Mehr Ethik, weniger Technik
Zeichnungen, Fotos, originale Bauteile, große Stadtpläne, schöne Modelle und einige Filmen: Eine Schau in München zeigt das faszinierende Werk des indischen Pritzker-Preisträgers Balkrishna Doshi
Text: Stock, Wolfgang Jean, München
Mehr Ethik, weniger Technik
Zeichnungen, Fotos, originale Bauteile, große Stadtpläne, schöne Modelle und einige Filmen: Eine Schau in München zeigt das faszinierende Werk des indischen Pritzker-Preisträgers Balkrishna Doshi
Text: Stock, Wolfgang Jean, München
Wer 1991 das Glück hatte, am 5. Internationalen Alvar Aalto Symposium in Jyväskylä teilzunehmen, der musste Balkrishna Doshi nicht im Internet suchen, als dieser 2018 zum Pritzker-Preisträger gekürt wurde. Eingeladen von seinen finnischen Kollegen, trat er damals erstmals vor einem großen europäischen Publikum auf. Der zierliche und zurückhaltende Mann, begleitet von Frau und Tochter, schien inmitten der nordischen Wälder und Seen aus einer anderen Welt zu kommen. Und so war es denn auch. Während Ricardo Legorreta seine mexikanischen Großbauten vorstellte und Karljosef Schattner seine Leistungen in Eichstätt, verblüffte der 1927 geborene Doshi durch einen Vortrag ganz anderer Art: Er sprach mit großem Ernst über Architektur für das Existenzminimum in seinem Land. Sichtlich am Herzen lag ihm besonders die 1989 fertig gestellte Siedlung „Aranya“ in Indore.
Dieses kostenminimierte Wohnprojekt ist auch ein Thema der sinnlich und aufwendig gestalteten Ausstellung über Doshis Lebenswerk, mit der das Vitra Design Museum derzeit im Architekturmuseum der TU München zu Gast ist. Reduzierter als in Aranya können Wohnhäuser kaum sein: Auf winzigen Parzellen von 30 Quadratmetern stellte der Architekt zunächst nur jeweils ein Fundament, einen Sanitärblock und einen einzigen Raum als Grundlage für den Weiterbau bereit. Anhand von 60 Musterhäusern konnten die künftigen Bewohner dann diese Basis nach ihren Bedürfnissen und wirtschaftlichen Möglichkeiten ausbauen.
Eine ausgezeichnete Einführung in die Ausstellung ist der 45-minütige Film. Er spricht über seine Herkunft aus einer Großfamilie, über sein Vorbild Le Corbusier, für den er fünf Jahre lang tätig war, er erläutert die Probleme im unabhängig gewordenen Indien, wo man erst einmal Baumaterial auftreiben musste. Die Notsituation der späten 50er Jahre hat ihn geprägt, aus diesen Erfahrungen hat er seine Entwurfsprinzipien entwickelt. Sparsamkeit in den Mitteln, aber eine möglichst positive soziale Wirkung: Diese Leitvorstellung hat Doshi in seinen zahlreichen modernen Bauten glaubwürdig verwirklicht. Er warnt davor, immer mehr auf Technik zu setzen, denn ethische Grundsätze seien entscheidend. Durch die Fülle an Exponaten wird man in eine fremdartige Welt hineingezogen – selbst die dezente Hintergrundmusik trägt dazu bei. Doshis „Architektur für den Menschen“ kommt auch bei seinem eigenen „Kamala House“ aus dem Jahr 1963 zum Ausdruck, großzügig angelegt und doch kostengünstig, ebenso bei seinen Hochschulbauten wie der Architekturschule in Ahmedabad, die der Pädagoge Doshi 1968 fächerübergreifend gründete und die seither die Architektenausbildung in Indien grundlegend verändert hat.
Begleitet wird die Ausstellung von einem Katalog, der überzeugt: Selten wurde bislang das Werk eines Architekten mit derartiger Sorgfalt dokumentiert. Ein Buch, mit dem man den klugen Doshi getrost nach Hause tragen kann.
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