Bauwelt

Wenn Leuchten in den Seilen hängen

Die Architekten Allmann Sattler Wappner und der Lichtgestalter Ingo Maurer (1932–2019) traten im Wettbewerb 2004 ­als gemeinsame Entwurfsverfasser auf. Glücklicherweise hat nicht nur das Architektur-, sondern auch Maurers faszinierendes Lichtkonzept die siebzehn Jahre Planungs- und Bauzeit der Karlsruher U-Bahn unbeschadet überstanden.

Text: Kasiske, Michael, Berlin

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    Experimente mit RGB-Leuchten im Atelier von Ingo Maurer: Trifft das Licht der drei Strahler in Rot, Grün und Gelb ungestört auf den Fußboden, mischt es sich zu einem weißen Lichtfleck; ein „Hindernis“ wirft farbige Schatten.

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    Experimente mit RGB-Leuchten im Atelier von Ingo Maurer: Trifft das Licht der drei Strahler in Rot, Grün und Gelb ungestört auf den Fußboden, mischt es sich zu einem weißen Lichtfleck; ein „Hindernis“ wirft farbige Schatten.

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    Wettbewerbsmodell im Maßstab 1:33 aus dem Jahr 2004 und Installation der Leuchten im Frühjahr
    2020.
    Fotos: Ingo Maurer/Allmann Sattler Wappner

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    2020.
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Wenn Leuchten in den Seilen hängen

Die Architekten Allmann Sattler Wappner und der Lichtgestalter Ingo Maurer (1932–2019) traten im Wettbewerb 2004 ­als gemeinsame Entwurfsverfasser auf. Glücklicherweise hat nicht nur das Architektur-, sondern auch Maurers faszinierendes Lichtkonzept die siebzehn Jahre Planungs- und Bauzeit der Karlsruher U-Bahn unbeschadet überstanden.

Text: Kasiske, Michael, Berlin

Als größere Städte noch Güterbahnhöfe besaßen, bildeten Oberleitungen gleichsam deren oberen räumlichen Abschluss. Sie werden etwa in der Schweiz von so genannten Portalmasten gehalten, in Deutschland hingegen sind bis heute Einzelmasten üblich, so dass sich der Raum über den Gleisen aus verdichteten horizontalen und vertikalen Linien konstituiert.
Dieses Bild war Initial für Ingo Maurer (1932–2019), der vor achtzehn Jahren das Lichtkonzept des Wettbewerbsentwurfs von Allmann Sattler Wappner für die Karlsruher U-Bahn entwickelte. Dem Wunsch der Architekten nach unaufgeregt und klar gestalteten Räumen im Untergrund – im Kontrast zur belebten und von unterschiedlichen Fassaden geprägten Fußgängerzone – entsprach der Lichtgestalter mit einer in Ausmaßen und Einzelteilen genau definierten Tragstruktur aus Stahlseilen und filigranen Rahmen, die Lichtkörper, aber auch Lautsprecher aufnimmt.
Die Beleuchtung von U-Bahnhöfen gemeinsam mit Architekten zu entwickeln, das war bereits erprobt, erzählt Projektleiter Sebastian Utermöhlen. 1998 hatte Ingo Maurer die Münchner Station „Westfriedhof“ gemeinsam mit Auer Weber Architekten konzipiert, kurz danach „Moosfeld“ mit Sturm & Kessler Architekten; neun Jahre später kam die „Münchner Freiheit“ hinzu. Obwohl Maurer Hell-Dunkel-Kontraste bevorzugte, konnte stets eine gemäß den einschlägigen Normen erforderliche gleichmäßige Ausleuchtung bis zur Bahnsteigkante sichergestellt werden.
In Karlsruhe erzeugt das Licht zusammen mit dem Bauwerk eine Raumdramaturgie: von der diskreten Handlaufbeleuchtung, die Passanten in den Untergrund leitet, über die Zwischenebene, in der „Lightcones“ als deckengleiche Kreise ein etwas abgedimmt erscheinendes Licht erzeu­-gen, zu den gleißend hellen U-Bahnhöfen, deren Raumvolumina vollkommen ausgeleuchtet sind.
Ist die farbkräftige Gestaltung der Münchner Bahnhöfe, dem Naturell von Maurer folgend, unterhaltsam, setzte er in Karlsruhe auf eine tech­noid geprägte Ästhetik, die freilich poetisch aufgefasst wird. So spricht Utermöhlen von „Gespinst“ und „Komposition“ mit Hinweis auf das YaYa-System, das Ingo Maurer 1984 als seinerzeit revolutionäres Niedervolt-Halogen-System präsentierte. Die Seile stellen Linien dar, in die Leuchten als Noten eingesetzt sind. Für die U-Bahnstationen wurde ein nur visuell ähnliches System entwickelt, um das Licht „nicht in die Architektur hineinzuzwängen“, so Utermöhlen. Bereits im Modell von 2004 sind seitlich abgespannte Seilpakete zu sehen, in die Spots und andere Funktionselemente eingehängt zu sein scheinen. Die Oberleitung der Straßenbahn ist als unter der Beleuchtung liegende Installation leicht erkennbar. Dass die seinerzeit im Modell verwendeten LEDs dann die heute dort installierten Lichtquellen bilden würden, war zu diesem Zeitpunkt noch nicht absehbar.
Die Langfeldleuchten, für die sich das Team von Maurer entschied, gemahnen an die früher in Industrie und Büros eingesetzten Leuchtstoffröhren; hier strahlen sie teilweise auch nach oben. Wiederum am Modell wur-de die artifizielle Verdichtung der Pakete aus sechs Seilen entwickelte. Im Unterschied zum Wettbewerbsmodell ist die Tragstruktur zusätzlich zur seitlichen Verspannung mit Seilbündeln an der Decke befestigt. Die Oberleitung der Stadtbahn ist in die Ebene integriert, sie setzt sich durch ihre kupferfarbenen Fahrdrähte und die Befestigung mit nur einem einzelnen Seil optisch ab.
In weiteren Modellen bis zum Maßstab 1:1 wurden die genauen Positionen der Leuchten festgelegt – bis hin zur Schlaufe der Kabelführung zum Leuchtmittel, was die ausführenden Elektriker amüsierte. Unter Berücksichtigung der erforderlichen Lichtwerte für den Bahnsteig ist die Lage der Lichtkörper frei komponiert, betont Utermöhlen.
Aus gestalterischen Gründen setzte Maurer blaue Isolatoren ein, eine ausschließlich in Weiß- und Grau-Tönen gehaltene Lichtinstallation hätte der Haltung des im positiven Sinn postmodernen Lichtgestalters widersprochen. Für ihn sollten U-Bahnhöfe anregend sein und den Benutzern ein freudiges Gefühl vermitteln. So sind die RGB-Spots eine Ingo-Maurer-typische spielerische Komponente: Die Mischung der drei Primärfarben Rot, Grün und Blau lässt auf dem Bahnsteig einen weißen Lichtfleck erscheinen; treten Passanten in die Lichtstrahlen ein, entsteht ein vielfar-
biger Schatten.
In Maurers Konzept sollten auch die Tunnelröhren auf den ersten zwanzig Metern in blaues Licht getaucht werden, was der Auftraggeber lei-der verwarf, weil bereits die Rettungszeichen in Bahntunneln blau hinterleuchtet sind und deshalb Irritationen befürchtet wurden. Dabei hätte ein kontrastierendes kräftiges Farbelement die feingliedrige Beleuchtungsebene so hervorgehoben, wie ihr ausgefeiltes Konzept es verdient.
Fakten
Architekten Maurer, Ingo (1932–2019); Allmann Sattler Wappner, München
aus Bauwelt 4.2022
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