Bauwelt

Ohne Brimborium

Text: Redecke, Sebastian, Berlin; Brinkmann, Ulrich, Berlin

Ohne Brimborium

Text: Redecke, Sebastian, Berlin; Brinkmann, Ulrich, Berlin

Eigenwillig, fordernd und wortkarg. Gerhard Steidl arbeitet schon sehr früh am Morgen mit größter Pas­sion für seine Bücher. Und sein Hauskoch Rüdiger Schellong sorgt stets für ein Mittagessen in völliger Unabhängigkeit. Steidls Druckerei und Verlag in der südlichen Altstadt von Göttingen wird schon lange von Künstlern aus aller Welt überaus geschätzt, vor allem von den renommiertesten Fotokünstlern. Auch der „in Büchern denkende“ Karl Lagerfeld, ebenfalls eigenwillig, fordernd und immer arbeitend, ließ seine vielen Bücher und die Aufträge von Chanel hier produzieren. Während der Herstellung erwartet Steidl einen intensiven Austausch mit den Künstlern, die ihn in der verwinkelten „Steidlville“ aufsuchen – und sicherlich auch an seinem schlichten Esstisch über der Druckerei bewirtet werden.
Nun endlich hat sich der Wunsch von Steidl erfüllt, ein Kunsthaus in seiner Stadt zu bauen. Dies bot sich an, denn mit seinen Kontakten ergeben sich Ausstellungen – auch speziell zu einem aktuellen Buchprojekt. Der Neubau entstand in einer Baulücke in unmittelbarer Nähe zur Druckerei an der Düsteren Straße und fällt nicht besonders ins Auge. Den 2016 mit der Stadt ausgelobten Wettbewerb hatten die Architekten Atelier 30 aus Kassel gewonnen. Gebaut haben dann aber die zweitplatzierten Architekten Atelier ST aus Leipzig. Dies wird damit begründet, dass sich das aufwendige Entwurfskonzept der Sieger mit dem zur Verfügung stehenden Budget und dem geforderten Raumprogramm nicht, wie von den Architekten gewünscht, umsetzen ließ. Das Kunsthaus gelang mit staatlichen Fördermitteln und namhaften Unterstützern aus der Region. Es gehört zu einem von Steidl initiierten „Kunstquartier“ mit dem Günter-Grass-Archiv der Universität, dem Literaturzentrum und Gale­rien – ein wichtiges, aber auch mühsames Vorhaben zur Belebung der Innenstadt. Das Kunsthaus wurde am 4. Juni mit einer Roni-Horn-Ausstellung eröffnet.

Lebendiges Land

Lebensräume abseits der universitären Schwarmstädte und wirtschaftsstarker Ballungsräume stehen im Fokus von Politikwissenschaftlern, Ökonomen und Soziologen. Doch auch Architekturkritiker können zwischen Allgäu und Vorpommern erfreuliche Entdeckungen machen: Neu- und Umbauten, die nicht nur von gestalterischem Feingefühl zeugen, sondern auch von einem bewussten Bekenntnis der dahinterstehenden Gemeinschaften zu ihrem Ort. Gerade dort, wo nicht nur im Corona-Lockdown wenig Kulturangebote locken, sind Räume unerlässlich, die die Gemeinschaft fördern – damit Dörfer und Kleinstädte nicht zu Schlaforten verkommen.

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