Hat Nervi noch eine Chance?
Dem Stadion von Florenz von 1932 droht der Abriss. Pier Luigi Nervis Frühwerk stört die Planungen des neuen, einflussreichen Eigentümers und Präsidenten des Fußballvereins ACF Fiorentina.
Text: Redecke, Sebastian, Berlin
Hat Nervi noch eine Chance?
Dem Stadion von Florenz von 1932 droht der Abriss. Pier Luigi Nervis Frühwerk stört die Planungen des neuen, einflussreichen Eigentümers und Präsidenten des Fußballvereins ACF Fiorentina.
Text: Redecke, Sebastian, Berlin
Auch uns hat die dringende Aufforderung der Pier Luigi Nervi Project Association erreicht, Andrea Pessina, den Landeskonservator der Region Florenz, Pistoia und Prato, bei seinem Engagement zur Rettung des 1929 bis 1932 errichteten Stadions in Florenz von Pier Luigi Nervi (1891–1979) zu unterstützen. Pessina scheint in einer äußerst schwierigen Situation zu sein, da es aufgrund der aktuellen wirtschaftlichen Krise bei geschützten Sportstätten die Möglichkeit gibt, per Dekret Veränderungen am Status vorzunehmen. Angeblich können mit der Vereinfachung von Genehmigungsverfahren auch denkmalgeschützte Bauten abgerissen werden.
Der Fußballverein der ersten Italienischen Liga AC Florenz, meist la Fiorentina genannt, will ein neues Stadion. Darauf drängt vor allem der seit Juni 2019 neue Eigentümer und Präsident, der italo-amerikanische Milliardär Rocco Commisso. Schon vor dem Verkauf war ein neues Stadion geplant gewesen, die verschiedenen Projekte, unter anderem von Arup und dem Florentiner Büro Pierattelli Architetture im Stadtteil Novoli, wurden aber nicht weiterverfolgt. Eine Visualisierung mit einer riesigen Dachhaube in den Farben des Vereins kursierte durch die Presse.
Dann hat man sich wieder mit dem alten Stadio Comunale an der Viale Pier Luigi Nervi befasst, das seit 1991 nach dem Florentiner Artemio Franchi benannt ist, einem Fußballfunktionär und früheren Präsidenten des europäischen Fußballverbands. Das Stadion verfügt heute über 43.000 Sitzplätze. Von Nervi stammen unter anderem die Haupttribüne mit ihrem Stahlbeton-Dach, weitere Tribünen mit einer besonders feingliedrigen Unterkonstruktion und vor allem den elegant außen angefügten Wendel-Aufgängen. Das Tribünendach mit seinen 15 gekrümmten Kragträgern hat eine Spannweite von 23 Metern. Die Kragträger sind durch Querträger ausgesteift und mit dem Rahmentragwerk der Tribünenanlage verbunden. Die sorgfältige Gestaltung der leicht wirkenden Bausteile sorgt noch heute für Erstaunen. Das Stadion gehört daher zu den Hauptwerken des Ingenieurs Nervi und seiner damals erfolgreichen Baufirma Nervi e Nebbiosi.
In den Jahrzehnten nach dem Krieg wurden Umbauten und Ergänzungen am Stadion vorgenommen. Im Rahmen der Sanierung zur Fußballweltmeisterschaft 1990 verschwand die Laufpiste zugunsten weiterer Sitzplätze. 2013 kam eine Überdachung der Gegentribüne hinzu. Leider haben zahlreiche, auch kleinere Ergänzungen das Gesamtbild des Stadions verwässert.
Die Pier Luigi Nervi Project Association hat inzwischen Unterstützer, auch Icomos mit einem „Heritage alert“, und hofft noch auf eine Kehrtwende. Nun ist das Ministerium für Kulturgüter gefragt. Die weitere Existenz des Stadions bleibt aber akut gefährdet, da der neue, gut vernetzte Eigentümer auf eine Entscheidung drängt. Einen Architekten für den geplanten Neubau, aber angeblich auch für einen „deutlich teureren“ Neubau unter Einbeziehung einiger Teile des Stadions von Nervi, soll es auch geben: den Florentiner Marco Casamonti mit seinem Studio Archea Associati. Er baute die Zentrale des renommierten Weinguts Antinori nel Chianti classico, das Ceramic Wonderland in Changsha (China) und das 2019 eröffnete Nationalstadion von
Tirana.
Tirana.
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