon in Sydney oder zum Centre Pompidou von Richard Rogers und Renzo Piano führte, spielte bei seiner Wahl keine Rolle, obwohl es einen Protestwettbewerb gab. Budgetüberschreitungen und die unerwartete Notwendigkeit, das Fundament zu verstärken, führten zu Verzögerungen und erhöhten den Preis auf 750 Millionen Dollar – Tendenz steigend. In einem bemerkenswerten Geständnis, das im Oktober 2023 in der New York Times veröffentlicht wurde, beklagte der Architekt, dass nach ständiger Wertanalyse und Budgetkürzungen „kein Zumthor-Detail“ in seinem Entwurf übrig geblieben sei. Diese Behauptung wurde von Govan energisch bestritten, vielleicht aus Sorge um die Reaktion des Sponsors, David Geffen.
Heute wimmelt es in Los Angeles von Architekturbüros, die erstklassige Bauwerke schaffen. Wie anders (und vielleicht sogar vollendet!) könnte das neue LACMA aussehen, wenn aufstrebende lokale Büros Entwürfe für mehrere kleinere Gebäude beigesteuert und an einem neuen Campus mitgewirkt hätten, der nicht einer einzigen Ästhetik verpflichtet ist. Unabhängig vom Erfolg des fertigen Museums wirkt seine Konzeption bereits anachronistisch, wie ein Kapitel aus einem veralteten Handbuch für Architektur, das offenbar nicht dazu geeignet ist, die lokalen Gemeinschaften und Identitäten als Gegenmittel gegen die kulturelle Standardisierung durch die Globalisierung zu stärken. Der versprochene Scholars Campus für das Berggruen Institute, der von Herzog & de Meuron entworfen und hoch über dem Getty in den Santa Monica Mountains gebaut werden soll, lässt darauf schließen, dass die renommierten Schweizer Architekten und teuren Gebäude der Stadt noch eine Weile erhalten bleiben werden.
Dennoch verfügt Los Angeles über hervorragende kulturelle Einrichtungen, wenn auch oft mit glanzloser Architektur. Das Norton Simon Museum in Pasadena besitzt eine exquisite Sammlung. Und das Museum of Jurassic Technology in Venice ist ein provokatives Anti-Museum. Architektonisch faszinierender ist das kuriose Wende Museum. Seine beeindruckende Sammlung von Artefakten aus dem Kalten Krieg ist in einem luftigen, loftartigen Gebäude untergebracht – einer ehemaligen Waffenkammer der Nationalgarde mit einem noch intakten Luftschutzbunker –, das 2017 von Christian Kienapfel und PARAVANT Architects restauriert wurde. Die großen Galerien, in denen Kunst und materielles Kulturgut ausgestellt werden, öffnen sich zu einem Innenhof, in dem wöchentliche Yogakurse ebenso stattfinden können wie eine Massenveranstaltung mit der Pussy-Riot-Aktivistin Nadya Tolokonnikova, eine willkommene Erin-nerung daran, dass nicht alle erfolgreichen Kultureinrichtungen der Stadt eine auffällige Architektur benötigen.
Wenn 2025 die Haltestelle der Purple Line an der Fairfax Avenue gegenüber dem LACMA und dem AMPAS eröffnet wird, entsteht endlich ein leicht zugänglicher Kulturkorridor in der Innenstadt. Und wenn sie es gebaut haben, werden die Menschen dann auch kommen? Die Zeit wird es zeigen. Doch die Vorliebe für große Gesten und kulturelle Architektur-Trophäen zeigt keine Anzeichen eines Rückgangs und scheint zunehmend ein Hindernis für die Entwicklung eines Regionalismus in Südkalifornien im 21. Jahrhundert zu sein, der vom Erbe von Rudolph Schindler, Richard Neutra und Frank Lloyd Wright, den Case Study Houses von Charles und Ray Eames und Craig Ellwood sowie den Gebäuden von Frank Gehry inspiriert ist. Wie die Scheinwerfer, die gelegentlich kreuz und quer über den Nachthimmel streifen, um Filmpremieren anzukündigen, kann das Licht der Berühmtheit blind machen, und der Film, für den es wirbt, kann eine Enttäuschung sein, die dem Hype nicht gerecht wird.
Übersetzung aus dem Englischen: Beate Staib
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