Kunst und Garten auf Bauerwartungsland
Im Süden von Schweden soll eine Ackerfläche zu einem Wohngebiet werden. Die Domkirche von Lund, der das Gelände gehört, schaltet ein Kunstprogramm vor, das einer lebendigen Nachbarschaft der Bewohner den Weg ebnen soll.
Text: de Cuveland, Alexander, Oslo
Kunst und Garten auf Bauerwartungsland
Im Süden von Schweden soll eine Ackerfläche zu einem Wohngebiet werden. Die Domkirche von Lund, der das Gelände gehört, schaltet ein Kunstprogramm vor, das einer lebendigen Nachbarschaft der Bewohner den Weg ebnen soll.
Text: de Cuveland, Alexander, Oslo
Eine Zeichnung der Architekten Brendeland Kristoffersen, aus dem Jahr 2018 und noch aus dem Anfangsstadium der Arbeit an dem Projekt Hage, zeigt einen flachen und langgestreckten Bau in der Landschaft, eine schwebende Konstruktion aus parallelen Segmenten, die nur von einzelnen Bäumen überragt wird. Unter dieser schwebenden Geometrie sind Büsche angedeutet sowie Personen, die in Grüppchen um vereinzelte Tische herum sitzen. Eine andere Zeichnung aus demselben Jahr zeigt diese Konstruktion im Längsschnitt. Der horizontale Überbau beschreibt hier nur die eine Seite des Areals, in dem Büsche, Bäume und abermals Personen angedeutet sind, und wirft diesmal einen Schatten. Diese Skizzen beschreiben in seinen Grundzügen bereits das Bauwerk, das derzeit im schwedischen Lund entsteht: ein von einer langen Mauer umgrenztes Areal, einseitig von einer schwebenden Dachkonstruktion überdeckt, unter einem hohen Himmel.
Auftraggeber für das Projekt ist die Domkirche zu Lund, die sich im Rahmen eines umfassenden Landerschließungsverfahrens in der Gemeinde Brunnshög mit Architekten der Firma White zusammengetan hat. Ziel der Zusammenarbeit ist es, die Erschließung des heute landwirtschaftlich genutzten Areals, von dem sich 150 Hektar im Besitz der Domkirche befinden, mit einem schrittweisen Programm zu begleiten. Unter dem Arbeitsnamen Råängen betraut eine sechsköpfige Projektgruppe, bestehend zur Hälfte aus dem Stab der Domkirche und zur anderen Hälfte aus zwei Architekten und einer unabhängigen Kuratorin, Künstler und Architekten mit der Ausgestaltung von aufeinander folgenden Programmschritten. Diese Schritte oder auch Aufträge, wie die Projektgruppe selbst sie nennt, begleitet ein öffentliches Programm aus Vorträgen, Gesprächen und Veröffentlichungen, deren Erfahrungen wiederum in den Fortgang des Projekts einfließen.
Dass man dabei keine Hemmungen hat, auch kontroverse Aspekte aufzuzeigen, zeigte sich in der ersten Phase des Programms, für die der englische Künstler Nathan Coley zwei Installationen geschaffen hatte, die eine auf dem Platz vor der Domkirche, die andere da, wo die eigentliche Bebauung stattfinden wird. Seine Installation „And We Are Everywhere“, ein Flickwerk aus Zeltplanen mit drei Kreuzen aus gefundenen Stöckern, die senkrecht in die Luft ragen, thematisierte Unsicherheit, Flucht und die Improvisation von Heimat, wie wir sie aus Bildern von Flüchtlingslagern kennen. Eine Werbebroschüre für ein Erschließungsvorhaben ist das nicht, eher schon eine gezielte Verortung des Programms in einem größeren, überregionalen Zusammenhang, mit der die Initiatoren zeigen, dass sie bereit sind, die kommende Bebauung auch aus einem imaginären Kontext heraus zu untersuchen. „And We Are Everywhere“ stand im Jahr 2018 für die Dauer von neun Monaten.
Ein Programm, das einen Platz erst mit Kunst bespielt, dann mit einem landschaftsarchitektonischen Werk, bevor es schließlich Häuser baut, generiert Aufmerksamkeit. Aber das ist nicht der ausschlaggebende und mit Sicherheit nicht der einzige Impuls dafür. Die schrittweise Erarbeitung des Erschließungsansatzes seitens der Projektgruppe zeigt, dass man sich auch der Konfliktlinien bewusst ist, die auf der Hand liegen, wenn man eine neue Siedlung plant, und dass man in der Öffnung des Prozesses für eine Vielzahl von Aspekten die Grundlage schaffen will für mögliche Modelle, wie Land und Dauerhaftigkeit zusammen gedacht werden können.
Als einen Lernprozess bezeichnet die Projektgruppe selbst die Aufgabe, mit deren zweitem Abschnitt sie 2018 die Architekten Geir Brendeland und Olav Kristoffersen aus dem norwegischen Trondheim betraut haben. Ein fest definiertes Briefing gab es nicht, außer dass der nächste Abschnitt einen öffentlichen Raum definieren sollte, als Ausgangspunkt für die kommende Bebauung mit Wohnhäusern. Dass die Wahl auf Brendeland und Kristoffersen fiel, begründet Jake Ford, einer der Architekten in Lund, mit der pragmatischen Haltung, die diese schon in früheren Projekten bewiesen haben. In ihrer ersten Arbeit von 2005 hatten sie ein fünfstöckiges Wohnhaus in Trondheim entwickelt, das Einfachheit und großzügige Gemeinschaftsräume balanciert, in ihrem Folgeprojekt auf Svalbard von 2007 definierten sie Arbeiterwohnungen in einem Bauvolumen, das die lokale Bebauung interpretiert und sich abermals durch die Großzügigkeit des Plans auszeichnet (Bauwelt 15.2008).
Das Konzept der beiden Architekten stand schnell fest: Ein 40 mal 40 Meter großes Gartenareal, auf drei Seiten von einer Mauer eingefasst, mit einem offenen Durchgangsbereich, der von einer sieben Meter breiten Überdachung geschützt ist. Unter diesem Dach wird ein „Langbord“ aus Stahl und Massivholz stehen, eine lange Tafel, an der sich die künftigen Nutzer des Gartens versammeln können: zu jahreszeitlichen Traditionen wie der „Kräftskiva“ oder dem „Midsommar“ oder schlicht zum spontanen Beisammensein.
So einfach wie die Idee von Hage als einem gemeinschaftlich verwalteten Areal, so bezeichnend ist seine Rolle als zweiter Schritt im Råängen-Programm und seine Funktion als Schnittstelle zu der kommenden Bebauung. „Es gibt eine Menge Wind in der Region Skåne, so kam die Idee mit der Mauer auf“, sagt Olav Kristoffersen. Mit seinen offenen Ackerlandschaften ähnelt der Süden Schwedens tatsächlich mehr einer dänischen als einer schwedischen Landschaft. Die zu einem Hof gehörenden Häuser sind in der Regel um eine geschützte Mitte herum platziert, was zum einen Schutz vor Wind und zum anderen Privatsphäre ermöglicht. Es sind solche Faktoren, die auch den Überlegungen zu Hage zugrunde liegen und die dabei helfen, die uralte Typologie vom Garten neu aufzugreifen und zu definieren. Ein Raum für die produktive Nutzung des Lands und ein Raum, der die Möglichkeit nachbarschaftlichen Austauschs bietet.
Mit ihrem Konzept vom Garten greifen Brendeland und Kristoffersen zum einen auf die traditionelle Bebauung von Lund zurück, mit ihren niedrigen Mauern und kleinen Gärten auch im Zentrum der Stadt, und ihrem charakteristischen Wechselspiel von Bebauung und Vegetation auch auf kleinstem Raum. Zum anderen wollen sie den Garten in seiner bewahrenden Funktion verstanden wissen, als ein Stück landwirtschaftlicher Nutzfläche, die hier bestehen bleibt, auch wenn die Umgebung urbanisiert wird.
Geir Brendeland benutzt den Begriff der Kamera, um die zeitliche Versetzung zu beschreiben, die er und Kristoffersen mit ihrem Projekt implementieren wollen: der Garten als das Auge und die Kamera, die die umliegende Entwicklung aus einem versetzten Zeithorizont heraus betrachtet. In seiner geometrischen Ausrichtung und seiner festen Verankerung im Land ist der Garten der feste Punkt, aus dem heraus sich der Umlauf der Sonne, der Jahreszeiten und letzten Endes auch der Bebauung betrachten lassen. Dass die Elemente, mit denen die Architekten das Gartenareal bestücken wollen – ein Wasserspiegel, ein Gewächshaus, einzelne Bäume –, Elemente mit Ahnen in einer vormodernen Zeit sind, unterstreicht die Auslegung der Architekten vom Garten. Dazu passt, dass der Ziegel für die 120 Meter lange Mauer nicht aus dem Katalog bestellt wurde, sondern aus dem Abriss einer nahegelegenen Marmeladenfabrik stammen.
Ein anderes Moment, das die Architekten schon in ihren ersten Modellen definiert hatten, ist die Überdachung des offenen Durchgangs. Eine die Seitenmauern überragende, schwebende Stahlkonstruktion aus Streben, die mit zwölf Pfeilern im Grund verankert ist, wird bedeckt mit einer fünf Zentimeter dicken Schicht aus Schutt, der ebenfalls beim Abriss der Marmeladenfabrik angefallen ist und dessen Gewicht der Überdachung die notwendige Stabilität verleiht. Für die statische Berechnung und letzten Endes die Ausformung der Konstruktion haben Brendeland und Kristoffersen den Ingenieur Tim Lucas vom Büro Price & Myers in London zu Rat gezogen, der sich für eine Konstruktion im Nietenverbund entschieden hat, wie sie seit fünfzig Jahren kaum mehr zur Anwendung gekommen ist. Für die Fertigung der Stahlkonstruktion fand sich eine Firma in Malmö, die sich anlässlich des Auftrags auch die Technik der Vernietung aneignete. Mitte Mai wurde die Konstruktion an Ort und Stelle montiert.
So hat das Projekt Hage auch eine Kette von Zusammenarbeiten geschaffen, die abermals den lokalen Zusammenhang in Lund definieren. Es ist deutlich, dass die Architekten die Offenheit des Auftrags genutzt haben, um eine sehr eigene Definition von Garten als gemeinschaftlich genutztem Raum zu verwirklichen, die sich in ihrer Reduktion schon jetzt von der der kommenden Bebauung abhebt: Hage knüpft an ein Verständnis von Garten und Land an, in dem es noch keine Trennung gab von Nutzung und Erholung. Die Formulierung einer gemeinschaftlichen Nutzung, eines gemeinsamen Nenners als Grundlage des Gestaltungsprozesses hat sich schon in Brendeland und Kristoffersens früheren Projekten abgezeichnet. In Lund verorten sie diesen Aspekt in einem dezidiert ausgeweiteten Zeitrahmen und setzen eine Definition von Garten an den Anfang des Erschließungsprogramms, in dem Dauer und Beständigkeit eine Freistelle bieten vom allzu Spezifischen, vielleicht auch von den Dynamiken der Individualisierung, die Urbanisierungsprozesse mit sich bringen.
1 Die Tafel misst dreimal die Länge des Altars in der Domkirche. Wie vieles anderes im Prozess ist diese Entscheidung im Gespräch zwischen dem Kirchenstab, den Projektleitern, und den Architekten gefällt worden.
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