Nicht nur Düsteres im Nikolaiviertel
Wissenswertes zur Umgebung der Düsteren Straße mit dem Kunstquartier
Text: Böttger, Tete, Göttingen
Nicht nur Düsteres im Nikolaiviertel
Wissenswertes zur Umgebung der Düsteren Straße mit dem Kunstquartier
Text: Böttger, Tete, Göttingen
Farbe war einst der Grund für diesen ungewöhnlichen Straßennamen, weil dort die Tuchmacher ihre Stoffbahnen über die Straße zogen nach dem Färben und den Himmel verdüsternd trocknen ließen. Lange her, heute rasen in dortiger Druckerei durch vielfache Farbwerke die Papierbahnen.
Nun zieht dieses mittelalterliche Stadtquartier noch mehr Buntes an, wenn zu allem, was dort sich farbenfroh in der Neuzeit ballte, ein veritables, Papier huldigendes Kunsthaus für Attraktion sorgen wird, in das der Göttinger Verleger Gerhard Steidl seine unzähligen Querverbindungen zu gedruckten Arbeiten auf Papier in aller Welt gut einbringen kann. Schon vor langer Zeit hatte er der Stadt angeboten, mit ihr zusammen ein solches Haus zu bauen. In seinem Archiv harren geduldig verschiedene Sammlungen.
Fabelhaft dieser Schritt, denn Papier als Medium zu vulgärer Gedankenspeicherung gerät schrecklich unter Druck. Wegen seines nicht korrekten nachhaltigen Volumens, irrsinnig, wenn es verglichen wird mit dem des Computer-Speichers. Verschwenderische Vergangenheit. Welche Wälder fraß die Papierherstellung?
Dieses Quartier Düstere Straße trägt alle Arten von Akzeptanz in sich, auch manche Chancen. Es entwickelte sich bislang still zu einem kleinen Ort der Kultur. Dazu gibt es Kram- und Goldrahmenläden, Schickes von Thonet und einige Lokale, wie so gern in Universitätsstädten gesehen.
Dieses Quartier Düstere Straße trägt alle Arten von Akzeptanz in sich, auch manche Chancen. Es entwickelte sich bislang still zu einem kleinen Ort der Kultur. Dazu gibt es Kram- und Goldrahmenläden, Schickes von Thonet und einige Lokale, wie so gern in Universitätsstädten gesehen.
Göttingen glänzte baulich lange als Herzogtum, mit einer später geschleiften Burg. Viele Wirbel gingen über die Bebauung hinweg, kaum aber Stadtbrände. Einer der dendrochronologisch ältesten Holzbalken – von 1310 – findet sich im Nachbarhäuslein vom Kunsthaus-Neubau. Seit 2015 ist dort das Archiv des Literatur-Nobelpreisträgers Günter Grass, dessen Bücher seit Jahrzehnten im übernächsten Haus in der Reihe, bei seinem Verleger Steidl, gedruckt werden. Daneben steht, an der Ecke Turmstraße, ein Grundstück schon lange leer, legaler Schaden und Blockade qua Nachbarrecht bzw. horrenden Geldforderungen wegen der Beeinträchtigungen. Hier blühen hunderte Sonnenblumen. So unterblieb Peter Zumthors Ziegelbau mit Spitzdach für ganz besondere Bücher des Ablegers „Little Steidl“, ein kleiner Verlag der US-Amerikaner Nina Holland und Jerry Sohn.
Gegenüber vom Kunsthaus wechselte gerade die traditionsreiche Buchbinderei Oschmann ihren Eigentümer. Steidl hat sie mit komplettem Interieur und dem wunderbaren grünen Hof gekauft. Es sollen dort auch weiterhin Bücher gebunden, aber auch eine Buchbinderschule und ein Café eingerichtet werden.
Der Plan mit Zumthor korrespondierte in seltsamer Weise mit dem von der Stadt und Steidl nie durchgeführten eingeladenen Supernamen-Architektenwettbewerb vor 13 Jahren. Ziemlich großspurig, wer alles Kunsthaus-Vorschläge einreichen sollte: Lord Normen Foster, Herzog & de Meuron, Tadao Ando, Gigon/Guyer, David Chipperfield und David Adjaye. Der Wettbewerb wurde erst 2016, eine Nummer kleiner, ausgelobt und entschieden. Nun steht dort, eingegossen in eine zackende Fachwerkgebäude-Kontur, das Kunsthaus der Leipziger Architekten Atelier ST, die vom Preisgericht Zweitplatzierten. Hinter der Häuserreihe vis-à-vis des Kunsthauses verläuft ein Arm des Leineflüsschens, Mühlengraben genannt. Dorthin öffnen sich die Fachwerkhäuser mit ihren Gärten, ein kleiner, ungezwungener Wohn-Luxus. Schon vor langem zog dieser Ort die Kunstgalerie Ahlers an.
Nähe zum Kunsthaus bietet sich gleichfalls über dessen begrünten Hof, der öffentlich zugänglich ist. Dort ist auch das Büro vom Göttinger „Literaturherbst“, ein alljährlich in der Paulinenkirche stattfindendes, internationales Literaturfestival. Das wird präsentiert parallel mit einer möglichst lang nachklingenden Auswahl von Wissenschafts-Autoren, selbst vortragend aus ihren druckfrischen Publikationen, wobei diese von den Göttinger Max-Planck-Instituten ausgewählt werden, um das Maß der Zeitgemäßheit zu beschreiben. Solch Zueinanderfinden gibts im Nikolaiviertel, alle sind dort im publizistischen Gegenwart-Überdenken vereint.
Wenn noch mehr ins Bild gehört an Bauten von Symbolik in diesem Quartier, so bietet sich im Süden der Wall an, als Linie einer lebendigen Bedeutsamkeit. Gleich neben einem mittelalterlichen Wachturm, ein Teil der erhaltenen noch älteren Stadtmauer, der leer nach baulicher Sinnerfüllung gähnt, liegt der Erdwall, an ihm findet sich die Villa, in der Physik-Doktorant Robert Oppenheimer wohnte, der Vater der Atombombe. Und nicht allzu weit davon entfernt Ede Tellers Behausung, Erfinder der Wasserstoffbombe. Beide waren nur kurz in der Stadt, doch welch Folgen, angezettelt von derlei Größen, die hier forschten. Dazu gehört auch, geschichtlich höchst folgenschwer, Otto von Bismarcks separat im Grünen stehendes Studenten-Turmhäuschen, dem wegen seiner an der Universität verbotenen Säbel-Mensur in der Stadt ein Wohnverbot erteilt wurde.
Nun aber noch weitere Entdeckungen im so vieles anrührenden Nikolaiviertel, das zum Kunstquartier avancieren soll. Über die Straßen hinweg führte der erste Draht aller Stromkommunikation in der Ägide der zwei Erfinder der elektromagnetischen Telegraphen Carl Friedrich Gauss und Wilhelm Eduard Weber. Und in der im Süden kreuzenden Hospitalstraße bestimmte im Universitätsinstitut des Aluminium-Erfinders Wöhler dessen Schüler Albert Niemann schon 1860 die Summenformel des Kokains.
Tete Böttger Geb. 1940 in Bad Saarow. Jura-, Geschichts- und Wirtschaftsstudium in Genf, Berlin und Göttingen. In Göttingen lebender Kunstsammler und Mäzen. 1980 Gründer des Arkana Verlags. Mit Steidl erschienen seine Bücher und Kataloge zum Maler und Zeichner Horst Janssen und zum Physiker und Naturforscher Georg Christoph Lichtenberg.
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