Bauwelt

Mathematischmagisch

Zwischen Land Art und Konzeptkunst: Mit der Retrospektive von Agnes Denes hat sich The Shed als ernstzunehmender Mitspieler im ohnehin reichen Konzert der New Yorker Kulturinstitutionen eingeführt

Text: Schulz, Bernhard, Berlin

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    Das Motiv der Pyramide taucht immer wieder auf: Hier die Kristallpyramide aus 3D-gedruckten Steinen auf Maisbasis
    Foto: The Shed/Agnes Denes, Leslie Tonkonow

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    Das Motiv der Pyramide taucht immer wieder auf: Hier die Kristallpyramide aus 3D-gedruckten Steinen auf Maisbasis

    Foto: The Shed/Agnes Denes, Leslie Tonkonow

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    „Teardrop“: Modell für ein Denkmal der Erdbindung.
    Foto: The Shed/Agnes Denes, Leslie Tonkonow

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    „Teardrop“: Modell für ein Denkmal der Erdbindung.

    Foto: The Shed/Agnes Denes, Leslie Tonkonow

Mathematischmagisch

Zwischen Land Art und Konzeptkunst: Mit der Retrospektive von Agnes Denes hat sich The Shed als ernstzunehmender Mitspieler im ohnehin reichen Konzert der New Yorker Kulturinstitutionen eingeführt

Text: Schulz, Bernhard, Berlin

Magisch leuchtet die Pyramide, die Agnes Denes mitten in den großen Ausstellungsraum des New Yorker Kulturzentrums The Shed (Bauwelt 11.2019) gebaut hat. The Shed, der „Schuppen“, am nörd­lichen Ende der längst berühmten High Line gelegen, besitzt zwei Etagen stützenfreier Ausstellungsräume, die den Unterschied zwischen drinnen und draußen beinahe vergessen lassen. So kann die Pyramide mit einer Grundfläche von 6,7 auf 9,1 Meter und mit einer Höhe von 5,2 Metern Wirkung entfalten. Sie ist aufgeschichtet aus Bausteinen, die aus „kompostierbarem Getreide-Plastik“ bestehen und von innen beleuchtet werden. Erst beim zweiten Hinschauen fällt ins Auge, dass die Pyramide in jeder Hinsicht unregelmäßig ist: Auch die Kanten sind nicht, wie bei den altägyptischen Vorbildern, gerade gezogen, sondern in einer Kurvenlinie, die die Spitze noch stärker in die Höhe reckt.
Magisch und mathematisch zugleich, das sind Elemente, die sich in vielen Arbeiten von Agnes Denes finden. Die Künstlerin, mittlerweile 88 Jahre alt, lässt sich keiner Kunstrichtung ohne Wenn und Aber zuordnen. Das hat sicherlich dazu beigetragen, Denes lange Zeit die verdien­te Anerkennung zu versagen, die ihr jetzt, mit dieser Ausstellung in den New Yorker Gazetten reich zuteil wird.
Rings um die Pyramide sind die Stationen von Denes’ mehr als ein halbes Jahrhundert umspannender Künstlerlaufbahn nachzuvollziehen. In New Yorks Kunstszene genießt sie Kultstatus, seit sie 1982 die Landaufschüttung an Manhattans Südzipfel, dem Battery Park, in ein leuchtendgelbes Weizenfeld verwandelte. Damals kam, vielleicht erstmals in New York, das Bewusstsein auf, dass das menschengemachte Wachstum endlich ist, die Natur aber das letzte Wort behält.
Es wäre ungerecht, Denes auf die Rolle als frühe Mahnerin vor dem Klimawandel zurecht­zustutzen, wie dies zuletzt des Öfteren der Fall war. Es ist vielmehr so, dass Denes die Grenzen des menschlichen Wissens berührt und in ihren ungeheuer feinen Zeichnungen die Poesie der mathematischen Präzision sichtbar macht. Gewiss, Ökologie spielte schon immer eine Rolle in ihrem Werk, so in ihren Entwürfen für die „Future City“, die Stadt der Zukunft, die man wohl am ehesten mit den Visionen der Metabolisten vergleichen könnte. Dann wieder neigte sie sich der Land Art zu, als sie Mitte der 1990er Jahre auf einer finnischen Insel 11.000 Bäume in einem nach dem Goldenen Schnitt berechneten Muster pflanzen ließ. Der Gedanke der Baumpflanzung als Heilung oder zumindest Bekämpfung von Umweltsünden kehrte in ihrem Vorschlag wieder, im New Yorker Stadtteil Queens wiederum eine Landaufschüttung mit gleich 100.000 Bäumen zu bepflanzen und zu einem Frischluftreservoir zu machen. Mit derartigen Projekten hat sich Denes bei zahlreichen Ausstellungen in den USA beteiligt, ohne doch die ganz große Prominenz zu erreichen, die anderen Künstlern der Land Art zufiel − mit der Konzeptkunst, in die ihr Werk ebenfalls gehört, verhält es sich ähnlich.
Denn es gibt diesen roten Faden des Konzeptionellen durchaus. Immer wieder begegnen dem Besucher der Ausstellung Pyramiden jeglicher Größe und Materialität, gern in sich selbst wiederholender Form zusammengesetzt aus kleinen Pyramiden. Oder aber in Reihen von Zahlen gezeichnet, die durch gleichmäßige Addition jeweils nebeneinanderliegender Zahlen zustande kommen und so von Reihe zu Reihe mehr Platz benötigen und folglich nach beiden Seiten in die Breite gehen. So lässt sich auch die gekurvte Form der großen Leucht-Pyramide erklären. Mathematisches Kalkül spielt also stets eine Rolle in den Arbeiten von Agnes Denes, im Gleichgewicht gehalten von ihrem feinen Gespür für die Magie dessen, was rational ist und dennoch den Alltagsverstand übersteigt. So, wie die Pyramiden im alten Ägypten gewirkt haben müssen.

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